Reisen bildet – Fußball adelt
Jürgen Klinsmann und Oliver Bierhoff haben, im Gegensatz etwa zum bekennenden Volksmusik-Fan Matthias Sammer, begriffen, daß Fußball heute Showbiz und von den Regularien der Popmusik gar so nicht weit entfernt ist.
Welche Musik hört Ihr überhaupt?- /h3>
Bierhoff: „Bei mir kommt das immer auf den Moment an. Manchmal höre ich Soul. Dann höre ich auch wieder Guns N Roses.“ Klinsmann: „Ich höre ziemlich viel Reggae. Das gibt mir ein positives Lebensgefühl. Da ist einfach Freude drin. Ansonsten hören wir beide viel italienische Musik. Wenn du mal in so einem Land gespielt hast, dann kriegst du einfach einen Draht dazu.“
Dürfen wir Namen erfahren?
Bierhoff: „Das geht von Vasco Rossi, der ein bißchen härter ist, bis zu Claudio Bollioni, der seit 20 Jahren dabei ist Oder auch Lucio Dalla.“ Das klingt, ab hättet Ihr Euch wirklich gut eingelebt Ihr seid ja auch die einzigen Deutschen, die gleich fünf oder sechs Jahre im Ausland gespielt haben.
Bierhoff: „Ich habe halt versucht, auf die Leute zuzugehen. Ich meine, ich kann auch nicht erwarten, daß es umgekehrt ist“
Wie seid Ihr denn von der Spielauffassung her in Italien zurecht gekommen?
Bierhoff: „Da ist natürlich das andere System. Aber wir Deutschen werden ja gerade deswegen von den Trainern geholt, weil sie unsere Disziplin schätzen.“ Ich habe aber den Eindruck, daß Deutsche den Italienern eher unheimlich sind, weil die Italiener die deutsche Disziplin nicht verstehen. Sie reden ja auch nicht umsonst von „deutschen Panzern.“ Klinsmann: „Nee. Panzer ist so gemeint, daß sie wahnsinnigen Respekt vor unserer Einstellung haben: Nie aufgeben, immer powern und im Spiel eine ungeheure Dynamik entwickeln. Daher der Begriff Panzer. Aber sie haben auch immer die spielerische Klasse der deutschen Mannschaft bewundert“
Spielerische Klasse?
Klinsmann: „Mit Spielern wie Möller, Hässler, Scholl haben wir ein enormes Kreativ-Potential. Aber die andere Seite steht natürlich im Vordergrund. Der Ronald Koeman hat mir neulich gesagt, daß wir ein Spiel sowieso erst dann aufgeben, wenn wir geduscht haben und im Bus sitzen.“ Bei den Italienern ist das spielerische Element jedenfalls viel stärker ausgeprägt. Das werdet Ihr doch nicht abstreiten.
Klinsmann: „Da denk ich eher das Gegenteil.“ Bierhoff: „Ich auch. Das wichtigste ist das Resultat Da wird ein defensiverer Fußball gespielt und mehr auf Taktik wert gelegt als bei uns, wo wir sagen: ,So, wir greifen jetzt mal an. 1 “ Ich meinte von der Psyche her. Km der ganzen Einstellung. Die müssen sich doch immer enorm zügeln, um nicht zehn Haken hintereinander zu schlagen.
Bierhoff: „Naja, es ist ja klar, daß die Südländer von der Mentalität her ein bißchen technischer, ein bißchen mehr Kleinklein spielen. Aber die Erfolge des deutschen Fußballs in der letzten Zeit geben dem deutschen Fußball auch recht Sonst würde die Bundesliga nicht so boomen.“ Das hat doch damit nichts zu tun. Die Bundesliga boomt doch, weil SAT1 die Akteure so richtig boulevard-mäßig hochjubelt und fertig macht Klinsmann: „Das stimmt schon. Es geht immer mehr in Richtung Showbusiness. Immer mehr weg vom ursprünglichen Umfeld des Fußball“
Und Ihr macht damit.
Klinsmann: „Ich versuche oft, daraufhinzuweisen. Nur ist das in Deutschland eben schon ausgeartet Das hat inzwischen so eine Eigendynamik entwickelt, die fast nicht mehr zu stoppen ist“
Deswegen ist es aber doch nicht legitim, den ganzen Prozeß zu unterstützen.
Klinsmann: „Es ist eben so, daß ein Großteil der Spieler das wirklich pusht Was da zum Beispiel letztes Jahr in München ablief, das war alles von den Vereins-Verantwortlichen und den Spielern geliefert So kann’s doch nicht funktionieren.“
Du hast vor Wochen im „Spiegel“ gesagt, daß das Jahr umsonst war, wenn Bayern nicht den UEFA-Cup gewinnt. Ich habe das so interpretiert, daß es bei Bayern menschlich enttäuschend war, aber auch, daß Du sehr auf Erfolgfixiert bist.
Klinsmann: „Ich weiß nicht. Aber aufgrund des Potentials der Mannschaft mußten wir ganz einfach einen Titel gewinnen. Das ist ’ne Nationalmannschaft. Und da finde ich schon, daß es ’ne Verpflichtung gab, was zu gewinnen.“
Und wie soll’s weitergehen?
Klinsmann: „Ich glaube, daß ein Umdenken kommen muß. Wie in der Nationahnannschaft. Da ist die Arbeit das Wesentliche. Und nicht, sich selber in den Vordergrund zu schieben. Das klappt recht gut In München klappt das eher gar nicht“
Findet Ihr es so gesehen nicht seltsam, daß es überhaupt noch so etwas wie die Europameisterschaft gibt, wo diese ganzen kleinkarierten, innereuropäischen Haßgefühle und Vorurteile wieder hochkommen?
Bierhoff: „Ich weiß nicht, ob ich so weit gehen würde. Es wäre schön, wenn es so Sachen wie in Rotterdam nicht mehr geben würde. Aber ich weiß nicht, ob das ein nationales Problem ist In Italien schlagen sich die Fans von Roma und Inter genauso wie die Schalker und Dortmunder bei uns.“ Klinsmann: „Und wegen der Fußball-Geschichte ist es doch reizvoll, gegen gewisse Länder zu spielen. Das hat mit Nationalismus nichts zu tun.“