Regina Spektor – Berlin, Huxleys
Allt poetischer Finesse beherrscht die Sängerin Piano und Auditorium.
Zwei Welten gab es einst, die eine bewohnten langhaarige Fürsten mit ihren Gitarren und schrille Nymphen, die irrlichternd über Bühnen hüpften. Es war eine laute und schnelle Welt, die sich ständig erneuerte, und man nannte sie die Popwelt.
Die andere war ungleich ruhiger, ernst und konzentriert. Fleißige Musiker übten sich dort in perfekter Wiedergabe ehrwürdiger Meisterwerke, und große Konzerthallen und Philharmonien wurden ihr zu Ehren errichtet, Klassikwelt nannten sie viele.
Manchmal durchdrangen sich diese beiden Welten. Ganze Orchester stiegen dann hinab in die Niederungen des Populären und führten Songs von Deep Purple oder den Beach Boys auf, pop goes classic hieß das Gebräu. Doch es war, als ob man Öl und Wasser mischte, die Substanzen stießen sich ab, zu wenig gemeinsam hatten sie, so schien es bis jetzt. Am Anbeginn des 21. Jahrhunderts, in dem dank Präsident Obama selbst die Schranken zwischen den Rassen fallen sollen, da fallen allmählich auch die Schranken zwischen Pop und Klassik. Die New Yorker Sängerin, Pianistin und Songwriterin Regina Spektor hat dies bei ihrem Konzert im Huxleys auf beeindruckende Art bewiesen.
Fast 2000 Leute waren gekommen zum zweiten Berliner Konzert von Regina Spektor in weniger als sechs Monaten. Ein Indiz für den wachsenden Erfolg der Künstlerin, die sich unlängst vom Geheimtipp zu Everybody’s Darling mauserte. Ganz in schwarz gekleidet und mit wallenden Haaren setzte sich die 29-Jährige scheu lächelnd hinter den polierten Konzertflügel. Ihre Begleiter an Geige, Cello und Schlagzeug spielten auf, und die gebürtige Moskauerin begann zu singen. Vergleiche ihrer glockenhellen, mädchenhaft unschuldigen und dabei mysteriös abgründigen Stimme mit dem himmlischen Gesang der Engel mögen abgenutzt klingen. Dennoch sollen sie an dieser Stelle gelten. Seit den großen Tagen von Kate Bush und Tori Arnos vermochten wenige Sängerinnen in solcher Erhabenheit zu strahlen.
Spektor weiß ihre Fähigkeiten zum Zwecke einer eigenen Ästhetik einzusetzen. Kunstlied oder Pop-Hit, diese Frage wird aufgeworfen, dabei hat sie selbst diese Trennung anscheinend mühelos überwunden. Sie lässt sich von energischen Rhythmen antreiben, und bisweilen überschlägt sich ihr Gesang, nur um das Geschehen mit einer langsamen, fast zärtlichen Passage aufzulösen. Nahezu jede Komposition durchlebt solche dramaturgische Wechsel, und die Band versteht sie perfekt umzusetzen.
Songs wie „The Calculation“, „Eet“ und „Machine“ von Spektors aktuellem Album „Far“ dominieren das erste Drittel des Abends. Dann wechselt die virtuose Pianistin zur Gitarre und spielt mit charmanter Naivität – „ich könnte gar nicht rocken, die Gitarre ist so unbequem“ – zwei Songs, die den Übergang zur stärksten Phase des Auftritts markieren: Regina Spektor alleine am Klavier. Durch die musikalische Reduzierung breitet sich die einzigartige Poetik ihrer Texte erhaben über der dunklen Halle aus. Eine Schwere und Wehmut, aber auch ein absurder Humor, der an Franz Kafka und Kurt Vonnegut erinnert, wohnt diesen Zeilen über Küchenschränke und biblische Figuren inne.
Regina Spektor ist eine junge Frau, der man zuhören sollte. Von ihren zahlreichen Begabungen ist ihre größte Errungenschaft die Gabe, aus Pop und Klassik eine neue Qualität zu destillieren. Es sind nicht mehr Öl und Wasser, die sich nicht mischen lassen, sondern eine fremdartige goldglänzende Flüssigkeit, rein und bezaubernd, die sie vermutlich durch Zufall entdeckt hat.
Planen lässt sich solch ein Ergebnis jedenfalls nicht, es ist Alchemie.