Reeperbahn Festival: im Parlament des Pop
„Bitte tanzt nicht. Das kann im schlimmsten Fall zum Abbruch des Programms führen“ – über die Schwierigkeit, Kultur in Zeiten von Corona zu leben
Armer Armin Laschet – allein die bloße Erwähnung seines Namens sorgt für einen Lacher. Vor allem, wenn im gleichen Satz das Wort „Kompetenzteam“ fällt. Das passiert am Freitagvormittag, beim Panel „Parliament of Pop“, bei dem Menschen aus der Musikindustrie im Mittelpunkt stehen, die am Sonntag bei der Bundestagswahl antreten. Joe Chialo zum Beispiel, Spitzenmanager der Universal Music Group, CDU-Direktkandidat für den Wahlkreis Berlin-Spandau – Charlottenburg-Nord, und eben Mitglied des „Zukunftsteams“ von Armin Laschet. Als solches hat er zwei Tage vor der Wahl zu viel zu tun, um zum Reeperbahn Festival zu reisen, im Gegensatz zu Jens Herrndorff (Fettes-Brot-Manager und Grünen-Kandidat für Pinneberg) und Daniel Schneider (Deichbrand-Gründer und SPD-Kandidat für Cuxhaven).
CDU: Erhalt alter Bräuche, Trachten und Volkstänze
„Die CDU“, so fasst Moderator Manfred Tari die Kulturpolitik der großen Parteien zusammen, setze sich für „die Pflege und den Erhalt alter Bräuche, Trachten und Volkstänze“ ein, die SPD spreche sich für die Einführung von Mindestgagen aus, die Grünen und die Linken wollen Künstlern coronabedingte Finanzspritzen in Höhe von 1.200 Euro monatlich auszahlen, und die FDP kümmere sich vor allem um urheberrechtliche Fragen. „Kulturpolitik ist ein Nischenthema“, betont Katarina Barley, Vizepräsidentin des EU-Parlaments. Sie hoffe, dass sich das mit einem jünger werdenden Bundestag ändere. Zumal in diesem Nischenthema, darauf weist Julia Frank (Wizard Promotion) von den Grünen hin, Popkultur weitaus weniger sichtbar sei als etwa klassische Musik oder das Theater. Weil die von mit Macht ausgestatteten Menschen als schützenswerte Kultur akzeptiert werden. Was ja auch, wirft Barley ein, daran liege, dass es dort starke Verbände gebe, „die dann auf der Matte stehen“.
Dem Rapper Afrob, der einzige in der Runde ohne politisches Amt, ist die Diskussion zu wenig konkret. Bezahlbare Proberäume in großen Städten, besseren Künstlerschutz beim Urheberrecht, einen transparenten Abrechnungsschlüssel von Streaminganbietern, das seien die wichtigen Themen. Beim letzten Punkt pflichtet Barley ihm bei und versichert, sie werde die Problematik „mit nach Brüssel nehmen“.
Die Politik, die Corona-Politik, bestimmt natürlich den Ablauf des gesamten Festivals. In die Clubs dürfen meist nur ein paar Dutzend Leute, viele Festivalbesucher stehen also vergeblich in Schlangen; es reicht häufig nicht einmal, sich eine Dreiviertelstunde vor Beginn einzureihen. Draußen ist es leichter. Zwar kommt man auch nicht ohne weiteres auf den zentralen Spielbudenplatz, aber viele Leute können sich um die Festivalzäune herum versammeln und sich von dort aus die Open-Air-Konzerte anschauen. „Bitte tanzt nicht“, heißt es von der Bühne. „Das kann im schlimmsten Fall zum Abbruch des Programms führen.“ Es ist gut, natürlich, dass das Coronavirus von den Veranstaltern so ernst genommen wird, und dass es klare Regeln gibt, die durchgesetzt werden, aber es ist trotzdem fürchterlich deprimierend, dass diese Regeln achtzehn Monate nach Pandemiebeginn immer noch notwendig sind – und dass sie dazu führen, dass so viele Menschen in keinen Club kommen.
Also: Draußen vor dem Spielbudenplatz, über den Zaun des Festivalgeländes schauend. Die Zürcher Band Black Sea Dahu spielt sehr schönen Folk-Pop, gitarrenbasiert, dicht instrumentiert, tief empfunden, aber nicht kitschig. Die Schweizer freuen sich über die vielen Zuhörer, die jenseits des Festivalsgeländes stehen, und winken herüber. Familien kommen vom Klimastreik und bleiben stehen. Ein Kind sitzt auf den Schultern seiner Mutter und versucht mitzusingen. Süß. Es hustet heftig in meine Richtung. Vielleicht doch nicht so süß.
Später am Abend doch noch einmal der Versuch, in einen Club zu kommen. Im Molotow spielen die Pillow Queens, eine tolle irische Indie-Rock-Band. Aber es sieht schlecht aus. Die Schlange ist lang, die Kapazität naturgemäß begrenzt. Das Konzert beginnt schon, und draußen stehen noch Hundert Leute, die nun darauf hoffen müssen, dass es sich drinnen jemand anders überlegt. Durch die Fenster, durch die Vorhänge sieht man die Band von hinten auf der Bühne stehen. Nach einer Viertelstunde, in der sich nichts tut, will ich aufgeben. „Warte nochmal so fünf Minuten“, sagt der Sicherheitsmann. „Ich hab ein gutes Feeling.“ Ich warte. Es ist doch aussichtslos, denke ich. Warum sollte jemand mitten im Konzert einer so guten Band gehen? Nach viereinhalb Minuten öffnet sich die Tür. Jemand hat sich entschlossen zu gehen. Der Sicherheitsmann winkt mich hinein. Ein gutes Feeling.