Reden, reden, reden
Juni 2001 Jochen Distelmeyer, Sänger der Hamburger Band Blumfeld, über Randy Newman, verstörte Journalisten und den Umgang mit der Vergänglichkeit.
Wir sitzen im Restaurant Überseebrücke, einem hässlichen 60er-Jahre-Bau am Hamburger Hafen, in dem das ebenfalls in der Hansestadt beheimatete Quartett Blumfeld schon vor gut zwei Jahren gastierte, um zu reden, reden, reden, reden. Es ist früher Abend, und die grauen Wolken, die uns zusammen mit Graupel, Hagel und heftigen Regenschauern durch den Tag begleitet haben, verziehen sich langsam. Ey, Jochen, wir müssen mal sprechen.
Jochen Distelmeyer, Sänger und Dichter, Gitarrist und Denker ist heute mit einer Calvin-Klein-Jeansjacke am Start, um einen Vortrag über Liebe, Angst, Politik und das vierte Blumfeld-Album „Testament der Angst“ zu halten.
Zunächst jedoch blickt Jochen zurück und vergisst dabei auch die ganz Großen nicht: „Ich war felsenfest davon überzeugt, dass unsere letzte Platte ‚Old Nobody‘ die beste Platte des Jahres 1999 werden würde, also weltweit. Und die einzige Platte, die damals noch um die Ecke gebogen kam, war Randy Newmans ‚Bad Love‘. Ein Hammeralbum. Von vorne bis hinten perfekt. Besser geht es nicht. Genau wie zwei Jahre zuvor Dylans, Time Out Of Mind‘. Aber fast niemand hat die Chance beim Schopf gepackt, mal die Zeitströme außer Acht zu lassen und diese Platten als Geschenk anzusehen.“
Während der Spargel aufgetischt wird, ist Jochen schon wieder bei einem anderen Thema. Es geht, wie im Song „Eintragung ins Nichts“, um den Umgang mit der Vergänglichkeit: „Wie können wir, vor dem Hintergrund, dass unser Planet und wir alle Eintragungen ins Nichts sind, die Notwendigkeit und Dringlichkeit von Engagement, Solidarität und Anteilnahme verinnerlichen? Das Naheliegendste, nämlich einfach alles zu versuchen, um eine gute Zeit zu haben, ist mir vor dem Hintergrund, dass die Angst und der Schmerz, Ich‘ sagen, mein Glück aber, Wir‘ sagt, einfach zu wenig.“
Das Wirrwarr an Vergleichen mit George Michael bis zu Prefab Sprout, das zahlreiche Musikjournalisten zu „Old Nobody“-Zeiten entwarfen, während eine besonders schmalspurige Indie-Fraktion die Wortgewalt von „Ich-Maschine“ und „L’etat et moi“ vermisste, sieht Distelmeyer in einem außerordentlichen „Grad an Verstörtheit“ begründet: „Man suchte Fallbeispiele, die zur Erklärung der Platte heranziehbar waren. Eine absolute Überhöhung der Band Blumfeld, die irreführend ist.“ Und einen manchmal so kirre machen kann, dass man Bonmots am Fließband produziert: „Paul Celan hat mal gesagt, dass … äh, Moment mal, oder hab ich selbst das gesagt?“ Und über das leicht abgewandelte Zitat der Münchener Freiheit im Text zu „Graue Wolken“: „Das ist von denen? Kann sein. Ich dachte, ich wäre selbst auf diesen genialen Einfall gekommen, aber war wohl wieder nicht so. Das muss irgendwie in mein Unterbewusstsein gesackt sein.“
Viele Stunden später sitzen wir immer noch da, und langsam wird es Nacht. Zwei der drei restlichen Bandmitglieder, die dem Gespräch in meist stiller Andacht lauschten, sind längst verschwunden. Einen Brief schreiben, zum Fitnesstraining. Jochen aber möchte noch plaudern. Über Springsteen, Dylan, David Lynch und Ingmar Bergman.
Am Hafen ist keine Menschenseele mehr. Lediglich ein einsamer Wanderer geht seines Weges. Die Lampen leuchten – der Tag ist aus.