Rebel Music
Rockabilly-Aufmüpfigkeit, die Energie des Rock, der anarchische Drive jamaikanischer Popkultur und der jedem Ausverkauf trotzenden Geist des Untergrund-HipHop - all das findet sich in diesem Monat auf dem SOUNDS-Sampler. Dabei gilt ein besonderes Augenmerk den "Rebellen" deutscher Zunge, die hier mit Hans Söllner, Bernadette La Hengst, Rocko Schamoni und Lydia Daher in all ihren Facetten vom bayerischen Liedermacher bis zur Slam Poetry Queen vertreten sind.
1) Tarne One: Graffic Traffic
(F. Gaag/R. Brown) Stayin‘ Up 3:08
„Graffic Traffic“ entstammt dem 2007 veröffentlichten Soundtrack zum Graffiti-Film „Wholetrain“. Regisseur und HipHop-Aficionado Florian Gaag aka Aero One hat dafür – man mag es kaum glauben – die kompletten Soundspuren selbst produziert und jede Menge Legenden als Gastrapper gewonnen: Unter anderem KRS-One, Planet Asia, Afura und O.C. rüsten den in klassisch-trockener Ostküsten-Manier daherkommenden Soundtrack mit ihren Reimen auf. Klar, dass hier auch Tarne One nicht fehlen durfte: Immerhin gilt der New Yorker Untergrund-Star selbst als Sprüher.
2) Genya Ravan: Love Is A Fire
(V. Poncia/J.Vastano) 3:31
Die Aufnahme stammt von Ravans in Eigenregie produziertem „Live“-Album aus dem Jahr 2005, das ein erfreuliches Comeback markierte, hatte die Sängerin doch nach ihrem Solo-Doppelschlag „Urban Desire“ und „And I Mean It“ seit Ende der siebziger Jahre nichts mehr von sich hören lassen. Hier nun kehrt sie zurück – inzwischen stolze 65 Jahre alt, bestens bei Stimme und mit der Soul-Power, die schon ihre frühe Arbeiten auszeichnete.
3) Little Juniors Blue Flames: Mystery Train
(Parker/Phillips) Sun Records 2:20
Junior Parker ist wohl am ehesten als Autor von „Mystery Train“, Elvis‘ Hitsong aus dem Jahre 1955, bekannt. Der Originalzug fährt dabei etwas langsamer als in der Elvis-Version (bei der sich Scotty Moore ein Riff von Junior Parkers Gitarrist Floyd Murphy und „Love My Baby“ borgte). Doch auch ohne Elvis klingt die musikalische Karriere des aus Memphis stammenden Sängers, Harmonikaspielers und Bandleaders eindrucksvoll genug. Ursprünglich ein Mitglied der Howlin Wolf Band und der Beale Streeters, gründete Parker 1952 die Blue Flames und nahm für Sun Records den fiebernden Boogie „Feelin‘ Good“ auf. Ende der fünfziger Jahre gelang ihm eine Serie von Klassikern auf Duke Records.
4) Charlie Feathers with Jody & Jerry: Get With It
(Chastain/Feathers/Huffman) Sun Records 1:59
Ob Feathers wirklich die Finger im Spiel hatte bei der Komposition „Blue Moon Of Kentucky“, die 1954 als B-Seite von Elvis‘ „That’s Alright“ erschien, ist umstritten. Sicher hingegen ist seine Autorenschaft des Elvis-Hits „I Forgot To Remember To Forget“. Glaubt man dem Farmerssohn und ehemaligen Countrysänger, lieferte er Elvis auch das Vorbild für dessen Rockabilly-Persona. Dabei blieb Feathers selbst der ganz große kommerzielle Erfolg verwehrt, auf Meteor brachte er aber spätere Rockabilly-Klassiker wie „Get With It“, „Tongue Tied Jill“ und „Bottle To The Baby“.
5) Hans Söllner: Am Freitag gibt’s Fisch
(Söllner) Trikont Records 4:29
Mitfühlend und unsentimental erzählt Söllner davon, wie ein pflichtbewusster Mensch in den Mühlen von Geschichte und Obrigkeit aufgerieben wird: „Am Freitag gibt’s Fisch“ ist die Geschichte eines Kriegsveteranen, der sich nach seiner Heimkehr verschuldet, den Hof, die Frau, seine Kinder verliert und dann, von Polizisten und Richtern in die Ecke gedrängt, zum Gewehr greift und Amok läuft… Söllners Helden sind oft tragische Figuren, Outlaws wider Willen: „Er hod bloß nochglo’n und obdruckt / er hod bloß abdruckt und glo’n / und an schuss für die tochter und an schuss für sein söhn / und an schuss für sei kindheit / und an schuss für sei land“. Was Söllners Figur mit seinem eigenen Leben gemein hat? Die oft ohnmächtige Wut gegen den Staat, seine Gesetze, die da oben.
6) Bernadette La Hengst: Freiheit ohne Sicherheit (
Hengst) Trikont Records 5:01
Pop ist tot! Das hatte Bernadette La Hengst noch vor zehn Jahren als Frontfrau der Grrrl-Pop-Band „Die Braut haut ins Auge“ verkündet. Natürlich war der Slogan nur eine ihrer charmanten Provokationen und das Gegenteil ist der Fall, wie sie auf ihrem dritten Soloalbum „Machinette“ beweist. Da geht es der Hamburger Songschreiberin und Musikerin mal wieder um die ganz grundsätzlichen Dinge: Liebe, Revolution, Zukunft und: „Freiheit ohne Sicherheit“. Ein elektronisch aufgerüstetes Soul-Arrangement über einer funky Basslinie treibt den gleichnamigen Song an, während Bernadette La Hengst vermeintlich altbekannte Sinnsprüche mit frischem Witz und neuen Wortkombinationen füllt. 7) Lydia Daher: Spar dir das Spektakel (
Daher) Trikont Records 4:43
„Es ist egal was du machst, es ist egal was du willst / einer will es mehr, einer kann es besser“ – so weit Lydia Daher in „Jenseits von Richtig und Falsch“. Das dazugehörige Album „Lydia Daher“ hat die arrivierte Poetry-Slammerin aus Augsburg 2006 in ihrer Studentenbude aufgenommen. Mit einem einfachen Computer-Programm, Westerngitarre, einem alten Casio und Kinderinstrumenten vertont die 20jährige Deutsch-Libanesin ihre Texte. Und, allem Anfängergeist zum Trotz: Was schon gesprochen durch seine hellsichtigen poetischen Spielereien besticht, gewinnt als Song noch einmal an Nuancen. „Dafür, dass ich es eigentlich nicht kann, kann ich es eigentlich ganz gut“, sagt Daher selbst. Stimmt.
8) Rocko Schamoni: Weiter
(Schamoni) Trikont Records 4:38
Manchen Jüngeren mag er vor allem als Autor des Bestsellers-Romans „Dorfpunks“ bekannt sein. Oder als Gagschreiber und Sprecher von Studio Braun, möglicherweise auch als Mitbetreiber des legendären Golden Pudel Clubs in Hamburg. In erster Linie aber ist Rocko Schamoni immer noch Popmusiker: Alles fing 1988 mit einem Album namens „Vision“ und Zeilen wie „Liebe kann man sich nicht kaufen, wie teuer ist Glück? So was gibt es nicht für Glück“ an. Fast 20 Jahre später findet der einstige Punk und Schlager-Dissident auf dem Album „Rocko Schamoni & Little Machine“ zu seiner bisherigen Höchstform: Mit Jonas Landschier, ansonsten auch Tastenmann für Jan Delay, und Matthias Strzoda am Schlagzeug hebt er eine deutschsprachige Soulvariante aus der Taufe, die so sehr nach Memphis wie Hamburg klingt, und bei aller kühlen Eleganz doch niemals nach den Charts schielt.
9) Klaus Renft Combo: Zwischen Liebe und Zorn
(Gläser/Pannach) Amiga/Sony BMG 4:50
Dieser durch eine leichte Flöten-Prise Jethro Tull verfeinerte Midtempo-Bluesrock gehört zu den eindrucksvollsten Hinterlassenschaften der Mannen um Klaus Jentsch. Ursprünglich 1972 als B-Seite der Single „Cäsar Blues“ erschienen, wurde der Song 1993 auf der Compilation „Zwischen Liebe und Zorn“ wiederveröffentlicht. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Renft Combo bereits stolze 35 Jahre auf dem Buckel, ihre Anfänge reichen zurück bis in die späten fünfziger Jahre. In den frühen Siebzigern galt Renft als die bekannteste und regimekritischste aller DDR-Bands. 1975 allerdings wurde sie wegen der „Rockballade vom kleinen Otto“, die das Thema Republikflucht behandelte, verboten. Erst nach dem Mauerfall konnte die Gruppe wieder gemeinsam arbeiten. Die ehemaligen Mitglieder Klaus Jentsch, Peter „jotr“ Kschentz und Heinz Prüfer sind inzwischen verstorben.
10) Lord Lebby: Ethiopia
(unknown) 3:00
Mitte der fünfziger Jahre bereits begann sich die Sound-System-Kultur auf Jamaika zu entwickeln. Wachsender Beliebtheit erfreuten sich auf den Parties an den Straßenecken von Trenchtown nicht nur amerikanische R’n’B-Originale sondern auch inseleigene Produktionen, die vornehmlich im Gewand des Folklore-Stils Mento daher kamen. Lord Lebby, geboren 1930 in St. Mary, Jamaica, war ein Sänger, der für verschiedene Bands und Orchester der Insel sang und gelegentlich 78er-Platten unter eigenem Namen herausbrachte. Die vorliegende Aufnahme erschien 1955 als Rückseite des „Dr. Kinsey Report“ und ist das wohl älteste bekannte Stück jamaikanischer Popmusik, das sich mit den Themen Afrika und Rastafari befasst. Ende der fünfziger Jahre begann sich aus dem Mento und Einflüssen des US-R’n’B der Ska zu entwickeln.
11) Martin Semmelrogge liest „White Line Fever“: Metropolis (Garza/Kilmister) Nuclear Blast 20:28
Das Kapitel aus den Memoiren des Motörhead-Gründers Ian „Lemmy“ Kilmister behandelt seine frühen Jahre als Roadie und Musiker in London und die Anfänge der Band Hawkwind. Alles Weitere zum Thema auf den Seiten 42/43. Zusätzlich gibt es auf dieser CD einen kurzen mpeg1-Filmausschnitt aus einer ‚Making Of‘-Dokumentation des Hörbuches zu sehen, abspielbar auf Mac und PC.