Ravi Shankar
Es war in einer Sommernacht im Jahr 1965, als Roger McGuinn während einer Party in Los Angeles George Harrison ein paar Licks vorspielte, die er sich von einigen Platten abgehört hatte. „George fragte: ‚Was ist das?'“, erinnert sich der Byrds-Gitarrist. „Ich sagte ihm, dass es indische Musik ist: ‚Ravi Shankar. Den solltest du dir unbedingt anhören.'“
Das war der Beginn von Shankars historischem Einfluss auf die Popmusik. Der indische Sitar-Virtuose und Komponist, der am 11. Dezember 2012 im Alter von 92 Jahren in San Diego verstarb, gehörte zu den bedeutendsten Künstlern Indiens – ein Meister des klassischen hindustanischen Ragas. Als Harrison ihn um ein paar Sitar-Stunden bat, trat sein Enthusiasmus bald auch in einigen Beatles-Songs zutage, zum ersten Mal 1965 auf „Norwegian Wood“. Der Zeitpunkt war perfekt gewählt.
„In den frühen Tagen der psychedelischen Phase ging es um die Suche nach Spiritualität“, sagt McGuinn, der seine Liebe zu Shankar in den Acid-Rock-Drone der Byrds-Stücke „Eight Miles High“ und „Why“ übersetzte. „Shankar war die musikalische Darstellung des Universums.“
Harrison beschrieb ihn 1974 so: Shankar, der für ihn ein Freund fürs Leben wurde, war „die erste wirkliche Kraft, die mir begegnete“, so der Beatle.
Geboren am 7. April 1920 als Robindra Shankar Chowdhury in Varanasi, Indien, tourte er in seinen Jugendjahren mit einer Gruppe von Musikern und Tänzern, angeführt von seinem Bruder Uday, um die Welt. Anschließend lernte er das Sitar-Spiel beim Vater seines Freundes und Sarod-Spielers Ali Akbar Khan. In seinen 1997 erschienen Memoiren „Raga Mala“ zog Shankar über seinen Lehrer ein eher ernüchterndes Resümee: „Baba strafte mich wegen meiner kraftlosen Handgelenke mit den Worten: ‚Kauf dir ein paar Armringe … Du benimmst dich wie ein kleines, schwaches Mädchen.“
Die ersten LPs mit westlichen Einflüssen nahm Shankar in den späten Fünfzigern auf. Aber es waren seine spirituelle Ausgeglichenheit und sein Improvisationstalent – besonders beim Monterey Pop Festival und Harrisons Konzert für Bangladesch -, die das anfangs skeptische Rock- Publikum elektrifizierten. „Seine Musik wirkt niemals intellektuell, obwohl sie unglaublich komplex ist“, sagt Allman-Brothers-Gitarrist Derek Trucks. Sein Lieblingsalbum von Shankar ist „Concerto For Sitar And Orchestra“ – eines seiner vielen Projekte, in denen er westliche Stile und Musiker mit epischen Ragas verband, wie zuletzt bei einem Konzert im November vergangenen Jahres.
Einen Tag nach seinem Tod wurde Shankar mit einem Grammy fürs Lebenswerk geehrt. 2005 sagte er in einem Interview: „Ich habe nie darüber nachgedacht, was hinter uns liegt, sondern was wir noch alles erreichen können.“ david fricke