Raver im Bierzelt
Der manische Blick ist Vergangenheit. Seine Augen blinzeln freundlich wie die eines verantwortungsvollen Familienvaters. Der inzwischen silberhaarige Bez, Markenzeichen, Maskottchen und mit Maracas-Rasseln bewaffneter Eintänzer der Happy Mondays, moderiert seine eigene Band an. Später lacht er schelmisch, als könne er es nicht glauben, dass eine derartige Veranstaltung im Jahr 2013 möglich ist.
Die wildgewordenen Erziehungsberechtigten haben eine Party ihrer halbwüchsigen Kids übernommen. Ein bleibender Eindruck, der nicht zuletzt der Bierzeltatmosphäre des mit 2.000 Gästen nur zur Hälfte gefüllten Brighton Centres geschuldet ist.
24 Jahre nach dem „Second Summer Of Love“ hat sich das sprichwörtliche „Madchester“ in ein sehr weltliches „Dadchester“ verwandelt. Der wie ehedem sonnenbebrillte und belederjackte Sänger Shaun Ryder, ausgerüstet mit Wasserfläschchen (ein halber Liter muss reichen!) kann es nicht fassen, dass der Zahn der Zeit derart aktiv ist.“War das jetzt 1989 oder 2007?“, stellt er fragend in den Raum, bevor er sein obligatorisches, langgezogenes „Haaalayloojur“ raunt. Auch er hält sich vornehm zurück beim nunmehr dritten Comeback der Rädelsführer der „Rave-o-lution“ und beim Anhang ihrer letztjährigen „Greatest Hits“-Tour.
Vielmehr stiehlt ihm Sängerin Rowetta die Show -selbsternannte Miss Manchester und genaugenommen kein Originalmitglied, sondern erst 1990 rekrutiert -zehn Jahre nach der Bandgründung im berüchtigten Stadtteil Salford. Unmissverständlich schiebt sie sich im Domina-ähnlichen Outfit in den Vordergrund, selbst wenn sie zwischendurch nur das Tamburin zu halten hat, so als ginge es hier allein um ihre Rente. Manche der Rave-Gassenhauer, von „Kinky Afro“ über „Stinkin Thinkin“ bis hin zu „Sunshine & Love“, klingen, als könnte die Geschwindigkeit noch ein wenig besser justiert werden. Dennoch imponieren die alten Partyhelden durch ein sehr kompaktes Auftreten. Der Groove stimmt, und Mark Days Gitarrenarbeit, insbesondere bei „Wrote For Luck“, verdient einen zusätzlich hochgehaltenen Daumen. Schließlich muss es nicht immer ein Stone-Roses-Reunion-Gig sein!
Dass der wegen eines Beinbruchs fehlende Gary Whelan durch einen Session-Drummer ersetzt wird, fällt nicht weiter ins Gewicht. Und Bez? Der lacht womöglich auch, weil er an diesem Abend mit Kurzarbeit davonkommt: Zweieinhalb Stücke tanzend auf der Bühne, eine Anund eine Abmoderation, einmal Rowetta an den Hintern packen – das war’s für ihn.
Nach anderthalb Stunden werden alle ehemaligen „24 Hour Party People“ in die Nacht entlassen, um die Babysitter auszulösen.
Eine Frage hätten wir dann noch: Bleiben uns die Mondays dieses Mal für länger erhalten? Können sie es vermeiden, ohne aktuellen musikgeschichtlichen Überbau auf Bierzelt-Niveau abzurutschen? Ein neues Album soll jedenfalls in Arbeit sein. Die Liste der blumigen Arbeitstitel reicht von „Lollipop Man“ über „Mambo Jumbo“ bis zu „Designer Vagina“. Vorher aber will uns Shaun Ryder, der im Herbst auf „History Channel“ eine Serie über UFOs moderieren wird, nachdem er bereits im Dschungelcamp auftrat und seine Memoiren schrieb, mit einem Solowerk beglücken -Ryders einzige Chance, Rowettas Dominanz noch einmal zu entfliehen.
„Fast geschafft!“, zieht Ryder beim vorletzten Stück „Step On“ die kaum noch sichtbaren Augenbrauen hoch. Und flucht an diesem Abend zum tatsächlich allerersten Mal. Ein vorbildlicher Dad – auch er!