Raus aus der Wohlfühlzone
ISLANG MUSSTE MAN sich gut mit traditioneller US-amerikanischer Musik auskennen, um auf Aoife O’Donovan zu stoßen. Die in New York lebende Sängerin und Songschreiberin nimmt seit zehn Jahren Alben vor allem mit der progressive string band Crooked Still aus Boston auf, die zwar Randbereiche der US-Folklore ausleuchtet, den alten Tugenden aber verbunden bleibt.
Ihr famoses Solodebüt „Fossils“ wird nun ein anderes Publikum interessieren. Gemeinsam mit Indies liebstem Produzenten, Tucker Martine (Decemberists, R. E. M., My Morning Jacket), nahm sie (natürlich) in Portland Lieder auf, in denen das Folkloristische zwar wieder eine Rolle spielt, jedoch mehr zu einer um einige freiere Indie-Anleihen erweiterte Americana-Songwriter-Ästhetik wird.
Das Album sei keine Abkehr von ihren musikalischen Wurzeln, es zeige nur eine andere Facette, erklärt die in Newton, Massachusetts geborene O’Donovan, die kurz und knapp antwortet und gar nicht so weich und ätherisch spricht, wie man ihrem Gesang nach vermuten könnte. Die eigenen Lieder aufzunehmen, habe sie schon lange geplant, allein die Zeit habe gefehlt. „Ich wollte das nicht zwischendurch machen und ein paar selbst gebrannte CDs am Merchandise-Tisch verkaufen. Im November bin ich 30 geworden – es ist ein Klischee, aber es fühlt sich tatsächlich richtig an, nun mit etwas Neuem zu beginnen.“
Aoife O’Donovan (der Vorname spricht sich übrigens EEE-fah) ist die Tochter irischer Einwanderer, die 1980 aus West Cork nach Massachusetts kamen. Der Vater ist Brian O’Donovan, ein in den Sechzigern aktiver Folk-Gitarrist, der jetzt für den Bostoner Sender WGBH eine Radioshow namens „A Celtic Sojourn“ moderiert, die Mutter eine Kirchenorganistin. Überhaupt, die ganze Familie, zu der neben Aoife zwei Töchter und ein Sohn gehören, scheint ziemlich musikalisch zu sein -O’Donovan nennt die irische Familienmusik einen zentralen Einfluss. Sie ist eine Absolventin des New England Conservatory of Music in Boston, wo sie bis 2003 studierte; der akademische Umgang mit keltischer Musik und ihrer US-amerikanischen Inkarnation prägt die Musik von O’Donovan und ihren Bands und Projekten auf eine gute Art und Weise.
Allein mit einem Produzenten wie Martine aufzunehmen, war für die Ensemble-Musikerin eine ganz neue Erfahrung. „Ein bisschen erschreckend“ sei das gewesen, weil sie anders als sonst alle Entscheidungen allein treffen musste. „Tucker hat mich aus meinem Wohlfühlbereich geschubst“, berichtet O’Donovan. „Einmal kam ich morgens ins Studio, und dort saßen Musiker, die ich noch nie zuvor gesehen hatte und mit denen ich dann einen Song aufnehmen sollte. Das war ziemlich ungewohnt für mich, weil ich die Dinge sonst gern fest in der Hand habe. Aber durch diesen spontanen Moment bekam das Lied eine sehr schöne Dynamik -es ist jetzt eines meiner liebsten auf dem Album.“