Rastlos wie eh und je hat John Cale sich wieder von allen Restriktionen befreit
John Cale wiederholt sich ungern. Wenn man ihn auf sein letztes Album „Hobo Sapiens“ anspricht, schlägt einem eine Art Ekel entgegen. Nicht, weil er es nicht mehr mag, sondern weil ein fertiges Stück Musik ihn nicht mehr interessiert. Was im Studio eine Befreiung für Cale war – Spur um Spur mit Hilfe von Pro Tools und Logic alleine einzuspielen -, wurde ihm später zum Verhängnis: „Ich war mit ‚Hobo‘ auf Tour und habe mit der Technologie gerungen. Es ist nichts Schlimmes passiert, aber wenn man so auf Computer und Samples angewiesen ist wie bei dieser aufwendigen Produktion, bewegt es sich nicht mehr. Deshalb bin ich dieses Mal einen anderen Weg gegangen.“
Das kann man wohl sagen. „Black Acetate“ ist ein schlankes, an einigen Stellen hart rockendes Album, natürlich auch mit den typischen Cale-Balladen und das ist die eigentliche Überraschung – einigen Funk-Nummern. „Ein guter Groove bringt die Dinge voran“, meint Cale. Zumal er mit Herb Graham Jr, der für Rhythmen und Produktion des Albums zuständig war und bereits für Macy Gray arbeitete, einen Partner hatte, der sich auf diesem Gebiet bestens auskennt.
Der Hauptimpuls für dieses glasklare und direkte Album kam allerdings von anderer Seite: „Ich hörte zufällig (Snoop Doggs und Pharrell Williams‘) ,Drop It Like It’s Hot‘, und das hat mich umgehauen. Das Erstaunliche ist: In dem Stück passiert eigentlich nicht besonders viel, aber das, was passiert, ist einmalig: tongue clicking, ein drum track, eine Stimme und Frauen im Hintergrund. Das war’s. And da merkte ich, daß wir auf der falschen Fährte waren, das alles wesentlich minimalistischer werden mußte.“ Bis dahin hatte Cale schon 48 Songs für das neue Album geschrieben und teilweise aufgenommen. „Ich hatte keine Lust, alles nochmal zu überarbeiten, daher ist viel liegengeblieben, einige Hardcore-Funk-Nummern etwa. Vielleicht arbeite ich nochmal dran, aber vieles davon interessiert mich auch schon nicht mehr.“
Cale recherchierte weiter und begeisterte sich immer mehr für zeitgenössische schwarze Produzenten. „Ich liebe den Sound von Dr Dre und den Neptunes. Der war für ,Black Acetate‘ maßgeblich. Das Album ist sehr vielfältig – Rock, Funk, Country, Soul -, aber was es zusammen hält, ist der minimalistische Ansatz und die Art, wie es klingt.“
Und der Albumtitel steht für diesen schwarz glänzenden Sound? „Nein, ich habe ihn nur gewählt, weil man Acetat-Platten nur wenige Male abspielen kann, dann sind die Rillen durch“, lacht Cale. „Im Ernst: Natürlich weist der Titel auch zurück. In den 60er Jahren bekam man, wenn man eine Platte machte, erstmal eine Acetat-Testpressung mit nach Hause. ,Black Acetate‘ verweist auf die simple Art, auf die früher Platten entstanden, und er sagt auch: Dies ist nicht ,Hobo Sapiens‘.
„Brotherman“, der vielleicht interessanteste, ganz sicher aber verstörendste Track auf „Black Acetate“ verweist allerdings durchaus auf den geheimnisvollen Vorgänger. Ein schlichter Loop, Goth-Electronic und ein raunender, undurchdringlicher Sprechgesang: „Very uncomfortable, but you’re feeling it.“
„Es begann eigentlich als Witz. Ich stand im Studio und redete irgendein albernes Zeug vor mich hin, da bemerkte ich, daß die anderen lachten, und habe weiter gemacht. Das ergab zunächst überhaupt keinen Sinn, bis es dann im weiteren Bearbeitungsprozeß irgendwann Gestalt annahm. Das macht die moderne Studiotechnik für mich so interessant. Sie bietet mir ein Gedächtnis, das mir innerhalb kürzester Zeit einen Zugriff auf die Sachen ermöglicht, die ich improvisiert habe. Ich kann mir alles anhören und gegebenenfalls bearbeiten.“
Auch den vor kurzem erschienenen, allerorten hoch gelobten Soundtrack zu CS Leighs Selbstmord-Drama „Process“ hat er auf diese Weise komponiert. Und mit Leigh arbeitet Cale zur Zeit auch an einem Drehbuch zu einem Film mit dem Titel „Everybody Had A Camera“. Worum es da gehe, will ich wissen. „Um einen jungen Musiker, der von Europa nach New York kommt und dort mit der Kunstszene in Kontakt kommt“, sagt Cale. „Es geht um die Engstirnigkeit, der er da begegnet, aber auch um die Möglichkeiten, die er dort vorfindet, und die verschiedenen Geister, mit denen er zusammentrifft. Sein Hauptziel ist es zunächst, ein klassischer Komponist zu werden. Er will der neue Mozart werden.“ Da muß Cale selbst lachen. Klar, um wen es sich da handelt.
Als er Anfang der 60er als junger Musikstudent ein Leonard-Bernstein-Stipendium an der Berkshire School of Music in Tanglewood/Massachusetts erhielt, ließ er London und seine Eltern in Wales hinter sich und brach in die neue Welt auf. Nach Ablauf seines Studienaufenthalts löste er sein Rückflugticket gegen ein Loft auf der Lower East Side von Manhattan ein. Tauchte in die Stadt ein, reagierte mit ihr. „Ich kam über die elegante und verdiente Welt der europäischen Klassik nach New York“, erinnert Cale sich in seiner Autobiographie „What’s Welsh For Zen“, „aber eigentlich suchte ich nach der Revolution unter dieser Oberfläche. Es waren die Nebenschauplätze der Boheme, auf denen neue Ideen entwickelt, diskutiert und wieder verworfen wurden und neue Stilrichtungen der einheimischen Avantgarde eine Stimme bekamen.“
Cale traf neben Künstlern wie Warhol, Rauschenberg und Ginsberg, die alle durch ein Netz von Liebhabern miteinander verbunden waren, auch auf seine musikalischen Mentoren La Monte Young und John Cage, die Cales musikalisches Verständnis und sein immer wiederkehrendes Bedürfnis, sich für seine Arbeit einen starken Partner – wie etwa Lou Reed, Terry Riley oder Brian Eno – zu suchen, prägten. „Musik ist immer vor allem ein Lernprozeß und entsteht in einer Gemeinschaft von Menschen – diese Einstellung habe ich damals in New York entwickelt.“
In seinen Anfängen in New York war Cale 1963 auch einer von elf Pianisten, die unter John Cages Leitung Erik Saties knapp zweiminütiges Klavierstück „Vexations“ uraufführten, das nach Vorgabe des Komponisten 840 mal wiederholt werden sollte und damit heute als das erste Stück der Minimal Music gilt. Die Faszination für das Minimalistische hat Cale sich über all die Jahre bewahrt. Aber ein und dasselbe Stück 840 Mal wiederholen zu müssen, das würde er sich heute nicht mehr gefallen lassen.