RareTrax

In diesem Monat besuchen die "Rare Trax" eine besonders geschichtsträchige Gegend der USA: das Mississippi-Delta. Eine Zeitreise an die Wurzeln von Blues und Rock'n'Roll

Das Mississippi-Delta ist der Ausgangspunkt einer der einflussreichsten Bluesspielarten überhaupt. Durch die ersten 78s erstreckte sich der Delta Blues in den 20er Jahren schon bald weit über seinen Ursprungsort hinaus und inspirierte regionale Variationen wie den Chicago- und Detroit Blues. An der Genese dieser Spielarten waren natürlich vor allem Delta Bluesmen wie John Lee Hooker und Muddy Waters beteiligt, die gen Norden zogen, um dort in wirtschaftlich schlechten Zeiten ihr Glück zu suchen. Doch die Bedeutung des Delta Blues geht über eine rein musikalische hinaus: In Zeiten, als die schwarze Bevölkerung des Südens unter der Feudalherrschaft weißer Plantagenbesitzer litt, war er als Kultur der Ausgegrenzten die erste subkulturelle Bewegung in der Popmusik.

Das Mississippi-Delta erstreckt sich etwa von Memphis/Tennessee im Norden bis nach Vicksburg/Mississippi im Süden und wird im Westen durch den Mississippi und im Osten durch den Yazoo River begrenzt. Nicht alle Delta-Blues-Künstler stammen auch aus dieser Region. Einer der Bekanntesten, Skip James, beispielsweise stammte aus Bentonia/Mississippi, das genau genommen etwa 25 Meilen außerhalb des Deltas liegt. Im südöstlichen Arkansas und im südwestlichen Tennessee – ebenfalls außerhalb des Deltas – gab es ähnliche musikalische Entwicklungen, die mittlerweile ebenfalls häufig zu diesem Genre gerechnet werden. Charakteristische Delta-Blues-Tracks erkennt man eher an ihrem Sound als an der geografischen Herkunft ihrer Schöpfer. Es ist dieser rohe Sound, der dieser Musik, besonders in einer weißen Lesart, in den 60er Jahren die Aura der Ursprünglichkeit gaben – die durch Messer, Flaschenhals oder gefertigtes bottleneck erzeugte Slidetechnik auf der akustischen Gitarre, der eindringliche Gesang und vor allem der treibende Rhythmus.

Gleich das erste Stück auf unseren „Rare Trax“ fällt jedoch aus diesem gerade gezimmerten Rahmen. „Muddy Waters (A Mississippi Moan)“ von BESSIE SMITH aus dem Jahr 1927 ist in diesem Sinne kein Delta Blues. Doch es waren weibliche Performer wie Smith, die die Musik aus dieser Region national bekannt machten – und die im Gegensatz zur Mehrzahl ihrer männlichen Kollegen kommerziell erfolgreich waren. Bessie Smith galt in den USA als „The Empress of the Blues“ und zog für Plattenaufnahmen mit Begleitmusikern wie Louis Armstrong nach New York.

MISSISSIPPI FRED McDOWELL aus Rossville/Tennessee blieb dagegen eigentlich sein Leben lang auf seiner Farm und wich niemals von seinem ursprünglichen Folk-Blues ab. Seine ersten Aufnahmen machte er erst im Alter von 55 Jahren, als Folkarchivar Alan Lomax ihn 1959 entdeckte. McDowell wurde in den 60ern vor allem unter weißen Musikern zu einem wichtigen Einfluss. Die Rolling Stones coverten sein „You Gotta Move“ auf „Sticky Fingers“.

McKinley Morganfield alias MUDDY WATERS wurde Anfang der 40er ebenfalls von Alan Lomax entdeckt und gab den Rolling Stones sogar ihren Namen. Im Delta war er als fahrender Sänger schon länger berühmt, 1943 zog es ihn nach Chicago, wo die großen Plattenlabels jedoch zunächst kein Interesse an ihm zeigten. Das sollte sich erst 1948 mit seiner heimwehkranken Single „I Feel Like Going Home“ ändern.

Eddie James House Jr. aus Riverton/ Mississippi, besser bekannt als SON HOUSE, ist einer der einflussreichsten Sänger und Gitarristen des Delta Blues. Vor allem „My Black Mama“ machte einen großen Eindruck auf den jungen Robert Johnson. House wurde später für Johnson eine Art Mentor und er war es auch, der in den 60er Jahren die Legende verbreitete, Johnson habe an den Crossroads einen Pakt mit dem Teufel geschlossen.

„Cross Road Blues“ war einer von gerade mal 29 Songs, die ROBERT JOHNSON vor seinem frühen Tod 1938 aufnahm. Gerade mal zwei Aufnahmesessions reichten aus, um ihn zum bekanntesten und wichtigsten Vertreter des Delta Blues zu machen. Sein Genie bestand vor allem darin, die Charakteristika von Künstlern wie Son House, Skip James und Lonnie Johnson in seinen Songs zu vereinen und daraus einen neuen Sound zu destillieren.

Die neben den Robert-Johnson-Songs wohl epochalsten Delta-Blues-Aufnahmen stammen von Nehemiah Curtis alias SKIP JAMES, der Ende der 20er, als er in Bentiona/ Mississippi illegal Whiskey brannte, seinen Drei-Finger-Picking-Stil entwickelte und nach einem Talentwettbewerb in Jackson/Mississippi die Gelegenheit bekam, in Grafton/Wisconsin erste Plattenaufnahmen zu machen. „Devil Got My Woman“ ist wohl der bekannteste Song dieser legendären Sessions.

ARTHUR CRUDUP erlangte weniger durch Originalaufnahmen als durch die Cover-Versionen seiner Songs „That’s All Right, Mama“, „So Glad You’re Mine“ und „My Baby Left Me“ von Elvis Presley Berühmtheit. Doch Crudup, den es Anfang der 40er aus dem Delta nach Chicago zog, war selbst ein eindrucksvoller Stilist. TOMMY JOHNSON ist neben Son House und Charley Patton die wichtigste Figur des Prä-Robert-Johnson-Delta-Blues. Wie sein Namensvetter hat auch Tommy Johnson nur kurze Zeit im Aufnahmestudio verbracht. Die überlieferten Songs sind ebenfalls von bestechender Intensität und werden von Legenden um den sexsüchtigen Trunkenbold unterfüttert. Im „Canned Heat Blues“ thematisiert er seine Sucht.

Booker T. Washington White aus Houston/Mississippi machte Anfang der 30er erste Aufnahmen seiner Songs zwischen Gospel und Blues. Vier Songs wurden schließlich unter dem Namen BUKKA WHITE veröffentlicht. Wegen Mordes verbrachte er danach drei Jahre im Strafvollzug. Nach seiner Entlassung hatte White zwölf neue Songs. Mindestens einer davon, „Fixin‘ To Die“, wurde zum Klassiker.

Ein Klassiker des Delta Blues ist ohne Frage CHARLEY PATTON, der erste Star des Genres. Patton war einer der Architekten des stark synkopierten Rhythmus, den er durch Schläge auf seine Gitarre und Fußstampfen noch verstärkte. Der kleine Mann verfügte über die wohl eindringlichste Stimme des Delta Blues und war ein großer Entertainer, der schon damals mit seiner Gitarre Sachen anstellte, für die Jimi Hendrix später berühmt wurde.

MISSISSIPPI JOHN HURT aus dem winzigen Dorf Avalon/ Mississippi hatte mit seiner sanften Stimme und seinem subtilen Ragtime-Picking nicht Pattons Energie, jedes Barrelhouse zum Kochen zu bringen. So sind seine wenigen Studioaufnahmen wirklich die Essenz seines Schaffens und gehören zu den schönsten Momenten dieser Ära.

Ein Status, den JOHN LEE HOOKER aus Clarksdale/Mississippi in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bis zu seinem Tod 2001, inne hatte. Seine ersten Aufnahmen machte er 1948, „Boogie Chillen“ wurde gleich ein Hit Gerade bei den frühen, rhythmisch sehr freien Aufnahmen mit ihren improvisierten Phrasierungen sind seine Wurzeln im Delta Blues noch sehr deutlich.

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