Rare Trax
Das "CNN der Schwarzen" steckt in der Dauerkrise. Mit der März-CD erinnern wir an die Wurzeln des Hip-Hop als sozial und musikalisch relevante Protestbewegung.
HipHop Is Dead“ heißt ein Album des Rappers Nas. „Hip-Hop is dead“, lautet auch die Diagnose zahlreicher Kulturkritiker. Als Todesursache diskutiert man die zunehmende Erstarrung in Stereotypen und Klischees. Von der kreativen nachbarschaftlichen Block-Party entwickelt sich das Genre immer mehr zu einer Arena für Ellbogenstarke Einzelkämpfer. „Bling Bling“, ursprünglich ein Begriff für protzigen Schmuck, wurde zum Synonym für den aktuellen Status des Mainstream-Hip-Hop: Außen glänzend – innen hohl. Mit dieser Ausgabe der „Rare Trax“ möchten wir zeigen, dass es auch anders geht.
01 Gleich im ersten Stück ist die Welt kein Schmuckgeschäft mehr, sondern ein „Auditorium“: „Smile on my face but it’s really no joke/ You feel it in the street where people grieve without hope“, rappt MOS DEF zu einem nahöstlich inspirierten Soundtrack des Produzenten Madlib. Später übernimmt Slick Rick und beschreibt sein irritierendes Treffen mit einem Jungen im Irak: „What’s wrong G, hungry? No, give me my oil back, get the fuck out of my country!“
02 Bei „A Little Bit Of Riddim“ von MICHAEL FRANTI & SPEARHEAD hört man sofort, wer an den Reglern saß: Sly & Robbie haben diese Hymne auf die freie Meinungsäußerung als vorwärts stürmendes Reggae-Stück produziert. Seit er 1986 die Industrial-Hip-Hop-Band The Beatnigs gründete, gilt Franti als engagierter politischer Aktivist.
03 Die britische Tageszeitung „The Times“ wählte 2008 den Autor und Dub-Poeten BENJAMIN ZEPHANIAH unter die 50 besten Nachkriegsautoren. „Responsible“ zeigt, warum: Mit seiner an Linton Kwesi Johnson erinnernden Bassstimme ermahnt er Testosteron-strotzende Jungmänner in prekären Lebensverhältnissen: „You can’t blame unemployment every time you’re wrong.“ Sie sollen Frauen respektieren, Konsequenzen bedenken, Ziele entwickeln. Und nicht immer nur „dem Ghetto“ die Schuld zuschieben.
04 Viele halten „Searching For The Jan Soul Rebels“ für das beste Album von JAN DELAY. Einigen wir uns darauf, dass Songs wie „Ich möchte nicht, dass ihr meine Lieder singt“ deutlich persönlicher und engagierter sind als „Showgeschäft“. Delay mag inzwischen dem glamourösen Funk frönen, doch seine engagierte Haltung hat sich nicht geändert.
05 Wie DENDEMANN die deutsche Sprache und ihre Inhalte knetet, dreht und wendet, ist längst legendär, aber immer noch einen lang anhaltenden Beifall wert.
„Ersolchso“ ist – wer hätte das gedacht – die Fortsetzung von „Ich so, Er so“, dem zwölf Jahre alten Klassiker von Eins, Zwo. Mehr eleganter Wortwitz geht kaum.
06 Alte Hop-Hasen kennen ACEYALONE vielleicht noch von Freestyle Fellowship. Auf diesem Track von 2006 erzählt der Rapper die haarsträubend spannende Story von „Solomon Jones“, dem „a girl named Simone“ zum Verhängnis wird. Der DJ und Produzent RJD2 liefert dazu eine burlesk comichafte Musik auf der Basis eine Allen-Toussaint-Samples.
07 Als Whitey Ford ist EVERLAST auf einen der Paten des Kap gestoßen. Johnny Cash zeigte bereits 1955 einen grimmigen Sinn für Realität: „I shot a man in Reno just to watch him die.“ Die Neuauflage des „Folsom Prison Blues“ wurde von DJ Muggs mit dem Beat des Cypress-Hill-Klassikers „Insane In The Brain“ unterlegt.
08 Die britische Rapperin SPEECH DEBELLE gewann letztes Jahr den renommierten Mercury Prize. Ihr fiebrig vorgetragenes, aber von ruhigen Beats und Streichern begleitetes „Finish Album“ zeigt warum: So persönlich, intim und verletzlich klingt Hip-Hop nur selten.
09 URSULA RUCKER spricht ihre vom Feminismus geprägten, oft bitteren Texte sanft und eindringlich. Mit „What???“ beklagte sich die Poetin aus Philadelphia bereits 2001 über die fragwürdigen Inhalte vieler Hip-Hop-Texte.
10 GONJASUFI ist eine bärtige Mischung aus komischem Heiligem, drogengestörtem Hippie und psychedelischem Hip-Hopper. Sein Debütalbum „A Sufi And A Killer“ erscheint im März, „Kobwebz“ gibt einen kleinen Vorgeschmack auf dessen großen Wahnsinn.