Rare Trax
Psychedelische Science-Fiction: Mit den „Rare Trax begeben wir uns diesen Monat auf einen Trip ins Herz des Space-Rock und beleuchten „"Alien Soundtracks" aus mehreren Jahr zehnten. Von Hawkwind bis zu den Flaming Lips
Die unendlichen Weiten des Alls waren in der Popkultur schon immer eine Metapher für das Fremde und Unvorstellbare – ein Kosmos voller Möglichkeiten: „Ich besaß keine menschliche Form mehr und landete auf einem Planeten, den ich als Saturn identifizierte“, zitiert John F. Szwed in seiner Sun-Ra-Biografie „Space Is The Place“ den Pionier des intergalaktischen Jazz. Sun Ra war überzeugt, in den 30er Jahren von Außerirdischen ins Weltall entführt worden zu sein.
Den Musikern der psychedelischen Ära reichte LSD, um in fremde Welten vorzustoßen. Aus Pop-Songs wurden ausufernde Klangreisen, getreu dem Spacemen 3-Motto: „Taking Drugs To Make Music To Take Drugs To“. Als Synthesizer bezahlbar wurden, sorgte das für einen musikalischen Quantensprung: Bands wie Hawkwind, Gong und all die kosmischen Kuriere aus deutschen Landen konnten nun ihre Science-Fiction-Fantasien adäquat in Musik umsetzen. Doch Space Rock ist nicht festgeschrieben auf den elektronisch blubbernden Rock-Sound der Siebziger. Mit unseren September-„Rure Trax“ möchten wir zeigen, wie vielfältig das Genre ist.
HAWKWINDs „Earth Calling“ ist eine atmosphärische Live-Aufnahme aus der fruchtbaren „Silver Machine“-Periode der Space-Rock-Ikonen. Vom späteren Mötörhead’Lemmy hört man wenig: Es geht allein um den Sound, der hier so extraterrestrisch und elektronisch klingt wie damals nur Krautrock. Als wär’s ein intergalaktischer Hilferuf, mäandert Robert Calverts Stimme in der zweiten Hälfte des Stücks durch den Meteoritenhagel der Synthesizer und Gitarren-Glissandi. Doch im Weltall hört dich niemand schreien.
„Archangel Thunderbird“ war so etwas wie der Hit des zweiten AMON DÜÜL Il-Albums „Yeti“. In dem detailbesessenen, fast schon orientalisch anmutenden Arrangement spürt man noch den Nachhall der Psychedelic-Ära, aber auch schon die brachiale Kraft des aufkommenden Hardrock, der viele Space-Rock-Bands über die Siebziger hinaus prägte. Bass spielte hier übrigens Dave Anderson, der später zu Hawkwind wechselte.
Aus einem sehr finsteren Paralleluniversum scheinen U.S. CHRISTMAS zukommen: Schwer und schleppend dröhnen die Gitarren von „In The Light Of All Times“, während Theremin und Synthesizer ein bedrohliches kosmisches Grundrauschen erzeugen. Nein, wir haben es hier nicht mit einem vergessenenjuwel der Siebziger zu tun. sondern mit dem erstaunlich dichten aktuellen Debüt einer fünfköpfigen Band aus North Carolina.
Mit dem Album „In A Pncst Driven Ambulance“ erreichten THE FLAMING LIPS 1990 erstmals ihr bis heute andauerndes kreatives Dauerhoch. An der in alle Richtungen auseinanderfliegenden Single „Unconciously Screamin'“ zeigte sich eine neue psychedelische Opulenz, für die neben dem Gitarristen Jonathan Donahue auch dessen Mercury Rev-Kollege Dave Fndmann verantwortlich war, der seitdem fast alle Fläming Lips-Alben co-produziert hat.
Weil man dem Australier Daevid Allen 1967 als Soft Machine-Gitarnst die Einreise nach England verweigerte, gründete der notorische Hippie in Frankreich die Band GONG. Die „Radio Gnome Imisible Trilogy“, auf der auch „Oily Way“ zu finden ist, handelt von Aliens, die in fliegenden Teekannen durchs Weltall reisen. Auch musikalisch scheint hier alles möglich: Elektronische Klangreisen, Wortspiel verliebte Hippie-Texte und die Space whispers von Aliens Lebensgefährtin Gilli Smyth, einer ausgeflippten Professorin an der Pariser Sorbonne. Allen und Smyth sind bis heute mit Gong unterwegs: Old hippies never die.
Kürzlich standen die zehn Musiker von CHROME HOOF auf der Bühne des Hamburger Knust-Clubs wie eine Truppe von Außerirdischen: Komplett gekleidet in silbern glitzernde Mönchskutten, spielten sie mit Blasern, Streichern und monströsen Analog-Synthesizern eine Musik, die an die orchestrale Wuchtvon Magma und Sun Ra erinnerte, aber auch an Disco und Metal. Kein Wunder: Leo Smee, derChrome Hoof zusammen mit seinem Bruder Milo gründete, spielt auch noch bei der Doom-Metalband Cathetral. „Circus 0000“ stammt vom zweiten Album „Pre-Emptive False Rapture“.
ROBERT CALVERTs „LordOf The Hornets“ erschien 1980 als Single, kurz nach Calverts Ausstieg bei Hawkwind. Der Song verbindet zickigen New-Wave mit bedrohlich wirkendem Futurismus: „And when he whispers commands in his megaphone/ They swarm to his call and he knows that he’s not alone/ He’s lord of the hornets.“ Die Band bestand überwiegend aus Hawkwind-Musikern, unter ihnen Calverts alter Freund Lemmy.
Die Plattenhrma Glitterhouse leistete sich vor einigen Jahren einen amüsanten Kult. In mysteriösen Infos wurde von einem Düsseldorfer „Progressive-Ambient-Projekt“ namens I berichtet, das in der Tradition von Neu! und Can stünde. Die Musik des schließlich veröffentlichten Albums, „I“, klang tatsächlich ganz schön abgefahren. Eben so, wie der „Ktire-Trax‘-Beitrag „Kistekopf‘, dessen Schwerelosigkeit etwas Überirdisches besitzt. Mit einer fingierten Enthüllungsgeschichte wurden schließlich die tatsächlichen Urheber des Albums vorgestellt: die Ur-Besetzung der Walkabouts.
MONSTER MAGNETs „Zodiac Lung“ hingegen ist alles andere als friedlich bekifft. Auch wenn das dazugehörige Debütalbum Rock handelt eben nicht nur vom Weltall, sondern auch von der durch Drogen evozierten Leere in den Köpfen.
Das britische Duo A.R. KANE schätzten Ende der Achtziger namhafte Kritiker wie Simon Reynolds und Diedrich Diederichsen. Bereits 1987 hatten Alex Ayuli und RudiTambala zusammen mit Colourbox als M/A/R/R/S die Sampling-Hymne „Pump Up The Volume“ produziert. Doch die beiden A.R. Kane-Alben waren deutlich experimenteller. Die Mischung aus Dub, schwebenden Klängen und einer seltsam poppigen Entrücktheit wurde von Shoegazer-Bands bewundert, beeinflusste aber auch spätere TripHop- und Ambient-Musiker. ,A Love From Outer Space“ stammt vom zweiten Album „i“, das übrigens nichts mit dem Nebenprojekt der Walkabouts zu tun hat.
Unsere kleine Weltraum-Reise beschließt kein Geringerer als Jason „Spaceman“ Pierce mit seiner Band Spiritualized, den legitimen Nachfolgern der legendären Spaceman 3. „True Love Will Find You In The End“ ist die Ende letzten Jahres in der Londoner Union Chapel eingespielte Live-Aufnahme eines Daniel-Johnston-Songs. Die verzweifelte Sehnsucht nach Liebe, die Johns ton in so vielen seiner großartigen Lieder besingt, gleicht hier dem Blick m den glasklar besternten Himmel einer Winternacht. Kein elektrisches Instrument stört diese Andacht. Streicher, Gospelchor, Piano und akustische Gitarren geben dem Song eine bewegende Spiritualität. Kosmisch, in einem ganz anderen Sinn.