Rare Trax
Der Ursprung des Dub liegt auf Jamaika, wo DJs Ende der 6oer Jahre bereits existierende Reggae-Tracks bearbeiteten, um sie in ihren mobilen Diskotheken, den Sound Systems, wirkungsvoller und tanzbarer klingen zu lassen. Allgemein bezeichnet Dub instrumentale Versionen von bereits existierenden Stücken,bei denen vor allem durch Hall- und Echo-Effekte die Bass- und Schlagzeug-Sounds verstärkt und einzelne Instrumentaltracks phasenweise ein- und ausgeblendet werden.
Der legendäre Produzent Lee „Scratch“ Perry veröffentlichte 1973 mit „Blackboard Jungle Dub“das erste Album, das ausschließlich aus Dubs bestand. King Tubby wurde dann 1975 mit seinen beiden Alben „King Tubby Meets The Upsetur At ‚The Grass Roots OfDub“ (hinter dem Upsetter verbirgt sich natürlich wiederum Lee „Scratch“ Perry) und „Surrounded By The Dreads At Tlie „National Arena“ der wohl erste auch international bekannte Dub-Künstler.
Schon die Genese des Reggae – der entstand, als sich jamaikanische Musiker amerikanischen und britischen Rfe?B aneigneten u nd langsamer, mit synkopischen Rhythmen nachspielten – war ein Musterbeispiel für Entwicklungen im grenzenlosen System Pop. Und so, wie R6?B importiert wurde, wurde natürlich auch die Dub-Technik exportiert, hielt in zahlreichen Variationen bald Einzug in die große Welt. Die britische Punkszene erwies sich als Dub-affin, eine Zeitlang gab es wohl keine Single, auf deren B-Seite sich kein Dub-Mix befand. 1981 gelang den Briten von UB40 mit „Present Arms In Dub“ schließlich sogar der Einzug in die UK Top 40. In den Neunzigern arbeiteten Tanzmusiken vom (weißen) Techno bis zum Jungle mit Dub-Techniken, Variationen wie Dubstep und Dubtronic entstanden, und heute wundert es einen längst nicht mehr, dass Mitte der Neunziger auch aus einer alten Fabrikhalle in der Wiener Lorenz-Mandl-Gasse Dub-Sounds tönten. Hier waren die Sofa Surfers zuhause. Deren Keyboarder MARKUS KIENZL veröffentlichte Tracks, die bei den Arbeiten mit den Sofa Surfers anfielen, aber keine Verwendung fanden, teilweise auch auf seinen Soloalben und ließ sich dabei – wie zum Beispiel beim hier zu hörenden „Chemical Reasons“ von seinem 2005er Album „Product“-unter anderem vom New Yorker MC Oddatee helfen, der auch bei den Sofa Surfers schon gastierte.
Das ebenfalls aus Wien stammende Quartett DUBBLESTAN-DARD hat den grenzüberschreitenden Weg des Dub schon im Titel ihres aktuellen Albums eingebaut: „Immigration Dub“. Hier setzen die österreichischen Dub-Pioniere – ihr Debütalbum „Front Tour Enemies“ erschien bereits 1991 – live eingespielte Coverversionen von Dub Syndicate. Tappa Zukie und Horace Andy neben eigene Tracks mit Gastauftritten von Ken Boothe, Ari Up und jigga und verschmelzen mit großer Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit Dub und elektronische Sounds.
Die britische Punkband The Ruts ließ von Beginn an Dub-Elemente in ihre Musik einfließen. Als ihr Sänger Malcolm Owen 1980 an einer Überdosis Heroin starb, benannte sich die Band in RUTS DC um („DC“ stand für „da capo“) und nahm RareTrax Der Dub ging um die Welt – und die Coverästhetik gleich mit. Die Plattenhüllen zu den von uns gesammelten „Rare Trax“.
zwei weitere Alben auf. Das reine Dub-Album „Rhythm Collision Vol. 1“, machten sie zusammen mit dem Produzent Neil Fräser alias Mad Professor.
Plattenknistern, R&B-Refrains – und ein MC erklärt „I slow motioned my VCR“. Gesampelte Analogie, Kifferästhetik, Zeitlupen-Trip-Hop mit ordentlicher Dub-Schwere in den Rillen, das war das Trio BABY FOX aus London, das 1996 mit seinem Debüt „A Normal Fanrill’den Soundtrack zu einem sehr langsamen und sehr dunklen imaginären Film aufnahm. Dass sie auf ihrem Longplayer auch Lee „Scratch“ Perrys „Curly Locks“ coverten, wundert einen bei diesem deepen Sound nicht.
Die nun folgenden drei Bands dürften auch dem vornehmlich Rock-Interessierten ein Begriff sein. Den Anfang machen THE DEAD 60S aus Liverpool, die auf der Retro-New-Wave/Punk-Welle der letzten Jahre hinter The Clash und den Specials herschwammen. Sie spielten bereits auf ihrem selbstbetitelten Debüt von 2005 mit Dub- und Ska-Elementen. Der Vinyl-Edition von „The Dead 60s“ lag die Bonus-LP „Space lnvader“ bei, auf der sie sich ganz dem Dubbing hingaben und sich damit quasi selbst übertrafen.
Schon früh nahmen THE CLASH Ska-Einflüsse in ihre Musik auf. Davon künden nicht zuletzt frühe Songs wie „White Man In Hammersmith Palais“ oder das Junior-Murvin-Cover „Police & Thieves“. Nicht ganz unschuldig an ihrer Begeisterungwar Don Letts, der DJ, der im von der Londoner Punkszene frequentierten „Roxy“ vor allem Dub- und Reggae-Tracks auflegte. Ihn kann man auch auf dem Cover der Clash-Raritäten-EP „Black Market Music“ (als erweitertes CD-Reissue mit anderem Tracklisting in „Super Black Market Music“ umbenannt) sehen, auf der sich auch der hier zu hörende Dub „Justice Tonight/ Kick It Over“ befindet.
Ob die Türklingel auf JU-87″ eine Anspielung auf den Wings-Hit „Let ‚Em In“ ist? Der FlugzeugtypJU-87 wurde jedenfalls im Zweiten Weltkrieg als Sturzkampfflugzeug, kurz Stuka, eingesetzt, und der gleichnamige Track ist ein Dub-Remix des PRIMAL SCREAM-Stücks „Stuka“. „JU-87“ befindet sich auf „Echo Dell“, der vom britischen Dub-Pionier Adrian Sherwood produzierten Dub-Version des Primal Scream-Albums „Vanishing Point“ von 1997.
Einen der Wiener SOFA SURFERS, Markus Kienzl, haben wir ja schon zu Beginn der „Rare Trax“ schon kennenge‘ lernt. Auf ihrer Platte „Constructions: Sofa Surfers Remixed & Dubbed“von 2000 lassen die Surfers die Tracks ihrer Alben „Transit“ und „Cargo“ von Freunden wie Richard Dorfmeister und Idolen wie Mad Professor dekonstruieren. Erstgenannter brachte den Sofa Surfers erste Bekanntheit, als er deren „Sofa Rockers“ auf dem Kruder & Dorfmeister-Album „The K&D Sessions“ veröffentlichte. Das hier zu hörende „Walking Ghosts“ wurde von UKO, dem Projekt der beiden Wiener Brüder Jürgen und Martin Nussbaum, einer Dub-Kur unterzogen.
Auch Adrian Sherwood ist uns als Produzent von Primal Screams „Echo Dell“ hier schon einmal begegnet. In den Achtzigern war er Kopf der NEW AGE STEPPERS, einem Projekt, das er zusammen mit Musikern britischer Post-Punk-Bands wie The Slits, The Pop Group und Rip, Rigfes Panic unterhielt. Die erste Single der Steppers war 1980 ihre exzellente Version von „Fade Away“, einer Komposition des jamaikanischen Roots-Reggae-Sängers Junior Byles, die auch das selbstbetitelte Debüt der Steppers eröffnete.
Der Bassist und Produzent BILL LASWELL begann seine Karriere in dem Siebzigern im Funk, wirkte 1982 auf David Byrnes und Brian Enos Klassiker „My Life In The Bush Of Ghosts“ mit, wurde als Produzent, Bassist und Co-Autor von Herbie Hancocks „Future Shod{“ einem größeren Publikum bekannt und produzierte in den letzten Jahren unter anderem den jüdischen Reggae-Star Matisyahu. Zusammen mit dessen Begleitband Roots Tonic nahm er auch ein ganzes Album auf, von dem wir hier „Healing Of The Nations“ hören.
Mark Eichenseher, DJ Feuerhake und Gero Bode alias KLANGSTRAHLER PROJEKT verbinden auf ihren Alben organische und elektronische Sounds zu einem Mix aus Goa, Easy Listening und Ambient. „Mark Dub“ von ihrem 2000er „Rausch der Sinne“ hören wir hier in einer Remix-Version von Deep Dive Corp, das sich ursprünglich auf ihrem Album „Bla.ck.mail Recordings“ befindet.
Am Ende unserer “ Rare Trax“ steht auch in diesem Monat wieder eine Hörprobe aus unserer Hörbuch-Reihe TALKING BOOKS (lesen Sie mehr dazu auf Seite 36 dieser Ausgabe). In der vierten Folge hören wir einen Auszug aus „Kolks blonde Bräute“ des Hamburger Autors Frank Schulz, der bei der Darbietung seines urkomischen Heimatromans von Harry Rowohlt, Fanny Müller, Gerd Haffmans und Marion von Stengel unterstützt wird.