Randy Newman – München, Herkulessaal

Amerikas Sweetheart: Der giftige Verspottungskünstler Randy Newman untersuchte wieder einmal Liebe und Gier, Rassismus und Bigotterie, Alter und Tod

Am Abend des Tages, an dem „Toll Collect“ gekündigt wurde, kommt Randy Newman in den Münchner Herkulessaal. Nicht nur der Künstler selbst vermutet beiläufig, in diesem nach längerem Fußmarsch durch geräumige Hallen und über ausladende Treppen erreichbaren Wartesaal müsse einst Herkules residiert haben. Das sonst neunmalkluge Publikum kann spontan keine Erklärung anbieten.

Newman, ein Freund des zwanglosen Freizeithemdes, singt wie stets am Steinway seine Lieder; zwei Zettel enthalten das Programm, und zwischen den kurzen Songs erheitert er mit selbstironischen Apercus, tröstlichem Klamauk und alten Witzen, die von der Gemeinde dennoch kennerhaft beklatscht werden. Gewiss: Schubert wurde nur 31, Randy ist nun schon viel älter geworden; unter die hundert größten Komponisten wird Randy es nicht mehr schaffen; seine zweite Frau ist jünger als seine erste; er schrieb fünf, sechs Lieder über Rassismus (und das Problem ist jetzt gelöst); alle alten Rocker sind noch tätig, sofern sie nicht tot sind (Def Leppard!); mit „God’s Song“ spricht Gott zum Publikum – durch Randy (er selbst ist auch überrascht!); beim Komponieren einer großen Suite reichte es nur für „The Girls In My Life, Part 1“. Als er sich einmal verspielt, murmelt er „I’m not embarrassed at all“ neben das Mikrofon.

Ein Randy-Newman-Abend also, und selten hat man den Alten launiger erlebt. Zu den Usancen eines solchen Konzerts gehört aber immer auch der Newmankenner, eine meistens einsame Gestalt, die in den ersten Reihen sitzt und sich während des Konzerts bedauerlicherweise bis ins Hysterische entspannt Ärgerlich, dass der Newmankenner diesmal neben mir sitzt, ein kleiner (!) Typ in Lederjacke, der eingangs höflich „Guten Abend“ wünscht und bald ein Gespräch mit Sitznachbarn versucht, dann „Im Dead (But I Don’t Know It)“ laut mitsingt, die Knoblauchfahne mit Kaugummi bekämpfend, Randys Vermutung, man erinnere sich an „Rider In The Rain“, mit „Sure do“ bestätigend und den Refrain dann schmetternd, mit femininer Kopfstimme begleitend. Und dann, als es bei „I Miss You“ still wird, höre ich ihn leise weinen. Er flennt. Es ist das Abschiedslied für Randys erste Ehefrau, und es ist zuviel für ihn. Später erfahre ich, dass der Newmankenner auch in Antwerpen war und in Hamburg und demnächst ein Newman-Konzert in Frankfurt erleben wird.

Wir gewöhnlichen Newmanfans hören an diesem Abend neben den sozusagen ewigen und unentbehrlichen Stücken überraschend viel von „Land Of Dreams“ und „Little Criminals“, fast nichts vom Debüt, von „12 Songs“ und „Born Again“, was ja nicht überrascht. Aber Gott, wie erschütternd sind „Bad News From Home“ und „Song For The Dead“, wie wunderbar die Epiphanie Jolly Coppers On Parade“, selten gespielt, wie lustig „Red Bandana“ und „Lover’s Prayer“, wie anrührend Baltimore“ und „Dixie Flyer“, jene magisehe Beschwörung der Kindheit. Es sind diese Songs, die vor vier Jahren nicht zu hören waren, die einen den Atem anhalten lassen. Die Anekdötchen um „Great Nations Of Europe“, „The World Isn’t Fair“, „Shame“ und „You Can Leave Your Hat On“ kennt man schon. „Rednecks“ wird um einen Scherz mit den beiden belgischen Tennisspielerinnen Clijsters und Justin-Hardenne erweitert. Im zweiten Teil fragt Randy stets nach einem Wunsch, aber er hört immer nur auf „Louisiana 1927“. Der Newmankenner fordert lautstark und vergeblich „Suzanne“. „Thanks for being here, Randy!“ ruft am Ende, nach 33 Songs, jemand. „Oh, thanks for having me. Wanna sing along with me?“ Mehr Sentiment wird dieser Chirurg der menschlichen Psyche niemals zulassen. Dann singt er „I Think It’s Going To Rain Today“.

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