Ran an den Rock!
Inventur 96: Sportmoderatoren mutieren zu Rock-Experten, Madonnen werden Mütter, Untote zieht‘s wieder ans Licht, und Schlagerfuzzis strafen die Forderung nach einer Quote Lüge.
Oh, es war ein garstig Jahr für unsere gute, alte Rockmusik. Vor Zeiten noch von Regierungsbänken und Kanzeln als teuflisch, jugendgefährdend und systemzersetzend gescholten, hängten sich inzwischen so ziemlich alle Rock- und Pop-nahen industriellen Interessengruppen peu à peu hinten dran: Bierbrauer, Autobauer, Kaffeeröster Fernsehanstalten, you name it.
Damit einher ging die beängstigende Flut von Compilation-CDs, die via TV an unschuldige Verbraucher gebracht wurden. So Klassiker wie den Bravo “Intim-Mix Kuschelrock“; hat man über die Jahre verinnerlicht wie Maffays Warze. Ebenso wie die Pop-Show des Schimpansen Ronny, obwohl bereits so viele Akteure dabei verschieden sind, daß man den „Planet der Affen“ mit doppelter Besetzung hätte nachdrehen können. Nach all den entseelten Kopplungen von Schlümpfen und Mainzelmännchen dachte man die Talsohle schlechten Geschmacks endlich durchschritten zu haben.
Pustekuchen! Denn nun outete sich der oberste Eckenzähler der SAT.1-Sportwerbesendung RAN, Reinhold Beckmann, auch noch als beinharter Kenner der Rockmusik. In frischgewichster Lederjacke und mit energischer Unordnung im Haar, gab er kernigen Blickes seine farourites preis. Ausgerechnet das Schnittlauch-Gesicht Beckmann als Stellvertreter der klassischen Männerdisziplinen Fußball und Rockmusik. Ein Mann wie eine Eckfahne, ein ganzer Kerl, der nichts so sehr liebt und lebt wie Uli Stein und die Stones. Axi so einem können sich Männer aufrichten. Fehlt nur noch der Beckmann-Kalender „Autos, Bräute, Prostata“. Lieber am Ball bleiben, Beckmann, sonst nimmt die Verkaufe Ausmaße an, die niemand mehr im Griff haben kann. Spätestens mit Erscheinen des Samplers „1000 Takte Punk – Anarchy in the NDR“; von Dagmar Berghoff.
Parallel dazu wurden längst verschieden geglaubte Musikanten geweckt, reanimiert oder einfach aufgetaut. So kam der Ötzi des Partysounds, Last, James Last, nach mindestens 200 Jahren intensiver Gefriertrocknung wieder ans Licht: mit demselben Gesicht! Wer kennt sie nicht noch, seine gefürchteten „Partyhits à gogo“ 1-19 oder die wunderbare Reihe „Jetzt geht die Party richtig los“? Das war seinerzeit klingendes Dynamit für jedes lustige Beisammensein in Kellerbars mit dreiflammiger Lichtorgel. Wo man bei einem Schoppen Persiko und einem gepflegten Asbach-Cola einander elfengleich zutanzte. Last und Alkohol, das war eine sichere Sache in entsprechend breiten Kreisen. Pragmatischere Geister jedoch beseitigten mit seinem Sound wirkungsvoll Nagetiere; mit Panflöten-Beteiligung sogar bis zur Ponygröße.
Diese Musik eines an sich technisch hochversierten Orchesters firmiert seit kurzem unter Easy Listening und gilt gemeinhin als cool. Gerade junge Menschen, auf dem Scheideweg zwischen Drogen und Scientology, fürchten sich bevorzugt in diese Welt der Langeweile. Bei stilecht ausgestatteten Parties leuchten frohe Gesichter zu einem prickelnden Volkslied-Potpourri aus der Gegend um Lüdenscheid. Cool. Führt diese armen Kinder aus dem Verlies der Verderbnis!
Und direkt hinein in die Arme von Wolfgang Petry. Dieser Mann, der sich innerhalb der Popmusik breiter Unbekanntheit erfreut, steht beispielhaft für merkwürdige Entwicklungen heimischer Kauf- und Hörgewohnheiten. Vor wenigen Jahren hallte der Ruf nach Musik aus deutschen Landen über jeden Tisch. Auf einem der größten Tonträgermärkte der Welt diktierten die Importe Charts und Geschäft, der Eigenanbau verlümmelte sich in das Lederkorsett volkstümlicher Musik. Dies änderte sich rasch. Heute sind Trucker Tom Astor und die Toten Hosen mit PUR, Maffay und den Böhsen Onkelz in den Top Ten. Und natürlich Petry, das harmlos rhythmisierte Original eines naßforschen Fillialleiters. Beinahe unnötig zu behaupten, daß alle Käufer aus freiem Willen gehandelt haben. Das mag zwar bedauerlich sein, zeigt jedoch, daß sich ohne Quote durchsetzt, was gekauft werden will. Zum Abschluß der Inventur ‘96 raschelt die unbestätigte Meldung herein, daß der King of Kong & Pop, nennen wir ihn Michael Jackson, seine bislang fruchtbarste Verbindung schon wieder gelöst haben soll. Dabei hat das Kind noch nicht einmal das Mutterschiff verlassen. So schnell geht’s im Showbiz: vor dem Pressen schon gefloppt. Vielleicht trägt die Ultraschallaufhahme des Kleinen Schuld am Ende dieser vorbildlichen medizinischen Betreuung und keimfreien Liebe. Über das genaue Abbild des Nachwuchses wird Stillschweigen bewahrt, aber schließlich weil jeder, wie Playmobil-Männchen nun mal aussehen. Die Frage des Sorgerechts wäre damit geklärt, nur wird es schwer, den Kleinen auf der Neverland Ranch wiederzufinden.
Es muß also nichts mit Sex zu tun haben, wenn Menschen irgendwie Kinder kriegen. Bei Madonna z. B. war es ein Sportunfall. Wir kennen das aus dem Fitness-Studio unseres Vertrauens: erst schlecht gedehnt, ein bißchen zu viel gespreizt und zack! ist man schwanger. Im Fall Madonna jedoch sind Zweifel angebracht. Ihre Trainingsmatte Leon bringt zwar die körperlichen Voraussetzungen mit, der Zellteilung auf die Sprünge zu helfen, doch riecht das Ganze nach einem Stunt ihres Image-Beraters. Denn wer die Rolle der Volksmutter Evita Peron mit Schmalz, Tränen und ein wenig Glaubwürdigkeit ausfüllen will, muß wenigstens die liebende Mutter leben.