Rammstein: Stehen Sie für den „wachsenden rechten Zeitgeist“?
Toxische Männlichkeit, Chauvinismus und der Aufstieg der AfD. Im US-Magazin „Foreign Policy" wird das ganz große Fass gegen Lindemann und die Band aufgemacht.
Paul Huckenos ist ein renommierter US-Politikwissenschaftler und Journalist. Als Ex-Herausgeber der außenpolitischen Fachzeitschrift „Internationale Politik – Global Edition“ widmet er sich seit Jahren den großen Weltenläufen.
Dazu veröffentlicht er im Jahr 2017 ein Buch mit dem Titel „Berlin Calling: A Story of Anarchy, Music, The Wall, and the Birth of the New Berlin“. Eine weitere Berlin-nach-dem-Mauerfall-Saga. Darin wird auch die Underground-und-Techno-Siegeszug aus der Perspektive eines Amerikaners analysiert. Huckenos kennt sich also auch mit der Szene aus. Der international umtriebige Publizist, mit Koffer in der deutschen Hauptstadt, ist etwa so alt wie Till Lindemann.
Das alles ist nicht ganz unwichtig, wenn man einen aktuellen Beitrag von Huckenos im Fachforum „Foreign Policy“ (FP) einordnen will. Überschrift des längeren Traktats: „Rammstein Is Germany’s Scary New Normal – The band’s continued popularity is a sign of the country’s increasingly right-wing zeitgeist“.
Hier werden – knapp zusammengefasst – die Erfolge und die Ästhetik von Rammstein (bis hin zur den aktuellen Missbrauchsvorwürfen) mit dem Aufstieg der AfD verknüpft.
Eine Conclusio lautet etwa: „Die toxische Männlichkeit der Band ist Teil eines rechten Chauvinismus, der heute in Deutschland im Rechtspopulismus einen breiten politischen Ausdruck findet – und der derzeit auf dem Vormarsch ist“.
Mehr oder weniger unverblümt setzt der Autor die in Videos und Bühnenoptik gepflegte Rammstein-Aura mit einer nationalsozialistischen Ästhetik gleich. Leni Riefenstahl lässt schon grüßen – „Triumph des Willens“ und so, wie einst in einem Rammstein-Video zitiert. Eine (Feuilleton-)Debatte, die in Deutschland bereits nach den ersten Erfolgen der Ost-Berliner in den Nullerjahren geführt worden ist. Die Band selbst hat einen Song namens „Links 2 3 4“ veröffentlicht, das sie als „Unser Herz schlägt links“-Bekenntnis verstanden wissen will.
In den Folgejahren drehte sich der Wind. Einflussreiche deutsche Schreiber wie etwa der Kulturchef der „Süddeutschen Zeitung“, Alexander Gorkow, haben mehr als nur ein Lorbeer für Lindemann & Co geflochten. In seiner Zeit als Leiter des „Süddeutschen Magazins“ hat Gorkow etwa der Band eine ganze Ausgabe des Supplements gewidmet – in weihevollem Ton und mit langen Fotostrecken.
Im August 2012 war das, anlässlich einer großen US-Tour. Im Magazin heißt es im Vorspann: „In vier Minuten startet eine der größten Shows der jüngeren Popgeschichte. Zehntausend Amerikaner werden mit Rammstein singen. Das SZ-Magazin begleitete die Band durch die Tage und Nächte in Kanada und den Vereinigten Staaten. Willkommen zu einer Reise, die Narben hinterlässt …“
Ein Jahrzehnt später sehen nicht nur die von Rammstein verursachten Narben anders aus. Sondern auch der Diskurs hat sich ins Außermusikalische verlagert.
Der US-Kollege drechselt aktuell ganz andere Sätze als der Tour-Fanboy von damals:
„Der deutsche Nationalismus von heute ist nicht der von Rammsteins Auftritten, aber Rammstein spricht zu Rechten, die die kulturellen Grenzen Deutschlands zutiefst verabscheuen und ihre eigenen gewaltsamen Strategien zu deren Erweiterung verfolgen“, so Huckenos. „Da Rammstein dieselben Schatten der Nachkriegszeit bemüht – wenn auch, wie die Band versichert, als ironische Kritik -, stellt sie sich in einer prekären Zeit auf dieselbe Seite wie die Rechten.“
Sein Fazit, auch angesichts des aktuellen Skandals:
„Leider scheint der Freifahrtschein, den die deutsche Öffentlichkeit jetzt für Rammsteins angebliche sexuelle Vergehen – und vielleicht auch für die Lieder, die Gangbangs, Sex ohne Kondom und Übergriffe unter Drogeneinfluss anpreisen – widerruft, immer noch für die Verherrlichung von Gewalt an sich und hyperbolischem Nationalismus zu gelten. Es ist ein Zeichen für den immer rechter werdenden Zeitgeist im Nachkriegsdeutschland, dass Rammstein mit so vielen Verstößen gegen deutsche Kulturnormen durchkommen – und trotzdem Anhänger anziehen, die genau das wollen…“
Während die Anklage gegen Till Lindemann im juristischen Sinne sich zuletzt als wenig substanziell erwiesen hat, verläuft die diskursive Bewertung unvermindert kontrovers. Auf Kommentare der Fans musste „FP“-Autor Huckenos nicht lange warten:
Ein Schreiber namens „TheQuestBro“ schreibt, eher amüsiert: „Ah yes, Nazis. Famous for their pyrotechnics and stage lighting…“ Eine weiterer Debattenstrang ist damit (wieder) eröffnet.