Inhaftierter Nawalny-Unterstützer: Freundin enttäuscht von Rammstein
Wegen „Verbreitung von Pornografie“ sitzt ein Nawalny-Vertrauter im russischen Gefängnis. Er hatte das Rammstein-Video von „Pussy“ abgespeichert. Dessen Freundin wünscht sich nun, dass sich die Band für die Freilassung des Regime-Kritikers einsetzt.
Zweieinhalb Jahre Haft wegen eines Rammstein-Videos: So lautete das am 29. April verkündete Urteil gegen Andrei Borovikov, den russischen Regime-Kritiker und ehemaligen Koordinator von Alexei Nawalnys Anti-Korruptions-Fonds (FBK) in Archangelsk, Nordrussland. Verurteilt wurde, Borovikov, weil er 2014 den Videoclip „Pussy“ von Rammstein in seinem Profil auf dem sozialen Netzwerk VK abgespeichert hatte.
Kurz vor der vermutlich Anfang Juni anstehenden Berufungsverhandlung hat seine Frau in einem Interview mit „musikreviews.de“ noch einmal den Prozessverlauf geschildert und sich unter anderem über den fehlenden Support der deutschen Band beklagt.
Verhaftet wegen Rammstein-Video? Hier die Hintergründe
Der Richter sah das Video als Beweis, dass der Aktivist mit dem Clip „Pornografie verbreitet habe“. Borovikov war zuvor wegen verschiedener Protestaktionen zu Geldstrafen und 400 Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt worden. Seit 2017 war er aktiv in der Oppositionspolitik.
Seine Frau Darja Borovikov gab „musikreviews.de“ ein Interview, in dem sie die Hintergründe beleuchtete. Ein Zeuge während der Verhandlung – der auch ausschlaggebend für die Verhaftung gewesen sei – war Aleksandr Durynin, ein ehemaliger Freiwilliger des Fonds.
Er soll im Februar 2020 mit einer versteckten Kamera in das FBK-Büro gekommen sein und versucht haben, Borovikov mit einem Gespräch zu provozieren, in welchem er sagte: „Ich habe gesehen, dass du ein seltsames Video in deinem VK-Profil hast, hast du keine Angst, dass du wegen Verbreitung von Pornografie ins Gefängnis kommst?“ Andrei habe dieses Video längst vergessen, schließlich hatte er es 2014 abgespeichert. Nachdem sie sich das Lied gemeinsam angesehen hatten, habe Borovikov das Video sogar gelöscht.
Wegen Rammstein inhaftiert – doch von Rammstein keine Reaktion
Laut seiner Frau soll Andrei ein großer Fan von Rammstein sein, seit er zehn Jahre alt ist. Als im September 2020 die Klage gegen ihn eingereicht wurde, weil er diesen Videoclip gespeichert hatte, soll er auch versucht haben, den Manager und die Bandmitglieder selbst zu erreichen.
Er dachte, es könnte helfen, wenn sie seinem Fall Aufmerksamkeit schenken würden. Aber von Rammstein kam keine Reaktion. „Menschlich gesehen haben sie ihn schwer enttäuscht“, sagt Darja. Nur der Band-Gitarrist Richard Kruspe hatte nach der Verurteilung eine Nachricht über Andrei auf Instagram gepostet. Er sei „geschockt von der Härte dieses Urteils“, schrieb Kruspe. Rammstein habe sich immer für die Freiheit der Kunst eingesetzt.
Eine Band, die sich aktiver zeigte, war etwa die Punkband Tarakany („Kakerlaken“) aus Moskau. Der Sänger dieser Band hat die Öffentlichkeit genutzt, um Andreis Fall bekannt zu machen. Darja hofft, dass es vor der Berufung noch andere geben wird, die den Fall öffentlich machen – besonders von Rammstein erhofft sie sich eine Reaktion.
Wurde durch Borovikov ein Exempel statuiert?
Darja vermutet, dass nicht der Videoclip Grund für die Verhaftung ist: „Andrei ist hier einer der Anführer der Opposition. Er hielt gute Reden in einer klaren und einfachen Sprache. Das kam super an bei den Leuten. Sie kamen gerne, um ihm zuzuhören. Das hat den Behörden sicherlich nicht gefallen. Ich denke, die Idee war, dass jeder Angst bekommt und die Proteste aufhören würden, wenn sie ihn inhaftieren“, sagt sie in dem Interview mit „musikreviews.de“.
Amnesty International stufte diesen Fall bereits als „absolut absurd“ ein. Natalia Zviagina – Bürodirektorin von Amnesty International in Moskau – sagte dazu in einem Interview mit dem Radiosender „Radio Free Europe“: „Es ist offensichtlich, dass er nur für seinen Aktivismus und nicht für seinen Musikgeschmack bestraft wird.“