Rammstein: Markus Kavka sieht weiterhin „steinzeitliche Verhältnisse“
Neue Details und Enthüllungen zum Groupie-System als Podcast und Buch.
Die Generalprobe in Prag ist bestanden. Mit dem Song „Ramm4“ starten Rammstein heute Abend in Dresden in ihre weitgehend ausverkaufte Europatour 2024. Ein später Triumph nach all den Vorwürfen des letzten Jahres?
Seit die Berliner Staatsanwaltschaft ihr Ermittlungsverfahren gegen Sänger Till Lindemann wegen angeblicher Sexualdelikte im August 2023 offiziell eingestellt hat, scheint im Live-Betrieb der Hartmänner wieder business as usual zu herrschen.
Doch grundsätzliche Fragen nach ihrem organisierten Groupie-System bleiben. „Ich kann doch nicht voraussetzen, dass ein junges Mädchen von 18, 19, 20 Jahren, die vielleicht nur ein Fan der Musik ist, zu so einer Veranstaltung geht, und selbst drauf achten muss, körperlich unversehrt aus der Nummer wieder rauszukommen“, sagt etwa Moderatoren-Legende Markus Kavka. „Es sind doch dann die Leute, die im Machtgefüge weiter oben stehen, die dafür eine Verantwortung haben.“
Für die Podcast-Serie „Rammstein: Row Zero“ hat das Investigativ-Team von NDR und Süddeutscher Zeitung einige der betroffenen Frauen seit den ersten Vorwürfen is heute begleitet. Auch die Vergangenheit und das Umfeld der Band wird ausgeleuchtet. Die von gerichtlichen Auseinandersetzungen begleitete Recherche stellt letztlich Fragen zur fatalen Kombi von Macht und Moral: „Wenn er nicht verurteilt ist, dann ist gar nichts passiert. Das fand ich halt total komisch“, sagt eine der Betroffenen, die in der Story anonymisiert als Cynthia A spricht. Sie berichtet, wie sie bei einem Rammstein-Konzert Sex im Backstage-Bereich gehabt haben soll, den sie im Nachhinein als Übergriff empfindet. Lindemann habe seinen Rockstar-Status ausgenutzt. Für sie eine weitaus kompliziertere Diskussion, als etwa die strafrechtlich relevanten Vorwürfe.
Auch bei einer anderen Betroffenen geht es um das Machtgefälle zwischen Stars und Fans. „Wenn ich mir heute eine 17-Jährige angucke, ist das für mich ein Kind. Mir ist es unbegreiflich, wie erwachsene Männer das komplett ausblenden können, dass sie ein Kind vor sich haben. Ich finde das erschütternd“.
Die Essenz dieser Nachforschungen erscheint Ende Mai auch als Buch mit dem Titel „Row Zero: Gewalt und Machtmissbrauch in der Musikindustrie“, das sich auf 272 Seiten mit dem Fall Rammstein und den Mechanismen in der Branche insgesamt auseinandersetzt. Markus Kavka, ein teilnehmender Beobachter seit der Ära MTVIVA, sieht weiterhin zum Teil steinzeitliche Verhältnisse. Es werde weiterhin ein Verhalten akzeptiert, das anderswo schon lange nicht mehr durchgehen würde, wendet er sich gegen den Mythos von Sex, Drugs and Rock’n’Roll.
„Es sind ja nicht nur die Individuen, die dafür sorgen, dass das Ganze unter Verschluss bleibt, sondern es ist das ganze System, das einfach überhaupt nicht zulässt, dass man den Leuten, die sich was zuschulden haben kommen lassen, an den Karren fährt“, findet er. „Da hängt zu viel Kohle dran, hängen zu viele Arbeitsplätze dran.“