Konzertbericht

Rammstein live in Berlin: Halt, stopp, es bleibt alles so, wie’s hier ist

Rammstein haben am Samstagabend (15.07.) das erste von drei Konzerten im Berliner Olympiastadion gespielt – ROLLING STONE war live dabei.

Es herrscht Volksfeststimmung am Olympiastadion, wo an drei Tagen knapp 200.000 Menschen Rammstein live sehen wollen. Am Nachmittag aber erst einmal schlendern, vorbei an „affenfrittengeilen“ Pommes und Erdbeerbowle. Brittas und Norberts machen Erinnerungsfotos mit Bier und Ticket, das Raucher- und Bartzopfklientel in Karoshorts fachsimpelt bei einer Armlänge Bratwurst mit Senf, Touris aus Argentinien drängen sich am Merch-Stand. Ganz normale Leute eben – zwar ist der dominierende Dresscode denkbar klar, dennoch ist auch die Hawaiihemdquote an diesem 37-Grad-Sommertag überraschend hoch. Und so dreht die La-Ola Runde um Runde ums Stadion, die Festplatzlaune ist ansteckend.

Pünktlich zum kommunizierten Show-Start um 20.30 Uhr steigt unter Händels Feuerwerksmusik das Rammstein-Logo am Turm der industriell wirkenden Kulisse und mit dem Fahrstuhl kommt Till Lindemann für den Opener „Rammlied“ heruntergefahren. Das Olympiastadion hüllt sich in schwarzen Rauch, auf den oberen Rängen scheppert es nahezu unerträglich laut. Ansagen waren noch nie ihr Ding, dennoch schenken Rammstein ihren Fans gleich zu Beginn wertschätzende Gesten: Drummer Christoph Schneider formt ein Herz mit seinen Händen und verteilt Handküsse. Beim späteren Song „Ich will“ singt Lindemann den Text, wie schon bei den Konzerten zuvor, nicht vollständig: „Wir wollen, dass ihr uns vertraut“ – aber nicht mehr „dass ihr uns alles glaubt“. „Die Rücken nass, die Hände klamm – alle haben Angst. Vor Lindemann“, heißt es zudem im Song „Angst“, bei dem es eigentlich um den „schwarzen Mann“ geht. Auf bewährte Show-Elemente verzichten sie hingegen nicht: So läuten Pyro-Raketen, die über das Infield schießen, den besonders heißen Showteil bei „Du hast“ ein. Klimafreundlich heizen können ja andere. Und auch Keyboarder Flake landet bei „Mein Teil“ mal wieder im Kochtopf.

Ignorance is bliss?

Rammstein wurden in ihrer Karriere schon als vieles betitelt: pietätlos, versaut, menschenverachtend, gar als rassistisch bezeichneten sie manche. Nicht verwunderlich also, dass sich durch die stetige Kritik an der Band eine Resilienz bei den Fans aufgebaut hat. Die einen feiern die Metaebene der Texte – und die anderen, nun ja, schreien auch 2023 noch „Ausziehen!“, wenn eine dickbusige Frau auf dem Screen erscheint. Wer die Berichterstattung der vergangenen Wochen aufmerksam verfolgt hat, bekommt nun aber womöglich doch Kopfkino, als sich die ausladende DJ-Einlage vor dem Song „Deutschland“ ankündigt, vier LED-Strichmännchen die Bühne behampeln und sich schließlich eine Klappe unter der Bühne öffnet, um Lindemann aus der angeblichen Suck Box zu entlassen.

Den moralischen Status Quo der Deutschen kann man mit Wut oder Resignation begegnen, aber offenbar auch beruhigend finden, gerade dann, wenn es so vieles gibt, auf das man im Leben keinen Einfluss hat. Wie formulierte es ein lautstarker Vertreter, der es auch nicht so mit Veränderungen hat, einst schon so treffend: „Halt, stopp, es bleibt alles so, wie’s hier ist.“ Vielen geht schlichtweg gegen den Strich, von Menschen wie jenen, die heute am Konzertgelände demonstriert haben, bevormundet zu werden. So manche haben ihr Rammstein-Ticket verkauft, weil sie es nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren können, angesichts der Vorwürfe Show und Künstler zu bejubeln. 66.000 Leute haben sich jedoch entschieden, dabei zu sein – auch mit dem Wissen: widerlich ist so manches im Leben, bewiesen ist hier aber nichts. Selbst wenn dies heißt, mögliche private Entgleisungen oder Geschmacklosigkeiten zu tolerieren oder gar öffentlich zu feiern. Aber auch die Ambivalenz, dass in den ersten Reihen einer seit Wochen umstrittenen Rammstein-Show Herzluftballons herumfliegen, muss eine Gesellschaft aushalten können.

Nach einer langen Pause, in der Fans auf den Leinwänden ihre mitgebrachten Schilder zeigen („Wir halten euch die Treue“, „Ohne euch können wir nicht sein“), tönt es von einer weiteren Stage im Publikum „Gott weiß, ich will kein Engel sein“ – und ein theatralischer Regenschauer fällt durch das offene Dach des Olympiastadions, während sich die Band in drei Schlauchbooten zurück zur Main Stage tragen lässt. Nachdem sich die Band mit „Adieu“ und Kniefall verabschiedet hat, richtet Till Lindemann noch wenige, aber vielsagende Worte an das Publikum: „Wir sind wieder zu Hause, danke Berlin!“

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