Rammstein: Ein Kampf um Moral und Moneten
Die Live-Dampfer tuckert, der Kochtopf der Enthüllungen brodelt. Was bleibt nach einem Monat medialer Aufregung? Eine Zwischenbilanz im Zeichen des Geldes
Kein Tag vergeht ohne neue Meldungen über Rammstein. Ein Dart-Spieler ändert seinen Aufwärm-Song. Diverse Kollegen sind aus tiefstem Herzen entrüstet. Die Berliner Staatsanwaltschaft ermittelt, ohne weitere Details zu nennen.
Derweilen ist der Live-Dampfer Rammstein unbeirrt von all dem Buhei auf Kurs. An diesem Wochenende (17. und 18. Juni) gibt es zwei weitere Konzerte in der schweizerischen Hauptstadt Bern. Das Boulevard-Blatt „Blick“ berichtet betulich über den Einsatz von „Care“-Teams, die sich um das Wohlbefinden im ehrwürdigen Wankdorf Stadion (das heutige „Stade de Suisse“) kümmern sollen. Und kündigt rund weitere 80.000 Fans an. Auch hier: Offen zur Schau getragene Vorfreude trifft auf Verbots-Anträge verschiedener Interessengruppen.
Bei einem konservativ gemittelten Ticketpreis von 150 Schweizer Franken sind die immensen Umsätze leicht auszurechnen, welche die Berliner Brachialrocker auch bei den Eidgenossen einspielen werden. Ohne „Rammstein-Bier“, R-Klamotten und ähnlichem Nippes, versteht sich.
Die Woche darauf geht das vergoldete Pyro-Spektakel in Madrid (23. Juni) und Lissabon (26. Juni) weiter. Je weiter man sich von Deutschland entfernt, desto schwächer übrigens der Sturm der Aufmerksamkeit.
Derweilen stoppt die Plattenfirma das Marketing für die Band, für die es mangels aktueller Audio-Produkte sowieso nicht viel zu vermarkten gibt. Das weltweite Streaming-Geschäft auf den großen Plattformen läuft von alleine. Das gilt auch für das, was sich „Public Relations“ nennt. Die mag zwar aus moralischer Sicht unterirdisch schlecht sein. Ansonsten läuft auch die PR wie geschnitten Brot. Und zwar nach dem zynischen Promo-Merksatz aus vormoderner Zeit: „Every Press is Good Press!“
Nicht nur der 2010 im Schweizer Edel-Kanton Tessin verstorbene Punkrock-Stratege Malcolm McLaren (der kühl kalkulierend die Sex Pistols anno 1977 zu bösen Weltstars machte) kannte nur zu gut den nur zu oft positiven Einfluss von Skandalen auf die Geschäfte im Showbiz.
Ausgerechnet die Pop-ferne Düsseldorfer „Wirtschaftswoche“ hatte in dieser Woche nüchtern analysiert, wie gut der Rubel für Rammstein derzeit rollt. Bemerkenswerte Conclusio: „Wenn das Rammstein-Geschäft bislang wenig leidet, liegt das auch am grundlegenden Wandel des Musikgeschäfts, bei dem es mehr auf den Kern der echten Fans ankommt als auf das breite Publikum.“ Und die echten Fans stören sich offenbar nicht, an den massiven Vorwürfen von Machtmissbrauch und behaupteten sexuellen Übergriffen von Seiten des Sängers Till Lindemann.
Ein weiteres Business-Magazin, das Fachblatt „Absatzwirtschaft“, konstatiert ganz allgemein eine „Nibelungentreue“ von Seiten der vielen Hardcore-Fans sowie eine „konsequente Markenpflege“, die auf den „Reiz des Verbotenen“ setze.
Auch wenn man davon ausgehen kann, dass all die mediale Aufregung um das System „Row Zero“ und immer neue „Me Too“-Enthüllungsgeschichten keineswegs von perfiden Storytellern erfunden worden sind, um eine Titelgeschichte vom Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ zu provozieren.
Doch wer dem eisernen Prinzip „Follow The Money“ folgt, kann auch in Woche Vier nach dem Rammstein-Konzert im litauischen Vilnius konstatieren:
Bis heute (16. Juni) gibt es zwar einen immensen moralischen Flurschaden für die wilden Burschen aus Ost-Berlin. Auf ihrem Bankkonto hat sich dieser Furor nicht bemerkbar gemacht.
Zwar wird vielerorts schon über künftige Auswirkungen spekuliert. Doch auch das bleibt in der vagen Grauzone: „Selbst wenn es – rein hypothetisch – zu einer Verhaftung oder einem Verfahren gegen den Sänger käme, hieße das jedoch nicht, dass US-Auftritte in Zukunft nie mehr stattfinden können“, recherchiert etwa das Magazin „Focus“ zusammen mit einer Einwanderungs-Anwältin für die Vereinigten Staaten. Für Rammstein ein überaus wichtiger Markt. Und auch hier gilt: Nix genaues weiß man nicht: „Auch wenn ein Visum widerrufen oder verweigert wird, ist es möglich, eine Ausnahmegenehmigung zu beantragen“, so die Fachfrau.
Wir werden, Stand 16. Juni 2023, mit dem Thema Rammstein und der Frage, ob diese Band ihre Macht missbraucht hat, leben müssen. Denn auch in der vormals so aufgeklärten Welt der Popmusik sind wir längst im „Trumpismus“ angekommen; siehe auch Roger Waters und Konsorten. Was die Einen zutiefst abstößt, sehen Andere Anderen längst nicht so eng. Wie war das gleich mit der „Nibelungentreue“?
Und solange all die Vorfälle nicht wirklich justiziabel, im Sinne einer offiziellen Anklage der Staatsanwaltschaft werden, wird es allein schon wegen der laufenden Gastspiel-Verträge von Rammstein heißen: „The Show Must go On!“ Der sprichwörtliche „Arm“ ihrer Europa-Tour endet Anfang August in Brüssel. Und schon in einem Monat spielen sie dann drei Tage lang im Stadion auf dem ehemaligen Reichssportfeld im sonst so beschaulichen Berliner Westen.