Rammstein: Die große Oper

Keine Show ist perfekter, keine deutsche Band ist international erfolgreicher, keine hat aber auch so viele Missverständnisse, Ängste und heftige Reaktionen provoziert. Jetzt füllt die Rammstein-Maschine mit einer Tour zum Best-of-Album "Made In Germany" wieder die Hallen der Republik und der Welt. Zeit für eine Bestandsaufnahme.

Brennende Männer, eine Explosion, ein bisschen Feuer, ein Beinahetod, das mag doch jeder.“ So entspannt, wie es wohl nur ein Amerikaner kann, kommentierte Tuvia Tenenbom, Gründer und Leiter des Jewish Theatre of New York, den Auftritt von Rammstein im ausverkauften Madison Square Garden im Dezember vergangenen Jahres. Das Münchener Kreisverwaltungsreferat reagierte kürzlich auf Rammstein nicht ganz so lässig und verbot ein für den Totensonntag geplantes Konzert in der bayerischen Landeshauptstadt. Der Auftritt musste verlegt werden. Das letzte Verbot davor hatte das autokratische Weißrussland verhängt: Ein Konzert im März 2010 in Minsk wurde untersagt, weil die Zensoren befürchteten, die sechs Deutschen könnten unter anderem „die weißrussische Staatsordnung zerstören“. So viel Kraft hätten der zeitgenössischen Rock- und Popmusik wohl nur noch wenige zugetraut. Aber Rammstein war schon immer eine Ausnahme.

Als die Band Mitte der 90er-Jahre auftauchte, löste sie mehr als nur Unbehagen aus. Die rassistischen Pogrome von Hoyerswerda und Ros-tock-Lichtenhagen und die Mordanschläge von Mölln und Solingen hatten die wiedervereinigte Republik erschüttert. Die bösen Riffs, die harten Rhythmen, die verführerisch eingängigen Melodien, das dunkle Textgeraune und das im tiefsten Innern des Sängerkörpers gerollte „R“ schienen vor diesem Hintergrund den Soundtrack für die schwärzesten Albträume zu liefern. Es war nicht die Zeit eines Spiels mit Zitaten und Zeichen, nicht die Zeit demonstrativer Männlich- und Körperlichkeit. Die einst linken Ostpunks standen praktisch sofort unter Nazi-Verdacht. Als sie 1998 zu ihrem Depeche-Mode-Cover „Stripped“ auch noch Leni-Riefenstahl-Bilder der Olympiade von 1936 in einem Video verwendeten, schien das der Beweis sein: Haben wir es doch gewusst.

Die Band reagierte verhalten und manchmal hilflos auf die teilweise hys-terischen Vorwürfe, 2001 gaben sie mit dem Song „Links 2 3 4“ eine programmatische Antwort: „Sie wollen mein Herz am rechten Fleck/ Doch sehe ich nach unten weg/ Da schlägt es links.“ Der linke slowenische Theoretiker Slavoj iek attestierte der Gruppe, sie würde autoritäre Ideologien mit dem Mittel der Imitation entlarven – also praktisch wie einst Charlie Chaplin in „Der große Diktator“. Heute ist die Nazi-Diskussion weitestgehend abgehakt, aber in Deutschland bleibt die martialische Show vielen suspekt.

Und so gelingt Rammstein ein dialektischer Kniff, an dem sich die Leute heute noch abarbeiten können: Keine Formation wirkt vorgeblich deutscher, keine aber ist internationaler. Sie benutzen und bedienen Codes aus dem Pop-Arsenal, die weltweit immer schon leichter dechiffriert und verstanden wurden als in ihrem Heimatland. Nichts an Rammstein wirkt authentisch im Sinne konservativer Rockansprüche, es gibt keine Kommunikation mit dem Publikum, keine Identität von Bühnen- und Lebenswelt, keinen engagierten Liederreigen mit praktischen Ratschlägen für die Realität nach dem Auftritt – auch wenn das Familienministerium das etwa bei „Liebe ist für alle da“ anders sah und das Album vorübergehend indizierte. Rammstein, das ist heute mehr denn je ein perfekt choreografiertes Kunstprojekt, die große Oper gewissermaßen, auch wenn viele Elemente in ihrer grotesken Überinszenierung mehr Züge von Kabarett tragen als die von Wagner. Und es ist nur konsequent, dass selbst Vertreter der sogenannten Hochkultur wie die Bayreuther Festivalchefin Katharine Wagner sich als Fans bekennen oder die Dresdner Sinfoniker für ihre Rammstein-Interpretationen („Mein Herz brennt“) ausgezeichnet wurden.

Natürlich wurden Rammstein auch und gerade durch die scharfe Kritik in den Feuilletons erst überlebensgroß. Es war lange eine liebevoll gepflegte Hass-Beziehung, die beide Seiten – so wirkte es oft – zu Höchstleistungen anstachelte. Jede Verarbeitung von tagesaktuellen Ereignissen in Liedern – vom Rotenburger Menschenfresser („Mein Teil“) bis hin zur Amstettener Inzest-Geschichte („Wiener Blut“) – man könnte auch sagen: jede platte Provokation, wurde lustvoll aufgegriffen und weitergespielt. Denn wie keine andere Gruppe sind Rammstein mit ihrer bewussten oder zufälligen Ambivalenz immer auch schon eine Projektionsfläche für eigene Ängste und Vorurteile gewesen, die reflexhaft abgerufen werden können und die keinen Raum lassen für unsubtile Formen des Humors, für die Komik der Übertreibung und den Reiz vollkommener Künstlichkeit.

Fassungslos über den weltweiten Erfolg der Musikarbeiter aus den neuen Bundesländern schimpft der „Spiegel“ vor einiger Zeit noch verbittert über die Band als die „ästhetische Rache Ostdeutschlands am Westen“, die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ dagegen lobt sie als die „amerikanischste Band Deutschlands“.

Rammstein werden es auch weiterhin schaffen, umstritten zu bleiben, eventuell allerdings nur hierzulande. Denn, so fasst es Tuvia Tenenbom, der Leiter des Jewish Theatre, zusammen: „Man kann über die Deutschen sagen, was man will, aber sie wissen, wie man eine Show aufzieht.“ Oder, um es mit Rammstein zu sagen: „Fürchtet euch nicht.“ ras

Es gibt also viel zu besprechen im ersten größeren und zugleich exklusiven ROLLING STONE-Interview mit Rammstein. Die Band versteht sich als Kollektiv von Gleichberechtigten, Gruppeninterviews lehnt sie ab, weil einige weniger zu Wort kommen könnten als andere. Wir führen drei Gespräche mit insgesamt vier Bandmitgliedern. Zunächst sind der Keyboarder Flake Lorenz und Till Lindemann an der Reihe. Der Rammstein-Sänger äußert sich ungern öffentlich und hat in den vergangenen Jahren kaum Interviews gegeben, für den ROLLING STONE macht er eine Ausnahme.

Wie erinnern Sie sich an das allererste Rammstein-Konzert?

Flake Lorenz: Das erste richtige Konzert war in der naTo in Leipzig, als Vorband meines Bruders. Der hatte so eine Combo, die englische Lieder wie „Like A Virgin“ in „Wie ein Würstchen“ umgedichtet hat. Es gab keinen Ort, wo wir weniger hingepasst hätten.

Waren Rammstein-Sound und -Auftreten damals schon so klar?

Lorenz: Ja, ganz klar. Ich finde sogar, wir waren damals noch böser als jetzt. Wir standen ganz stumpf auf der Bühne, haben unser Zeug gespielt, keiner hat gelacht oder sich bewegt. Das muss ziemlich bedrohlich gewirkt haben. Den Zuschauern fiel die Kinnlade runter.

Till Lindemann: Ich habe selten so entgeisterte Menschen gesehen.

Woher kam der Gedanke, genau so aufzutreten?

Lindemann: Ich habe mich auf der Bühne nicht wohlgefühlt. Ich trug eine Sonnenbrille, weil ich die Blicke nicht ertragen konnte. Ich hatte Bühnenangst und dachte, was mache ich hier überhaupt? Vorher war ich Schlagzeuger, da hatte ich immer was zu tun. Jetzt stand ich da vorne, und alle glotzten mich an. Das war mir unangenehm, und ich wollte das irgendwie kompensieren. So kam das Feuer ins Spiel. Das ging mit zwei Fontänen los, die mir mal ein Kumpel gegeben hatte. Später haben wir zusätzlich Benzin in den Saal gegossen, das wir mit den Fontänen entzündeten, sodass der ganze Boden brannte. Das hat sich über die Jahre immer weiterentwickelt.

Sie haben sich später extra zum Pyrotechniker ausbilden lassen.

Lindemann: Ja, den Schein kann man in drei Monaten machen. Alle fünf Jahre muss man das wiederholen, also immer am Ball bleiben.

Wie groß ist heute die Gefahr, dass die Musik zu sehr in den Schatten der Show tritt?

Lorenz: Darüber denke ich schon manchmal nach, aber nur kurz. Als Zuschauer fände ich das ja auch gut, dieses ganze Brimborium. Bei anderen Bands muss man schon ein sehr fanatischer Fan sein, wenn man sich zwei Stunden damit zufriedengibt, mitzuerleben, wie ein paar Typen in Jeans und Hemdchen ihr Programm runterspielen.

Lindemann: Die Band ist in dieser Frage gespalten. Für einige ist es zu viel Zirkus, die würden lieber die Musik mehr wirken lassen. Dann gibt es Leute wie mich, die sehr auf diese Showelemente setzen, auf dieses Gefunkel und Geglitzer, die Action und das Feuer.

Flake, während der Shows der letzten Jahre lassen Sie sich in einem Schlauchboot von den Massen über den Köpfen tragen. Das ist einmal richtig schiefgegangen …

Lorenz: Ja, das war in Toronto. Die Menschen haben mich alle nach hinten weitergereicht und dann über einen Zaun gekippt, wo das Gelände einfach zu Ende war.

Lindemann: Das sah sehr lustig aus. Ich habe es von der Bühne aus gesehen und auf einmal war er weg, wie bei einem Wasserfall.

Lorenz: Lustig war es nicht, ich habe mir das Knie ramponiert und musste hinter dem Zaun um das ganze Gelände herum bis zum Bühneneingang laufen, wo man mich zum Glück an den Klamotten erkannte und wieder reinließ.

Wie bei einer Opernaufführung sprechen Sie nie mit dem Publikum. War das auch bei den ersten Auftritten schon so?

Lorenz: Von Anfang an. Wir finden es ganz schlimm, wenn jemand auf der Bühne sagt: „Hallo!“ und „Danke schön, Bonn!“. Das war uns von Kindheit an zuwider.

Anfangs haben Sie noch auf Englisch gesungen, warum dann der Wechsel?

Lindemann: Der Anstoß kam von Paul und Flake. Das Texten auf Deutsch war einfacher und klang härter. Deutsch hat die Musik viel besser illustriert als Englisch mit seinen weichen Vokalen. Zudem befanden wir uns in dieser Crossover-Grunge-Zeit. In jedem Club nur lange blonde Haare, Dreadlocks und zweitklassige Rage-Against-The-Machine- und Nirvana-Kopien. Das wollten wir auf keinen Fall.

Lorenz: Ich finde es sowieso völlig bekloppt, in Deutschland mit schlechtem Englisch vor ein Publikum zu treten, das die Texte nicht versteht. Leute wie Konstantin Wecker oder Grönemeyer mag ich musikalisch nicht so sehr. Aber ich höre mir das trotzdem gerne an, weil die Texte mich berühren. Wenn Wecker singt „Gestern habns an Willy daschlogn“, ist es mir egal, was er dazu spielt.

Werden die Texte grundsätzlich im Bandverbund diskutiert?

Lindemann: Leider ja.

Lorenz: Till bekommt am Anfang ein musikalisches Gerüst, auf das er allein textet. Wenn wir seine Texte direkt mit der Musik bekommen, ist das natürlich viel schöner, als nur ein Blatt Papier mit ein paar Zeilen drauf zu sehen.

Lindemann: Das sagt jetzt der Musiker. Für mich ist das der absolute Albtraum! Man kriegt ein Instrumental und soll da irgendwas draufschmieren. Es ist ja alles vorgegeben: Strophe, Bridge, Refrain – alles. Das muss man füllen und anschließend von den anderen beurteilen lassen. Die immense und übertriebene Kritik hat allerdings den Vorteil, dass es dann bis zur Perfektion ausgeschliffen wird.

Sind Sie also nicht immer dabei, wenn die anderen die Songs schreiben?

Lorenz: Nee, was soll er denn da? Das ist so schon besser.

Lindemann: Bis zur zweiten Platte habe ich immer in der Ecke gesessen und zugehört und teilweise auch direkt etwas gesungen, aber das war überhaupt nicht effektiv. Wenn ich nach der Probe nach Hause ging, fing meine eigentliche Arbeit erst an. Irgendwann bin ich dazu übergegangen, Vierspurbänder mitzunehmen und allein daran zu arbeiten.

Wie groß ist der Druck, wenn die Kollegen mit der musikalischen Arbeit fertig sind und alle auf Ihre Zeilen warten?

Lindemann: Das wollen Sie nicht wissen, das ist ein Albtraum, ganz eklig.

Viele Ihrer Texte gelten als provozierend. Wie kam es dazu?

Lindemann: Auf so böse Riffs kann man eigentlich auch nur etwas ganz Böses texten, das war mir sofort klar. Das war anfangs nicht einfach, weil es dafür keine richtigen Vorbilder gab. Klaus Lage oder Westernhagen passten nicht so, obwohl es da teilweise auch gute Texte gibt.

Wie bewusst war die öffentliche Empörung über Sex mit Leichen oder Menschenfresser Teil des Kalküls?

Lindemann: Da war wirklich nie Kalkül im Spiel. Das ist einfach passiert und hat irgendwann eine gewisse Eigendynamik entwickelt. Natürlich haben wir gemerkt, dass es überhaupt nicht schadet, wenn darüber geredet und sich aufgeregt wird. Man ist im Gespräch und die Leute beachten einen plötzlich. Es war nicht immer angenehm, was man erzählt oder zu lesen bekommen hat, aber es hat auf jeden Fall nicht geschadet.

Haben Sie diese Reaktionen nie gestört?

Lindemann: Klar, aber der Nutzen hat das überwogen.

Betreiben Sie also den Tabubruch als Programm?

Lorenz: Na, wenn schon. Gerade beim Thema Menschenfresser finde ich, dass wir es sind, die über diesen Fall in einer Form berichten können, die gut ist.

Was genau heißt da gut?

Lorenz: Eine Form, die den Ereignissen auch gerecht wird, sowohl dem Opfer als auch dem Täter. Die die Sache so beschreibt, dass man mitfühlt und der Text dabei nicht so wertend wie ein „Bild“-Artikel ist.

Der Vorwurf, keine Rücksicht auf die Opfer genommen zu haben, wurde auch bei dem Song „Wiener Blut“ über den Inzestfall in Amstetten laut.

Lorenz: Ich finde, der Text ist astrein, er berührt. Er erklärt die Vorgänge gut. Besser kann man es in meinen Augen nicht machen.

Haben Sie Grenzen überschritten, die Sie heute nicht mehr überschreiten würden?

Lorenz: Wir wollten nie für die Öffentlichkeit mitdenken. Das ist nicht unsere Aufgabe. Wir haben das gemacht, was wir wollten. Und das war auch gut so.

Ist Grenzüberschreitung ein Teil des Konzepts?

Lorenz: Wir haben überhaupt kein Konzept.

Okay, nach mehreren von anderen als Grenzüberschreitung wahrgenommenen Liedern liegt die Vermutung nahe, dahinter stecke Methode.

Lorenz: Nein, so einfach ist es nicht. Weil man vorher nicht weiß, was die Leute stören könnte. Die Öffentlichkeit sucht sich oft Stellen heraus, an die wir nie gedacht haben, und ignoriert andere, wo wir mit Problemen gerechnet hätten. Auch wenn es anders wirken mag, wir können das gar nicht kalkulieren.

Welcher Ärger kam denn überraschend?

Lorenz: Bei „Pussy“ habe ich mich schon gewundert, wie man das indizieren kann. Das finde ich völlig schwachsinnig.

Das Album „Liebe ist für alle da“ wurde 2009 indiziert. Haben Sie sich über die Aufmerksamkeit gefreut und über die Begründung gelacht?

Lorenz: Die Begründung empfanden wir als absurd, aber zum Lachen war uns nicht. Wenn eine Platte indiziert wird, bedeutet das nur Ärger. Die Alben mussten eingestampft werden. Wir wurden immer darauf angesprochen, dabei wollten wir nur in aller Ruhe unsere Tour durchspielen. „Pussy“ sollte ein lustiges Partylied sein, keine Provokation.

Für Ihr Video zu „Stripped“ wurden Ausschnitte von Leni Riefenstahls Film über die Olympischen Sommerspiele von 1936 verwendet. Das führte zu Nazi-Vorwürfen und Diskussionen. Haben Sie das damals billigend in Kauf genommen?

Lorenz: Die Heftigkeit der Reaktionen hat uns sehr überrascht. Wir dachten damals aber tatsächlich, das klärt sich schon alles von selbst.

Lindemann: Wir kommen aus dem Osten und sind als Sozialisten aufgewachsen. Wir waren früher entweder Punks oder Gruftis – wir hassen Nazis! Und dann kommt auf einmal so ein an den Haaren herbeigezogener Vorwurf. Wir machen heute noch genau das Gleiche, und niemand in Amerika oder Mexiko würde auf die Idee kommen, uns so ein Zeug anzudichten. Das passiert nur hier in Deutschland. Unsere Antwort auf diese Anfeindungen war „Links 2 3 4“, damit haben wir klargestellt, wo wir politisch einzuordnen sind.

Wie wichtig war diese Klarstellung?

Lindemann: Sehr! Wir kommen aus einer ganz anderen Kultur. Früher haben wir uns mit diesen rechten Idioten geprügelt, und das würden wir heute noch tun.

Es gab in den Neunzigern einmal eine Pressekonferenz in Hamburg, bei der Sie massiv mit diesen Nazi-Vorwürfen bombardiert wurden. Ihre Antworten war sehr einsilbig. Das wirkte arrogant – oder sehr hilflos.

Lindemann: Wahrscheinlich war das auch wirklich Hilflosigkeit. Hilflos waren wir auf jeden Fall, wenn beispielsweise unsere Kinder nach Hause kamen und fragten: „Papa, spielst du in einer Naziband?“

Was bei Ihnen vorgekommen ist?

Lindemann: Ja, klar, das war schlimm. Bei dir auch, Flake, oder?

Lorenz: (nickt)

Stimmt es, dass das Video eigentlich ganz anders aussehen sollte, dass die später umstrittenen Riefenstahl-Bilder nur als Beispiel genommen worden waren – gemischt mit anderen -, dann aber aus dem Beispiel das echte Video wurde? Lindemann: Ja. Philipp Stölzl, der Regisseur, hat uns zuerst einen Rohschnitt gezeigt, und noch nie war die Band so geschlossen der Meinung: „Das ist geil.“ Er hatte nur einen Tag für die Montage gebraucht, und das hatte auch noch ein Azubi gemacht. Mit dem Material sollte ursprünglich nur eine Idee veranschaulicht werden. Wir hatten vorher eine komplett andere Richtung für das Video im Sinn. Da gab es eine russische Kornbinderin, einen Pflug, alles so in Richtung Sergej-Eisenstein-Romantik, Footage aus den Zwanzigern.

Haben Sie nicht sofort gewusst, mit den Bildern kann es Ärger und Nazi-Vorwürfe geben?

Lorenz: Nein, daran hat niemand gedacht. Das Video lief ja kurzzeitig sogar auf MTV. Deren Video-Auswahl-Komitee war begeistert. Aber dann kam immer mehr Protest, es wurde immer bitterer. Schließlich musste selbst die Plattenfirma die Hände hochreißen, obwohl sie das Video auch alle gut fanden.

War es rückblickend zumindest naiv, die Riefenstahl-Bilder zu verwenden?

Lindemann: Das mag sein, aber wenn man seine Naivität verliert, zieht man ein Korsett an, aus dem man so schnell nicht mehr herauskommt. So kann sich Kunst nicht entfalten.

Tatsache ist, plötzlich lockten Rammstein auch Rechte an. Wie groß war die Gefahr, von „falschen Fans“ vereinnahmt zu werden?

Lindemann: Die findet man auch bei den Toten Hosen und den Ärzten. Dieses Publikum kam erst, als wir vor 2000 bis 3000 Menschen spielten. In die kleinen Säle trauen die sich nicht, dann kriegen sie aufs Maul.

War allein das Video an Rammsteins schlechtem Ruf schuld?

Lindemann: Nein, das war vorher schon so. Das Video hat dem Ganzen höchstens noch das Krönchen aufgesetzt.

Lorenz: Das ging ja weiter. Als Nächs-tes kam der Amoklauf in Littleton …

Da wurde geschrieben, die Attentäter hätten unter anderem Rammstein gehört.

Lindemann: Genau. Wir waren gerade in Mexiko für ein Konzert. Auf einmal mussten wir in der Zeitung lesen: „Diese Band gehört verboten“ und „Deutschland schämt sich für Rammstein“. Wir wollten gar nicht mehr nach Hause fahren. Aber der internationale Erfolg hat das gut kompensiert. Also dachten wir: „Leckt uns doch am Arsch!“

Herr Lorenz, Sie haben dazu einmal bemerkt, die Attentäter von Littleton hätten beispielsweise auch weiße Brötchen gegessen, woraus man genauso viel oder wenig ableiten könnte. Wie stehen Sie heute zu dieser Aussage?

Lorenz: Ich bleibe dabei. Es ist natürlich klar, dass Menschen, denen es nicht gut geht und die Schwierigkeiten im Leben haben, eher Musik in Richtung Rammstein hören als Bankangestellte. Dafür ist die Musik ja vielleicht auch da. Aber das war es dann auch schon. Daraus resultiert nichts.

Lindemann: Da hab ich einen ganz guten Buchtipp: „Ich hasse und das liebe ich“. Das sind Tagebuchauszüge der beiden Attentäter, hochinteressant. Das ist richtig gut. Einer von denen hat erstaunlicherweise großartige Gedichte geschrieben.

Deutsche Identität ist ein Thema, das am Anfang in der Diskussion um Rammstein immer wieder eine große Rolle gespielt hat. Heute sind schwarz-rot-goldene Fahnenmeere zur WM normal, das war Mitte der Neunziger undenkbar. Was hat sich geändert?

Lorenz: Seit der Wende sind zwanzig Jahre vergangen, da wird einiges inzwischen entspannter gesehen.

Im Madison Square Garden hat der Leiter des Jüdischen Theaters in New York Rammstein gefragt, ob die deutsche Schuld Teil der Musik sei. Wie gehen Sie mit solchen Fragen um?

Lindemann: Das gehört dazu, für uns auf jeden Fall. Diese kollektive Schuld ist eine Generationsgeschichte. Unsere Kinder werden diese Vorwürfe und Schuldfragen wahrscheinlich gar nicht mehr zu hören kriegen.

Lorenz: Unsere Väter haben den Krieg noch erlebt und uns davon erzählt, als wir jünger waren. Wenn wir als Kinder nach Polen gefahren sind, wurden wir immer angefeindet, nur weil wir aus Deutschland kamen, das vergisst man nicht so schnell.

Aber inwieweit beeinflusst dieses Bewusstsein das künstlerische Schaffen?

Lorenz: Man hat schon einen gewissen Respekt und ist vorsichtig, klar.

Sie haben sehr oft betont, dass Sie keinen Ausweis der sogenannten BRD haben, sondern nur einen Reisepass, und den Westen sowieso blöd finden. Würden Sie sagen: „Ich bin Deutscher“ oder „Ich bin Ostdeutscher“?

Lindemann: Flake ist DDR-Bürger, immer noch, er wird als DDR-Bürger sterben. Flake fährt auch im Urlaub nicht weg. Höchstens ins Elbsandsteingebirge oder an die Ostsee, das reicht ihm. Wir fahren im Sommer immer zusammen mit unseren Kindern an die Mecklenburger Seenplatte. Das ist total geil.

Lorenz: Für mich ist das schwer. Als ich DDR-Bürger war, gab es die BRD, und die BRD fand ich doof. Auf einmal musste ich Teil von etwas sein, was ich scheiße fand. Die BRD-Fahne finde ich heute noch hässlich.

Lustigerweise hört man die Abkürzung BRD kaum noch. Sie sind wahrscheinlich einer der Letzten, der die Abkürzung aktiv benutzt.

Lorenz: Na, ist das nicht die BRD hier?

Natürlich, aber das sagt niemand mehr. Sehen Sie sich beide noch als DDR-Bürger?

Lindemann: Nein, aber ich habe eine starke Verbundenheit zu Traditionen der DDR. Ich finde es beispielsweise Scheiße, dass es keinen Fasching mehr gibt, sondern Halloween gefeiert wird. Diese ganze „Enttraditionalisierung“ stört mich sehr, es gibt keine Authentizität mehr. Viele Sachen fehlen mir.

Was vermissen Sie konkret, was war früher besser?

Lindemann: Z. B. Fruckeneintopf in der Gaststätte. Ein blödes Beispiel, das gebe ich zu, aber es geht weiter bis zu ideellen Werten des Miteinanderumgehens, der Hilfsbereitschaft. Dass man für Bildung und medizinische Versorgung nichts bezahlen musste. In diesem reichen Land könnten auch heute viele Dinge sozialer geregelt werden, aber niemand packt es an. Im Gegenteil. Ich brauche auch keine 25 Nudelsorten. Die werden von weit her eingeflogen und dabei wird die Umwelt versaut. Die Tomaten kommen aus Spanien. Es gibt hier aber eigentlich auch genug Felder und viele Arbeitslose. Niemand braucht zwei Autos. Hier passiert so viel Unsinn, unfassbar.

Lorenz: In unserem Pionierausweis stand als Pioniergebot, wir helfen älteren Menschen. In der Straßenbahn sind die Kinder aufgestanden, damit die Omas sich setzen konnten. Ich bin nie auf Felder gegangen, weil es hieß, dass du so volkseigenes Brot zertrittst. Davor hatten alle Respekt, dass man nichts zerstört, was für die Gemeinschaft da ist. Das fehlt jetzt total.

Das klingt überraschend ostalgisch und verklärend. Man könnte auch über Mangelwirtschaft und fehlende Freiheiten reden. Ihr Bandmitglied Richard ist davor vor der Wende geflohen. Gibt es Sachen, die Sie rückblickend kritisch sehen?

Lindemann: Das war ja nicht die Frage. Ostalgisch ist von uns absolut niemand. Wir könnten genauso gut und lange über die kritischen Dinge reden, aber die Frage war, was wir vermissen, was damals besser für uns war.

Macht das Arbeiten mehr Spaß, wenn es einen klar identifizierbaren Gegner gibt?

Lorenz: Ja. Im Westen ist eigentlich das System der Gegner. Aber der ist nicht mehr so klar greifbar. Sind es die Medien, ist es die Industrie, die Politik?

Aber Sie profitieren auf jeden Fall sehr von dem System …

Lorenz: Na klar, wir leben ja auch darin. Es gibt aber eine Menge, was wir hier nicht gut finden, und das versuchen wir anzupicken.

Sie haben mal gesagt, Sie bekämpfen das System, indem Sie ihm das Geld wegnehmen. Das sollte wohl ironisch sein, wurde aber wortwörtlich genommen.

Lorenz: Ich dachte, es wäre lustig, war es aber nicht. Ich habe da einfach nicht nachgedacht. Das ist ja auch totaler Schwachsinn, denn das Geld bezahlt ja am Ende der Fan.

Der „Spiegel“ schrieb vor nicht allzu langer Zeit noch einmal, Rammstein sei die ästhetische Rache des Ostens am Westen. Wie reagieren Sie heute auf solche Kritik?

Lorenz: Meistens nehmen wir so etwas gar nicht wahr. Aus dem Osten haben wir die Mentalität mitgenommen, dass wir glauben, etwas falsch gemacht zu haben, wenn wir von der Presse gelobt werden, weil man damit quasi staatlich anerkannt, also tot ist.

Schlechte Kritik war im Prinzip eine Anerkennung. Das gilt auch heute noch ein bisschen. Solange Medien wie der „Stern“ oder der „Spiegel“ uns hassen, ist die Welt in Ordnung.

Die Interviews mit Rammstein finden bei Black Box Music statt, einer am Berliner Stadtrand gelegenen Firma für Veranstaltungstechnik, die Komplettlösungen für jede Art von Großveranstaltungen anbietet. Die Musiker bereiten sich dort in einer riesigen Halle mit der kompletten Produktion auf die anstehende Welt-Tournee vor. An den folgenden Abenden finden öffentliche Generalproben vor einigen Hundert Fanclubmitgliedern aus ganz Europa statt. Die Musiker werden sich also in krachlederne Kostüme zwängen und ihr komplettes Arsenal an Pyrotechnik abfeuern. Zum Interview kommt Gitarrist Richard Kruspe aber noch in bequemer Kleidung aus Jogginghose und Pullover.

Richard Kruspe, Sie scheinen anders auf Ihre DDR-Vergangenheit zu blicken als einige Ihrer Kollegen. Sie haben die DDR als Gefängnis empfunden?

Das muss man selektiv betrachten. Bis ich ungefähr zwölf Jahre alt war, habe ich die DDR absolut nicht als Gefängnis empfunden, ich hatte eine entspannte Kindheit. Es gab auf den ersten Blick wirklich keine erkennbaren sozialen Unterschiede, Status hat keine Rolle gespielt. Erst als ich älter wurde und angefangen habe, über den Tellerrand zu blicken, kamen die Fragen. Diese Fragen waren nicht erwünscht und wurden nicht beantwortet, sodass ich das dann schon irgendwann als ein Gefängnis empfunden habe. Ich hatte Probleme mit Lehrern, überhaupt mit Autoritäten, und bin so immer mehr an meine Grenzen gestoßen.

Wie beurteilen Sie nostalgisch gefärbte Rückblicke?

Teilweise kann ich das schon verstehen. Es ist ja nicht alles nur schwarz oder weiß. Aber mir ist völlig klar, dass meine Entwicklung als Mensch und Musiker ohne den Westen so gar nicht möglich gewesen wäre.

Sie sind 1989 über Ungarn abgehauen …

Ein halbes Jahr, bevor die Mauer fiel! Das war gar nicht geplant, sondern ein blöder Zufall. Der Klassiker, wie im Film: Ich war 1989 zufällig in eine Demonstration geraten, und als ich aus der U-Bahn stieg, wurde ich verhaftet. Eine Verwechslung. Dann ging es zum Polizeirevier, wo ich stundenlang an die Wand gestellt und geschlagen wurde. Ich wurde geprügelt, verhört und wenn ich mich bewegt habe, wieder geschlagen. Danach wusste ich: „Du musst hier raus!“ Eine ganz spontane Reaktion auf diesen Vorfall. Ich bin dann mit meinem schwulen Freund Leo über Ungarn nach Westberlin geflohen.

Warum sind Sie nach der Wende wieder zurück in Ihre alte Heimat gegangen?

Ich fand es total scheiße in Westberlin. Alles war grau und dunkel, das hat mir Angst gemacht. Ich kam aus einem sehr behüteten Umfeld. In Westberlin war ich einsam und immer unterwegs. Überwiegend auf Konzerten, habe Nirvana im Loft gesehen und so. Eines Abends lernte ich auf einer Party, auf die ich gar nicht eingeladen war, eine Frau kennen und durch sie den Ex-Trommler der Fehlfarben. Mit dem habe ich dann endlich wieder ein bisschen Musik gemacht. Auf Dauer war auch die Wohnsituation mit drei Leuten in einem Zimmer sehr belastend, und im Osten gab es billigen Wohnraum ohne Ende. Also bin ich wieder zurück.

Sie sind immer wieder ausgebrochen, erst aus der DDR, später nach New York, haben ein Soloprojekt verwirklicht. Insgesamt ergibt sich das Bild eines rastlosen Menschen – wie erklären Sie sich das?

Psychologisch ist das relativ leicht erklärbar: Ich bin der Zweitgeborene und mein Bruder war immer Mutters Liebling, hat immer alles richtig gemacht. Ich musste stets um Aufmerksamkeit kämpfen und habe irgendwann die andere Seite gewählt und mir die Aufmerksamkeit da geholt.

Und landeten schließlich bei einer Band, die auch durch Grenzverletzungen Aufmerksamkeit kreiert. Steckt hinter den Tabubrüchen von Rammstein ein Konzept?

Am Anfang war unser einziges Konzept, mit einer gewissen Naivität an die Sache heranzugehen. Diese Naivität haben wir bewusst beizubehalten versucht. Wenn man sich selbst zu sehr hinterfragt, beginnt automatisch eine Form von Selbstzensur. Aber wir wollten jegliche Form von Zensur vermeiden, das kannten wir ja alles aus dem Osten, wo ständig zensiert wurde. Das ist vielleicht das einzige Konzept. Es gibt keinen abgesprochenen Masterplan. Ich glaube auch nicht, dass das funktionieren würde. Kunst entsteht aus einem spontanen Bauchgefühl heraus.

Der musikalische und ästhetische Rahmen der Band wirkt klar abgesteckt. Was auch bedeutet: Man muss sich strikt unterordnen. Wie schwer fällt Ihnen das?

Sehr schwer. Und es wird auch immer schwieriger, weil man merkt, dass man zum Sklaven seiner eigenen Show geworden ist. Einfach mal mit Sporthosen auf der Bühne zu stehen und loszuspielen geht ja nicht. Auf der anderen Seite ist mir natürlich auch klar, dass wir mit dieser Band ein Trademark geschaffen und einen einzigartigen Sound kreiert haben. Trotzdem ist es ein schmaler Grat, weswegen es wichtig ist, andere Bedürfnisse woanders ausleben zu können. Ich würde gerne noch mal in einer AC/DC-Coverband spielen. Einfach auf der Bühne stehen, kein Licht, keine Show, nur Rock’n’Roll.

Es gab einige Krisen bei Rammstein, hatten die mit solchen Sehnsüchten zu tun?

Schon. Aber jeder weiß, dass er das, was wir mit dieser Band erreicht haben, nie wieder mit etwas anderem schaffen wird. Wir sind alle stolz auf das gemeinsam Erreichte. Und dafür müssen wir Abstriche machen. Flake hat früher in einer Funk- und-Blues-Band gespielt. Als wir mit Pantera angekommen sind, hat er mich angeguckt und gefragt: „Was ist das denn für ein Scheiß?“ Heute findet er natürlich auch gut, was wir machen.

Ist die Band Rammstein eine Zweckgemeinschaft?

Auch. Absolut. Wir sind natürlich aufeinander angewiesen, auch finanziell. Es wäre Quatsch, etwas anderes zu behaupten.

Die Gruppe ist mehr als die Summe der einzelnen Teile?

Ja. Das mussten wir alle lernen. Mir ist das durch den Weggang aus Berlin gelungen. Das war wichtig für mich, weil mein damaliges Umfeld nicht mehr gesund für mich war. In New York ist mir mit der nötigen Distanz klar geworden, wie schwachsinnig unsere kleinen Streitereien sind. Ich konnte wieder das Große sehen, was wir erreicht haben. Und dann kommt man zurück, und das Ganze geht wieder von vorne los.

Beim letzten Album hat es wieder geknirscht?

Ja, da gab es Momente, wo alle nicht mehr wussten, wie es weitergehen soll. Wir konnten uns auch musikalisch nicht mehr einigen. Wenn man älter wird, will man sich nicht mehr ständig mit den gleichen alten Problemen auseinandersetzen. Also bleibt vieles unausgesprochen und es kommen neue Probleme. Da sind wir Gott sei Dank heil herausgekommen. Als das Album endlich fertig war, war auch der Ballast weg. Während der Produktion hatten wir einfach zu viele Entscheidungen zu treffen. Mit sechs Leuten kann das die Hölle sein.

Wie heftig tragen Sie derartige Konflikte aus?

Wir haben uns jedenfalls noch nie geprügelt, auch wenn wir ein paarmal kurz davor waren. Manchmal hätte ich mir das sogar gewünscht, weil ich glaube, dass mitunter so ein ehrlicher Faustkampf Probleme lösen kann, wie im Wilden Westen. (lacht) Hat es aber nicht gegeben. Wir haben es immer geschafft, das durch Kommunikation zu klären, auf die buddhistische Art.

Wie sehr zerren diese langen Tourneen inzwischen gesundheitlich an Ihnen?

Das Touren ist nicht das Problem, eher das Feiern. Wenn man nach der Show sofort ins Hotel gehen würde – easy. Aber wenn man bis sechs Uhr morgens feiert, kommt man inzwischen immer schwerer aus dem Bett.

Treiben Sie zum Ausgleich Sport?

Jeder macht was anderes. Wegen meiner Rückenprobleme habe ich mit Schneider angefangen, eine Stunde vor der Show Yoga zu machen. Wir haben einen Yogalehrer, und das hilft auch. Und Till und Olli haben vorher immer Tango getanzt.

Das Entstehen ihrer Alben beschreiben alle Rammstein-Mitglieder als schwierigen Prozess. Für die anstehenden Konzerte haben sie kein neues eingespielt. Die Grundlage der monatelangen Tournee, die sich schon jetzt als auch international erfolgreichste der Bandgeschichte abzeichnet, bildet das in diesen Tagen erscheinende Best-of-Album, „Made In Germany“. Wie immer werden die Konzerte ernst genommen und verlangen von den Musikern gewisse Zugeständnisse, wie sich im Gespräch mit dem neuerdings kurzhaarigen Schlagzeuger Christoph Schneider zeigt.

Christoph Schneider, wo sind Ihre langen Haare geblieben?

Ich habe mich damit sehr wohlgefühlt, aber meine Band leider nicht. Ich bin eigentlich eher Hippie, aber die Frisur hatte anscheinend Einfluss auf meine Spielweise, deswegen bin ich öfters bei den Kollegen angeeckt.

Lange Haare haben einen Einfluss auf die Spielweise?

Ja, ich hab dann zu metallastig gespielt. Die anderen meinten: „Das sind die langen Haare. Mit kurzen hast du viel besser gespielt.“ Das stimmte zum Teil, die Haare hängen einem immer im Gesicht, man versucht, das zu vermeiden, und spielt nicht mehr so intensiv. Seitdem sie ab sind, spiele ich wieder befreiter.

Wir wollen über die Anfänge der Band sprechen. Wie haben Sie das erste Konzert im naTo in Leipzig erlebt?

Till präsentierte sich dort das erste Mal der Öffentlichkeit als Sänger. Er war total nervös, hat sich eine schwarze Sonnenbrille aufgesetzt und gesagt: „Ich mache auf Sisters of Mercy.“ Er stand starr da, hat am ganzen Leib gezittert und war nur froh, dass er seine Texte singen konnte. Das zweite Mal war in Berlin, in der Kulturbrauerei, im Kesselhaus beim Senatsrockwettbewerb. Da hat Till am Schluss gesagt: „Merkt euch den Namen Rammstein.“

Den Wettbewerb haben Sie gewonnen. Stand da der Sound schon fest?

Ja, dieses Langsame, Monotone. Die Grundidee der Band. Wir spielen ganz langsam und immer dasselbe.

Woher kam das?

Wir waren inspiriert von Bands wie Ministry und Laibach. Und wir wollten etwas wirklich anderes machen, etwas ganz Böses, stampfend und fies.

Stimmt es, dass Ihre Reisen 1993 nach Amerika einen entscheidenden Einfluss auf die Band hatten?

Das ist korrekt. Paul, Flake und ich sind damals mit unserer Punkband Feeling B durch Amerika gereist, die anderen drei alleine. Wir haben in kleineren Clubs gespielt, alles war selbst organisiert. Wir haben sehr viele Bands gesehen, die uns mit ihrer Professionalität inspiriert haben. Da spielen Bands vor zehn Leuten so, als wären 3000 da. Das hat uns sehr beeindruckt und motiviert.

Bis zum ausverkauften Madison Square Garden 2010 war es da noch ein weiter Weg …

Für jeden von uns gibt es noch Momente, wo wir innehalten und sagen: Wahnsinn. Wir kommen aus der DDR, wir sind alle keine exzellenten Musiker. Aber wir können genau das. Wir sind zwar begrenzt in unseren musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten, aber mit der Show und diesem Gesamtpaket haben wir etwas Außerordentliches erreicht.

Initialzündung für das Interesse aus und an Amerika waren sehr früh David Lynch und der Soundtrack von „Lost Highway“. Wie kam das zustande?

Wir hatten schon am Anfang großspurige Ambitionen und sagten unserer Plattenfirma, dass wir gerne ein Video mit David Lynch und ein paar anderen drehen würden. Motor hat daraufhin wirklich Tapes an die Regisseure verschickt. Und Lynch und seine Crew haben anscheinend während der Dreharbeiten immer „Herzeleid“ gehört, so sind wir auf dem Soundtrack von „Lost Highway“ gelandet. Irgendwann hieß es: „Wir wollen die Songs für den Film.“ Und wir dachten: „Ja wunderbar!“

Eine unbekannte Band, die mit David Lynch drehen will. Das nennt man größenwahnsinnig.

Wir haben manchmal so hoch angesetzt. Wir wurden schon mehrmals um einen Fußball-Song gebeten, aber da haben wir bisher immer gesagt: „Das würden wir nur für die Nationalmannschaft machen!“

Wir werden es Jogi Löw sagen. Nach 2001 waren Sie zehn Jahre nicht in den USA. Warum?

Unsere Amerika-Geschichte ist sehr speziell. David Lynch war der Auslöser, dann wurde „Sehnsucht“ veröffentlicht. Als wir damit in Deutschland auf Nummer eins der Charts gingen, haben wir uns auf den Straßen von New York umgezogen und ein Showcase vor dreißig Leuten gespielt, die alle voll unter Drogen standen. Also ganz unten. Aber die Platte ist eingeschlagen. MTV, die Radiosender, alle sind drauf angesprungen – und nach einer Tour mit Limp Bizkit dachten wir: „Okay, Amerika ist in der Tasche.“ War aber nicht so. Dann kam „Mutter“, unsere beste Platte, eigentlich der Gipfel unseres Schaffens, die sich in Amerika nicht schlecht verkaufte, aber nicht so gut wie „Sehnsucht“. Wir haben dann noch drei, vier eigene Tourneen gespielt, jeweils vierzig, fünfzig Konzerte im ganzen Land, sehr mühselig. Mal alleine, mal mit Slipknot und System Of A Down. Dann kam der 11. September 2001, die nächste Tour wurde um sechs Wochen verschoben und war auch nicht mehr so gut besucht. Danach haben wir aufgegeben und gesagt: „Scheiß auf Amerika!“

Und plötzlich ein neuer Versuch in New York …

Zu „Liebe ist für alle da“ haben wir in Kanada vor 100.000 Menschen gespielt, darunter viele angereiste Amerikaner. Da dachten wir, vielleicht geht da doch noch was. So entstand die Idee mit der Show im Madison Square Garden. Wir wollten ein Zeichen setzen. Mal sehen, ob wir die Halle ausverkauft kriegen, eine Art Comeback. Hat ja geklappt. Mit der neuen Best-Of „Made in Germany“ spielen wir in den USA 20 Shows in den großen Arenen.

Wer hat in der Band das Sagen?

Wir sind ein ziemliches Kommunisten-Kollektiv. Alles wird gemeinschaftlich entschieden, und es wird nicht gern gesehen, wenn einer besonders viel Beachtung anstrebt oder bekommt. Alle repräsentieren die Band, nicht nur der Sänger. Till hat damit nie ein Problem gehabt. Wir wissen, dass wir nur zusammen Rammstein sind. Wenn einer mal ausschert, gibt es die Gruppenkraft, die ihn wieder eingemeindet: „Geh mal zurück in deine Reihe.“ Das beschneidet natürlich ein bisschen die Individualität. Aber wir lieben das. Wir fühlen uns darin sicher und wohl, weil wir wissen, dass da unsere Stärke liegt.

Wie oft stand die Band vor dem Auseinanderbrechen?

Vor zehn Jahren gab es eine ernsthafte Krise, und vor Kurzem noch mal ein bisschen. 2001 dachte einer, er sei die Band und müsse alles musikalisch kontrollieren. Da bekamen die anderen Platzangst. Richard ist damals nach Amerika gegangen. Durch das Soloprojekt hat er gemerkt, was er an Rammstein hat.

Und kürzlich?

Das hatte mit mir zu tun. Ich habe bei der letzten Platte ziemlich rumgenervt und wollte mich mehr verwirklichen. Da bin ich oft bei den Kollegen angeeckt, weil ich manchmal zu beharrlich an bestimmten Dingen festgehalten habe.

Klingt nach psychotherapeutischen Dauersitzungen.

Absolut, das ist richtige Psychotherapie.

Denkt ihr manchmal darüber nach, wie lange das noch weitergehen kann oder soll?

Ja. Man hat natürlich Angst, dass man absteigen könnte. Das ganze Leben basiert ja auf der Band. Manche von uns haben Angst vor neuen Produktionen. Das ist für alle immer eine extrem schwierige Geburt. Alles muss von allen bewertet werden. Für Till ist das am schwersten. Der steht mit seinen Texten jedes Mal wie vor einem Tribunal. „Finden wir gut, finden wir nicht gut.“ Er trägt eine enorme Last auf den Schultern, wie am Ende der Show mit den 50 Kilogramm Engelsflügeln. Zu jedem Song der passende Text, das dauert bei uns immer so ein Jahr.

Zwischen den Platten lasst ihr beachtliche Pausen.

Ja, nach einer Tourperiode brauchen wir Privatleben, um uns zu sammeln. Uns hat immer geholfen, dass wir keine Medienband sind. Rammstein finden in Radio und TV nicht statt, wenn wir weg sind, sind wir weg, der Fan wird nicht genervt, sondern freut sich, wenn wir nach so einer Pause endlich wieder auftauchen.

Rammstein und die Skandale

„Stripped“

Die heftigste Debatte löste die Ver-

wendung von Leni-Riefenstahl-

Bildern im Video zum

Depeche-Mode-Cover „Stripped“ aus. Der Band wurde ein

zumindest verantwortungsloser Umgang mit nationalsozialistischer Ästhetik vorgeworfen. Nazis waren und sind

Rammstein aber natürlich nicht.

„Mein Teil“

2004 ließen Rammstein sich vom sogenannten Kannibalen von Rotenburg inspirieren.

Armin Meiwes hatte einen

Gespielen verstümmelt und

„geschlachtet“, angeblich einvernehmlich. „Denn du bist, was du isst/ Und Ihr wisst, was es ist/

Es ist mein Teil“, dichtete

Lindemann. Kam nicht so gut an.

„Pussy“

Im Vergleich zu früheren Skandalen eher albern: Ihren Song „Pussy“ (Textprobe:

„Zu groß, zu klein, er könnte etwas größer sein“) illustrierten sie mit einem expliziten Hardcore-Video, für das sie professionelle Pornodarsteller verpflichteten. Auch wenn die Musiker bei den Sex-Szenen gedoubelt wurden, waren sie für „Bild“ von da an nur noch „Rammelstein“.

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