Rainald Goetz und Airen – Die Blogliteraten
Rainald Goetz und Airen haben den Analoglesern die Netzliteratur gebracht - übernehmen die Blogger nun den Buchbetrieb? Von Jan Drees
Das ist überhaupt kein Telefon, was die Leute da in ihrer Hand halten! Das ist ein Handspiegel! Die Leute kontrollieren unentwegt ihre eigene Fresse! Die gucken sich an, ob sie sexy genug sind für die Welt, die tun nur so, als drückten sie irgendwelche geheimnisvollen Tasten oder riefen sms-Nachrichten ab.“ Derart aggressive Prosa schreibt der Poet 500 Beine alias Andreas Glumm aus Solingen in seinem stark frequentierten Blog, der ihm drei Buchangebote eingebracht hat – unter anderem vom Airen- und Helene-Hegemann-Verlag Ullstein.
„Aber Ullstein hat sich zerschlagen. Im Moment kungle ich mit zwei anderen Verlagen. Da gehe ich mit der Zeit: Ein Buch wird kommen …“ Der 1960 Geborene gibt sich siegesgewiss, „geht mit der Zeit“, was einem gefühlten Hype zuzuschreiben ist: Deutschsprachige Blogs stürmen den Literaturbetrieb. Altmodisches Erzählen, klassisches Storytelling kann im Angesicht des tagesaktuellen, schnellen Netztextens offenbar nicht mehr mithalten. Oder ist das etwa alles Bullshit?
Über Airens berühmte Blogbücher „Strobo“ und „I Am Airen Man“ ist ausführlich geschrieben worden. Auch über Eric Pfeils „FAZ“-Pop-Tagebücher, die unter dem Titel „Komm, wir werfen ein Schlagzeug in den Schnee“ bei KiWi erschienen sind. Dann gibt es noch die Suhrkamp-Debütantin Elisabeth Rank, die schon 2007 als selbsternanntes „Emosozialprodukt“ sehr indie über „Fingerflügelflossen“, Trompetensamba und surrogate sounds schrieb und quasi aus dem Netz weg gecastet wurde.
„Ein Agent las meinen Blog und schrieb mich an, ob ich nicht eine Kurzgeschichte zu einem Weihnachtsbuch von Suhrkamp beisteuern wollte“, sagt die 25-Jährige. „Im Sommer darauf hab ich mit ihm dann für das 9to5-Festival gearbeitet, und irgendwann fragte er mich, ob ich nicht Lust hätte, ein Buch zu schreiben.“ Elisabeth Ranks Roman „Und im Zweifel für dich selbst“ erschien kürzlich bei Suhrkamp. Der Roman beginnt mit dem Unfalltod eines jungen Mannes und dem Schmerz zweier Frauen, seiner Geliebten und seiner besten Freundin. Zusammen fahren sie von Berlin aus zur Ostsee, tauschen die Trauer gegen das weite Meer: Melancholie und Alltag.
Die „Taz“ schrieb: „Lisa Rank ist gut vernetzt – am besten allerdings mit sich selbst:, Und im Zweifel für dich selbst‘ zeugt mit all seinen detailverliebten Beschreibungen und Reflexionen von einem hohen Grad der Empfindsamkeit.“ Es ist eine Sprache, die direkt aus ihrem Blog kommt. Ihr (auch bloggender) Agent Berni Mayer beobachtet übrigens „nur noch wenige Blogs, weil ich die literarische Qualität der meisten doch als eher gering einschätze. Blogs sind zunächst nur eine weitere Option, sich selbst zu verlegen: Du willst der Welt oder deiner Putzfrau etwas mitteilen. Das ist keine Literatur, sondern überwiegend der Schund von Leuten, die nicht gelernt haben, zu publizieren. Aber gerade unter ihnen finden sich eben auch ein paar Rohdiamanten.“
Ohne Blogs und aufmerksame Lektoren wären in den vergangenen 36 Monaten etliche Bücher nie erschienen. Die einen waren, wie bei Lisa Rank, Spielweise und zugleich Bewerbungsschreiben für den ersten Roman. Die anderen, wie bei Eric Pfeil oder Airen, waren bereits das fertige Buch. Es musste nur hier und da gekürzt werden, ein Cover gemalt, die ISBN-Nummer bestellt werden. Fertig.
Simpel ist das, wie Punk oder Pop, noch genauer Pop-Literatur, die vor elf, zwölf Jahren jeden sprachbegabten Twentysomething animierte, die Gegenwart mitzuschreiben. Inspiriert durch Rainald Goetz‘ 1998er-Blog „Abfall für alle“ entstehen die Internet-Literaturprojekte „pool“ (als Buch bei KiWi) und „Null“ (Dumont). Und wer sich heute einmal die Mühe macht, die sogenannte Blogosphäre zu durchsuchen, Koch-, Heimwerker- und Katzenseiten wegklickt, findet zum Beispiel bei „Mequito“ Zinnowitz-Melancholie mit sanftgesichtigen Hotelkellnerinnen, („Es wirkt püppern. Wie aus Porzellan. Fast unbeweglich.“), poetisches Selbstbeobachten auf der „Ruhepuls“-Seite, die nach Mittneunziger-Indie-Rock-Songtexten klingt: „Wie unsexy ich es fand, dass der Typ hinter mir an der Kasse eine Tafel Alpia-Schokolade gekauft hat.“ Oder auch, bei Autor Bov Bjerg (zuletzt der Roman „Deadline“ bei MDV) Selbstreferentielles über Internet, Literatur und Blog-Lesungen – Letzteres ist die vermutlich entspannteste Adaption von Netz-Texten. Solche Events entsprechen dem Geist des Mediums Internet, das sich nie auf Dauer festlegen lässt und und sich ständig im Fluss befindet, viel besser als zum Beispiel: gedruckte Bücher.
Die verändern sich nicht zwangsläufig durch Blogs. „Nur so, wie bereits E-Mail, Chat und so weiter sie verändert haben: noch fragmentarischer, assoziativer, mit mehr aus dem Netz kopierten Bildern und Videos“, sagt Peter Gendolla von der Universität Siegen. „Das ging doch sehr früh los, von Film und Radio angeregt, mit Dos Passos oder auch Döblin, führte über Rolf Dieter Brinkmanns, Film(e) in Worten‘ zu Goetz und jetzt Hegemann.“
Das gerade erschienene Prosadebüt von „Riesenmaschine“-Alpha-blogger Sascha Lobo („Strohfeuer“ bei Rowohlt) erinnert an klassisches „jetzt“-Magazin-Erzählen. Der Roman erzählt mäßig inspiriert über ein crashendes Dotcom-Start-Up, inszeniert Endneunziger-Großspurigkeit, platziert beizeiten einen deftigen Witz – doch an die Twitter-Unmittelbarkeit, die Lobos Follower von Beginn an bannt, ist nichts geblieben.
Beat Suter, Dozent für Game Design an der Zürcher Hochschule für Künste und einer der ersten Spezialisten für Netzkultur, konstatiert, dass es Ergiebigeres gibt, als sich allein mit dem Phantom der blogspezifischen Literatur zu beschäftigen, so etwa „mit der voranschreitenden Technologie und der ständigen Erweiterung der Medien als neue literarische Inspirationsquelle. Zum Beispiel übt das Sampeln und Mixen in der Musikszene seit einiger Zeit einen großen Einfluss auf junge Literatur aus. Spontanes Texten via mobiler Geräte hat ebenfalls einen regen Einfluss auf die Literaturproduktion, so seit einigen Jahren in Japan, nun aber auch in Europa.“
Und wann wird man Andreas Glumms Buch in den Händen halten? Der Zeitpunkt steht in den Sternen, bis dahin bleibt’s noch beim Blog, mit seinen indiskreten Einblicken, auch ins Literaturgeschäft unserer Tage: „Der Berliner Literaturagent war so begeistert, er schnappte beinah über am Telefon. Ich hatte ihm eine Handvoll Stories gemailt, 100 Seiten fast, die Begeisterung aber wurde von etwas anderem ausgelöst., Endlich mal ein Autor‘, jauchzte er,, der nicht in Berlin wohnt!'“ Er hat auch gleich eine Idee parat, wie man aus dem Blog einen Roman strickt. „Ich hatte keinen Roman“, denkt in dem Moment Andreas Glumm. „Einen Haufen Geschichten, aber keinen Roman.“
Es wird wohl noch eine Weile dauern, bis die Netzliteratur richtig bei uns angekommen ist. Das iPad als neues Lesemedium könnte ein Anfang sein: Papier braucht man hier nicht mehr, um gut lesbar zu publizieren. Der nächste, logische Schritt, nachdem Blogs für Bücher geschrieben wurden und Bücher aus Blogs entstehen. „Blogs gehören ins Netz und nicht in ein Buch“, sagt abschließend Beat Suter. „Sobald man versucht, einen Blog in ein Buch zu sperren, ist es um ihn geschehen.“