R.E.M.: So war die Eröffnung der Anton Corbijn-Ausstellung in Dresden
In Dresden erinnert die Ausstellung von Anton Corbijn "R.E.M. Seen Between 1990 And 2010" und das Kurzfilmprojekt zu "Collapse Into Now" von Michael Stipe an die schöne Zeit mit R.E.M. - Birgit Fuß war vor Ort und berichtet vom Premierenabend.
Ein bisschen Trauer spielt seit September 2011 immer mit, wenn es um R.E.M. geht. So auch am Donnerstagabend in Dresden. Dass sich die Band nach 31 Jahren aufgelöst hat, bedeutet ja nicht, dass sie nicht mehr präsent ist. Im Albertinum gab es gleich einen Doppelpack Erinnerungen: die Ausstellung „R.E.M. Seen Between 1990 And 2010“ von Anton Corbijn und – im Rahmen des Internationalen Kurzfilmfestivals – die Weltpremiere der gesammelten Filme zum letzten Album „Collapse Into Now“.
Zur Einstimmung lief erst mal im Hintergrund „Live At The Olympia“, einesm der schönsten Dokumente der Fähigkeiten dieser Band. Allerdings auch ihr erfolglosestes, wie Manager Bertis Downs, der eigens aus Athens angereist war, kopfschüttelnd feststellte: „Ich glaube, das haben weltweit ungefähr drei Leute gekauft!“ Mich nahmen diese Lieder – etwas unerwartet – doch wieder mit – die Erinnerung, wie groß diese Band war, und die Feststellung, dass sie vielleicht nie wieder zusammen auftreten werden. Kann eine Band, die auch zuletzt noch Stücke wie „Every Day Is Yours To Win“ geschrieben hat, einfach einpacken? Darf ein Mann, der eine Stimme hat wie Michael Stipe, einfach entscheiden, dass er nur noch unter der Dusche singt? Downs sieht das so: „Michael ist halt eigentlich ein Künstler, der nur ein paar Jahrzehnte Auszeit genommen hat, um ein Rockstar zu sein.“ Ich persönlich liebe Skulpturen nicht so sehr wie Songs, aber das ist wohl mein Problem.
Live-Musik gab es in Dresden allerdings auch – Klavier-Versionen von R.E.M.-Songs, die Marko Djurdjevic fabelhaft spielte – obwohl er doch bestimmt noch in den Kindergarten ging, als zum Beispiel „Electrolite“ geschrieben wurde. Downs wurde fast sentimental, als er darüber nachdachte – aber nur fast, er ist ja ein Profi. Bei seiner kurzen Eröffnungsrede zählte er viele schöne Erlebnisse auf, die er mit der Band in Deutschland hatte: diverse Konzerte in der Berliner Waldbühne, bei Rock am Ring, auf dem Domplatz in Köln. (Den Blinddarmdurchbruch, der Mike Mills damals dort ereilte, erwähnte er nicht.) Was er nun als Manager einer zurückgetretenen Rockband immer so mache, fragten ihn viele Leute, erzählte Downs, und er würde jetzt antworten: „Hoffentlich solche Sachen wie heute!“
Auch Anton Corbijn kam kurz auf die Bühne und machte mit einem Blick auf das riesige Michael-Stipe-Foto über ihm gleich den ersten seiner berüchtigten Witze: „Das sieht jetzt aus, als wäre das hier eine Beerdigung, es ist aber eine Feier, eine Würdigung von R.E.M.“ Zu verdanken war der runde Abend Dirk Burghardt, dem Direktor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD), der nicht nur R.E.M. gut kennt, sondern auch Corbijns Werk in seiner Rede wunderbar beschrieb: Er male mit Licht. Dass Corbijns Fotos keine Gebrauchsbilder sind, sondern Kunst, ist klar, aber sie so gesammelt zu sehen, die besten Bilder aus 20 Jahren, macht es noch einmal überdeutlich. Man mag sich in den letzten Jahren ein bisschen sattgesehen haben an der Ästhetik – dem partiell verschwommenen Schwarzweiß -, aber in Dresden entdeckt man noch einmal Corbijns gesamte Bandbreite anhand nur einer Band, und einige der 44 Fotografien, die dort ausgestellt sind, hat man tatsächlich noch nie gesehen: Michael Stipe, nur in ein Handtuch gehüllt an einem Swimmingpool in L.A., 1999. Beim Schminken für ein Konzert, 2005. Die letzten Aufnahmen, in Nashville 2010, sind leider ein bisschen muffig, doch das lag möglicherweise an der fehlenden Bereitschaft des Trios, sich auch mal einen Spaß zu erlauben. Wie schön dagegen die Bilder, in denen Stipe sich eine Orange in den Mund steckte, die Hosen runterließ, seinen Bauchnabel durch eine Lupe betrachtete. Und dann sind da natürlich noch die ikonografischen Bilder, die Corbijn für „Automatic For The People“ machte: Stipe im Auto beim „Everybody Hurts“-Videodreh. Vom Publikum auf Händen getragen. Im Wasser. Das Album ist ohne die monochromen Bilder ja ebenso wenig denkbar wie „The Joshua Tree“ von U2.
Nach der Ausstellungseröffnung wurde das „Collapse Into Now Film Project“ gezeigt – mit einer kleinen Grußbotschaft von Michael Stipe, der die zwölf Filme zusammengestellt hat. Von „Videoclips“ kann man hier nicht reden, es sind kleine Kunstprojekte. Jeder Song wurde von einem anderen Regisseur umgesetzt. Einige davon – Jim McKay, James Herbert – kennt man noch aus den Anfangsjahren von R.E.M., als sie in Georgia verwackelte Filme in verwunschenen Gärten drehten und MTV noch kein Thema war. Da schließt sich der Kreis: Die Videokultur hat sich längst ins Internet verlagert, und wahrscheinlich dachte Stipe: Wenn uns eh keiner mehr sehen will, dann können wir auch gleich wieder machen, was wir wollen, ohne Rücksicht auf Verluste. Die Ergebnisse sind so unterschiedlich wie die Künstler. In Sam Taylor-Woods „Überlin“ turnt einer so dynamisch durch die Straßen, dass man gleich mitlaufen will, auch Dominic DeJosephs „Mine Smell Like Honey“ hat Wucht, während Tom Gilroys „It Happened Today“ so ruhig wie unheimlich ist. Aber was sich Sophie Calle dabei gedacht hat, den wunderschönen Song „Walk It Back“ – neben Aufnahmen einer Ballerina und einer Mücke auf einer Speisekarte – mit einem strullernden Pferd zu bebildern, bleibt ihr Geheimnis. Nicht der Höhepunkt des Abends. Am Ende wurden noch die beiden Filme zum Abschiedssong „We All Go Back To Where We Belong“ gezeigt – Kirsten Dunst in einer endlosen Nahaufnahme, niedlich.
Seine Bilder, hatte Corbijn zwei Stunden vorher gesagt, sollen nie bloß Star-Schüsse sein, sie bräuchten immer „a reason to exist in their own right“. Auf alle Filme traf das an diesem Abend nicht zu, aber die Mischung war doch spannend genug, um alle auf den Sitzen zu halten – und das waren viele, der Lichthof im Albertinum war rappelvoll. Nebenbei konnte man sehen, dass James Franco auch als Regisseur tatsächlich Talent hat: Sein Film zum bewegenden „Blue“ war der große Gewinner des Dutzends (fand auch Anton Corbijn). Auf dem Heimweg konnte man noch kurz aufs Elbufer schielen, wo R.E.M. 2008 ein umjubeltes Konzert gaben. Ich wollte gerade in Nostalgie versinken, als ich den komischsten Leser-Schreiber-Dialog meiner fast 20-jährigen Laufbahn erlebte:
Leser: Bist du Birgit Fuß?
Ich: Ja.
Leser: Vom ROLLING STONE?
Ich: Ja.
Leser: Du hast doch immer so schön über R.E.M. geschrieben.
Ich: Danke!
Leser: Tut mir leid, dass die sich jetzt aufgelöst haben.
Ich: Mir auch.
Leser: Nee, also, mir tut’s vor allem für dich leid. Ich mag R.E.M. gar nicht soo gern.
Ich: Ach so.
Und dann lächelte mich der Mann mitleidig an und verschwand. We All Go Back To Where We Belong.
Die Ausstellung „Anton Corbijn: R.E.M. Seen Between 1990 and 2010“ ist noch bis zum 10. Juni im Dresdner Albertinum zu sehen. Infos unter www.skd.museum
Unsere gesammelte Trauerarbeit zum Ende von R.E.M. finden Sie hier: