R.E.M. – London, Earl’s Court
Hunde und Hasen, Mond und Sterne und etwas, das aussieht wie ein fliegender Penis, sich aber doch nur als geschälte Banane herausstellt: Die Neonschilder über der Bühne sehen verdächtig nach Kirmes aus. Doch sobald R.E.M. die Bühne betreten, bündeln sich bei aller Buntheit die Blicke doch auf Michael Stipe. Was bestimmt deprimierend ist für Mike Mills, der einen um Aufmerksamkeit flehenden Glitzeranzug trägt, aber angenehm für Peter Bück, der sowieso kaum ins Publikum blickt Bei „Suspicion“ wird der Unterschied zur eher enttäuschenden Monster-Tour erstmals deutlich sichtbar. Was ’95 noch verzweifelte Pose war, hat Stipe inzwischen verinnerlicht: Er sonnt sich im Scheinwerferlicht, tänzelt herum und wenn er das Publikum bittet, sexy zu sein, meint er damit wohl: so sexy, wie er sich selbst fühlt Die Band hat sich entschieden, Songs einzubauen, die man bisher live kaum hörte: „Sweetness Follows“ und „Find The River“ beispielsweise.
Die ganz alten Lieder, auf die sie eigentlich für immer verzichten wollten, wurden einfach so verändert, daß sie ins Konzept paßten: schnellet; langsamer oder – wie „Life And How To Live It“ – fast punkig. Ihr Gewäsch von gestern interessiert R.E.M. anscheinend nicht Wenn sie jetzt plötzlich doch wieder „The One I Love“ spielen möchten, tun sie es eben. Das Alter oder der Millionendeal müssen sie befreit haben von dem Zwang, noch irgendwem irgendetwas beweisen zu wollen.
In dem neuen Song „The Great Beyond“ singt Stipe: „I’m pushing elephants up the Stairs“, und so verkrampft wirkte er früher oft. Doch heute haben sich R.E.M. offensichtlich gesundgeschrumpft. Die Arenen sind gerade klein genug, um nur noch Fans zu fassen, die auch das Falsett von „Tongue“ ertragen und bei „I’m Not Over You“ sofort aufhören zu klatschen, wenn der Sänger Stille fordert, weil er sich sonst nicht auf die Akkorde konzentrieren kann.
„Walk Unafraid“ müßte eigentlich längst die Band-Hymne sein, denn kaum eine Zeile beschreibt R.E.M. so gut wie „celebrate the contradiction“: In zwei Stunden schaffen die drei einen Querschnitt aus fast all ihren Alben, trotzdem hat die Zusammenstellung gar nichts von einer abgeklärten Greatest-Hits-Show. Der Zauber endet wie gewohnt mit „It’s The End Of The World“, obwohl sich wahrscheinlich keiner gewundert hätte, wenn R.E.M. auch noch „Shiny Happy People“ angestimmt hätten.