Quotenrufer
Als Chef des Rockmusikerverbands streitet OLE SEELENMEYER zweifelhaft, diktatorisch und oft zum eigenen Wohl für eine "richtig deutsche Rockkultur".
Deutsch ist in. Die Single-Verkaufscharts der letzten Woche weisen 38 von 100 Titeln aus deutscher Produktion auf. Eine ganz normale Woche: Seit drei Jahren schon werden hierzulande so viele Tonträger made in Germoney verkauft wie seit dem NDW-Highlight Mitte der 80er Jahre nicht mehr. Acts wie Pur, Die Töten Hosen, Böhse Onkelz oder Wolfgang Petry waren noch nie so erfolgreich wie heute. Ein Dutzend Radiowellen bestreiten ihr Programm mehrheitlich mit deutscher Musik. Das Erfolgsrezept von VIVA, das überraschend mit seinem juvenilen Musikclip-Repertoire zu einer Konkurrenz für die englischsprachige Fernseh-Bravo MTV wurde: „40 % deutsche Produktion“.
Da mutet es kurios an, wenn deutsche Musikanten in einer dramatischen „Deklaration“ an die deutsche Politik exakt das fordern, was längst Realität ist, und damit auch noch so ernstgenommen werden, daß selbst Der Spiegel dem Wortführer Heinz Rudolf Kunze eine Seite einräumte, damit der seinen Ekel vor der „Flut von ausländischer Musik und eben auch ausländischem Schund“ in die Welt hinausbellen konnte. Abgesehen von den deutschtümelnden Begründungen des bekennenden Botho-Strauß-Fans („Wir hier in diesem Land denken nun mal deutsch“) hat der seiner Identität beraubte Dichter natürlich recht, wenn er den akustischen Terror der „entsetzlichen Formatradios“ beklagt, die sich in ihrer Tbp-Ten-Manie nur noch in der Reihenfolge der stets gleichen Fastfood-Charts-Singles unterscheiden.
Dies allerdings über eine staatlich verordnete Zwangsquote ändern zu wollen, die als Qualifikation nur den Stammbaum des Schöpfers akzeptiert, ist eine recht unausgegorene, ja naive Idee. Nicht pauschal „deutsch-(sprachig)e Künstlerinnen“ werden von deutschen Ätherwellen zensiert (sonst wären uns Pur, Heino und die Schlümpfe erspart geblieben), sondern Acts, die musikalisch zu schrill, zu schnell, zu hart, textlich zu radikal sind. Und das gilt für angloamerikanische Hardcore-, Punk-, Metal-, Rap-Acts ebenso. Die Quote würde nicht mehr spannende Minderheitenmusik, schon gar nicht Nachwuchstalente bringen, sondern noch mehr Maffay, Carpendale, Frank Farian-Klone, Pur, vielleicht auch mehr „Dein ist mein ganzes Herz“, jedoch nicht mehr „Halt’s Maul“. Nicht besser, sondern deutscher.
Darum geht es letztlich, wenn Ole Seelenmeye«; der Sprecher des „Deutschen Rock- und Popmusikerverbandes e.V.“ vor dem „Genozid an deutscher Rockmusik“ warnt Die biedere „Deutsche Lehrerzeitung“ summierte sogar keck die „Quotendiskussion bramabarsierender Nationaltölpel“ mit dem symbolischen Satz: „Deutsche wehrt Euch, kauft nicht bei WOM!“, und Dieter Gorny von VIVA schob nach: „Diese Diskussion kommt 20 Jahre zu spät.“
In der Tat ist diese Kampagne des DRMV ein Aufguß aus den Achtzigern. Als nach der gemolkenen Neuen Deutschen Welle das Interesse an deutschsprachiger Musik abflaute, meldete sich die Initiative „Künstler in Aktion“ mit Quotengelüsten. Vorstandsmitglieder: Heinz Rudolf Kunze, Klaus Lage. Der Erfolg blieb aus. Daß auch der neue Quoten-Aufguß sehr schnell zu einer Loser-Nummer mit stark rechtem Beigeschmack geriet, dürfte den Initiator Ole Seelenmeyer nicht überraschen. Er kennt es nicht anders. Seit zwölf Jahren.
Ole Seelenmeyer ist ein engagierter Mensch. Seit 1984 hält der Beatles-Fan seinen rührigen Club aus Musiklehrern und Amateurmusikern im Alleingang zusammen. Zur Karriere als Musiker hat’s trotz jahrelanger Versuche mit der Beatles Beat Band nicht ganz gereicht, aber womöglich als Jurist. Da kennt er sich aus. Der Mann hat in den letzten zehn Jahren mehr Gerichtssäle gebucht, als andere Leute im ganzen Leben von innen gesehen haben – denn die Mitgliederschaft hat Ole seinen unermüdlichen Einsatz für die deutsche Kultur nicht immer gedankt. Versammlungsprotokolle sowie andere Dokumente aus der Vereinsgeschichte lesen sich wie eine unaufhörliche Ansammlung von juristischen Auseinandersetzungen, Intrigen, Kampagnen und Gegenkampagnen, Austritten und Rauswürfen. Dabei geht es wenig um Musik und viel um Geld. In unschöner Regelmäßigkeit wird dem Vorsitzenden vorgeworfen, Gelder zu veruntreuen, der kontert mit opulenten Spendenbelegen zugunsten des Vereins und beschuldigt die Gegner unredlicher Aktivitäten.
Eine wirkliche Opposition konnte sich jedoch nie entwickeln. Denn der Verein ist Seelenmeyers Lebenswerk; ohne ihn, bestätigen Mitglieder, wäre der DRMV längst pleite, und Ole ohne den Verein nicht nur seiner finanziellen Ressourcen beraubt. Die Struktur erinnert an andere zentralistisch geführte Vereinigungen – wie Jugendpresseverbände oder kommunistische Jugendorganisationen. Landesverbände oder andere autonome Untergliederungen existieren nicht, und die Mitgliederliste hütet Ole wie ein privates Tagebuch. Entscheidungen werden in der Lüneburger „Geschäftsstelle“ (Vermieten Seelenmeyer) getroffen. Da wird einem Landesaktivisten verboten, sich eigenständig um staatliche Gelder zu bemühen. Ist der Vorstand einmal mangels Masse nicht beschlußfähig, kooptiert er sich eben eine notwendige Stimme dazu. „Ergebnis der Gesamtkooption: der Vorstand ist beschlußfähig.“
Auch Außenstehende läßt Seelenmeyer sein eisernes Zepter spüren. Der Herausgeber eines Szene-Magazins klagte nach Veröffentlichung eines kritischen Beitrags darüber, der DRMWbrsitzende „spioniert hinter mir her (Anrufe bei Bekannten und Fragen nach meiner Arbeitslosigkeit und anderen persönlichen Dingen).“ Die Ergebnisse erscheinen nicht selten in bis zu 250 Seiten starken Dossiers, die bei Politikern, Institutionen oder Vorgesetzten des Betreffenden landen. Dabei enttarnte der Vorsitzende, der sich -je nach Gesprächspartner – mal als „demokratischen Sozialisten“, mal als „Grünen“, und mal ab „Ex-DKP-Sympathisanten“, bezeichnete, besonders gerne seine Kontrahenten als „Kommunisten, denen ich wegen meiner unnachgiebigen Haltung für (Basis-)Demokratie und Menschenrechte ein Dorn im Auge bin“.
Das erste prominente Opfer einer Verleumdung durch Seelenmeyer hieß Dieter Gorny, damals der Leiter des Rockbüros in Nordrhein-Westfalen und selbst Mitglied beim DRMV. Zum Eklat kam es, als Gorny auf Antrag der CDU-Franktion den jährlichen Landeszuschuß in Höhe von 200 000 DM erhalten sollte – Gelder, an die auch Seelenmeyer ran wollte. Flugs schrieb der Lüneburger „als gewählter Sprecher und Vorsitzender von rund 3000 Rockmusikern in Nondrhein-Westfalen“ dem CDU-Fraktionschef Worms einen Brief („Persönlich“), der SPD-Mitglied Gorny und andere als Kommunisten denunzierte. „Ich appelliere an Sie: Ersparen Sie den vielen hunderttausenden Jugendlichen in NRW, die sich leidenschaftlich für die neue Jugendkultur, die Rockmusik interessieren, von einem Rockbüro betreut zu werden, dessen politischer Standort nicht zweifelsfrei feststeht. Bitte lassen Sie zuerst die dortigen politischen Verhältnisse genau überprüfen. Ziehen Sie ein CDU-Mitglied als Fachmann für Rockfragen zu Rate, der in jeder Hinsicht qualifiziert und zuverlässig ist: Herrn Hansen, Leiter der Musikseminare der Konrad-Adenauer-Stiftung. Auch wir sind bereit, der CDU in dieser Frage so gut es geht zu helfen.“ Kein Einzelfall, recherchierte die Musiker- und Journalistengewerkschaft IG Medien, die mehreren ihrer Mitglieder Rechtsschutz gegen Seelenmeyer gewähren mußte und sich sogar genötigt sah, eine Dokumentation über das „von Herrn Seelenmeyer aufgebaute Geflecht von Eigeninteressen und Vereinsmeierei, von rechtskonservativer Vereinnahmung der Rockszene und kommunistischen Verschwörungstheorien gegenüber jeglicher Kritik“ zu veröffentlichen.
„Der DRMV ist im Grunde eine sozialpädagogische Einrichtung für Amateure vom Lande, die nichts anderes haben“, weiß Peter James, Vorsitzender des Verbandes unabhängiger Tonträgerunternehrnen (VUT). „Der DRMV hat kernen Einfluß und kann für die Rockmusiker nichts bewegen“, stellt auch die Musiker Opposition Hamburg fest. Und Gorny sieht den DRMV als „eine Art künstlerisches Biotop, das wenig erfolgreichen und subkulturell nicht innovativen Mainstreammusikern mit 70er Jahre-Charme in Ideologie scheinbare Nestwärme und Trost in einer angeblich kalten Umwelt bietet“.
Dabei war das alles doch mal ganz anders geplant Eine mächtige „Solidarnocz für die rechtlosen Rock- und Popmusiker dieses Landes“ sollte es werden. In der Praxis ist es ein privater Jugend- und Kulturverein, in dem die lebendigsten Jugendszenen der Gegenwart – Punk, HipHop, Techno – so gut wie nicht vertreten sind. Eine „Interessenvertretung“, die darauf achten muß, die Interessen ihrer Mitglieder nicht zu sehr zu vertreten, um staatliche Fördergelder nicht zu gefährden. Statt dessen setzt der Verein auf Einzelfallhilfe, die oft „wie die Rechtsberatung oder marode Veranstalterkartei unqualifiziert ist“ (Peter James), auf „Tips und Ratschläge“ per Telefon oder im „Rockmusiker-Jahrbuch“, in dem Ole die wichtigsten Erkenntnisse seiner gründlichen „Recherchierung“ im Rockbusiness für schlappe 50 DM sogar an Nichtmitglieder verschwendet. Darin können Nachwuchsmusiker etwa lernen, wie man richtig tolle Songs komponiert („Einfachheit ist die beste Regel erfolgreicher Songs. Einfache Melodien behält man viel leichter und sind viel einfacher zu singen“).
Prestigeobjekt des DRMV sind die jährlichen „Bundesrockfestivals“, bei denen „eine qualifizierte Jury aus bekanten Musikinterpreten, Musikpädagogen und Rundfunkmoderatoren“ 14 „Rock-Oscars“ verteilt „Am ersten Tag waren etwa 100 zahlende Zuschauer, am zweiten vielleicht 300 anwesend“, berichtet Uli Krug, Bassist der ’89er Siegerband Sanfte Liebe von den „zu groß geratenen Schulfesten“ („Die Welt“). Als Preise winken den Bands, die vor der Teilnahme Mitglied im DRMV werden müssen, vor allem Platten-Produktionen. Die Bands können ihre Aufnahmen jedoch nicht mit einem Produzenten und in einem Studio ihrer Wahl einspielen, sondern ausschließlich in einem Lüneburger Studio, das einst Ole Seelenmeyer und heute seinem Verein gehört. Auch werden die Bands verpflichtet, die Rechte ihrer Werken ans verbandseigene Label und den dazugehörigen Musikverlag abzutreten. Das mächtige Erfolgslabel des DRMV nennt sich „Rockwerk“ – schon mal gehört? Für den Verein stellt sie eine ergiebige Einnahmequelle dar. Unter anderen. So weist der Geschäftsbericht für 1990 unter „Einnahmen Sonstiges (Sendelizenzen etc.)“ immerhin 29019,48 DM aufaber keinerlei Auszahlungen an die aufgetretenen Bands. „Es gab nur eine Entschädigung für die Anreise in zwei PKW, was 200 DM nicht überschreiten durfte“, berichtete früher schon die Siegerband Soulromance. Eine heikle Sache, immerhin erhält der DRMV jährlich öffentliche Gelder in sechsstelliger Höhe für die Festivals und die Förderung der Bands. „Ich sehe in Verlagen und Plattenfirmen meine Feinde, die seit Jahrzehnten verhindern, daß sich eine richtig deutsche Rockkultur bilden kann“, begründet Seelenmeyer seine lukrative 100%-Quote. „Soll ich die etwa an meinen Bands verdienen lassen?“
Hinweise auf „gute deutschsprachige Rockmusik“ führt die von Kunze unterzeichnete DRMV-Deklaration nicht auf. Dafür enthält die opulente Autogrammliste von Matthias Reim bis zu Inka und Nicole alle namhaften Argumente für ein rein ausländisches Radioprogramm.