Quincy Jones: Kugelsichere Songs
Mit Michael Jacksons "Thriller" gelang dem Produzenten Quincy Jones 1982 ein wahrer Pop-Meilenstein. Auf ein schnödes Erfolgsrezept lässt sich der ehemalige Jazztrompeter zwar nicht reduzieren, guten Rat weiß er dennoch: Plattenproduzenten sollten wie Filmregisseure arbeiten. Der ROLLING STONE besuchte den Meister in seiner Werkstatt.
Er ist Be-Bopper aus Überzeugung, ein weiser Musikprofessor, ein schneller, eloquenter Redner, der gleichzeitig charmant, zielstrebig und gelassen auftritt. „Thriller“, seine jüngste Produktion für Michael Jackson, verkaufte sich über 25 Millionen Mal und brachte ihm drei Grammys ein – was seine Sammlung auf insgesamt 15 aufstockte. Dennoch arbeitet er an jedem neuen Album, als ginge es um seine Existenz. Quincy Jones bei der Arbeit. Das muss man einfach gesehen haben.
In gewisser Weise ist er ein genügsamer Mensch, der in Los Angeles ein bescheidenes Dasein führt. Er ist seit zehn Jahren verheiratet und Vater zweier Kinder, sein Haus in Bei Air liegt zwar in der richtigen Gegend, ist jedoch eher schmucklos und beileibe kein Palast. Seine Büros, in denen 15 Angestellte arbeiten, sind komfortabel eingerichtet, aber bar jeder Extravaganz. Sein Plattenlabel ist klein und beschränkt sich auf ein halbes Dutzend Acts, er arbeitet in gemieteten Studios, ganz ohne Starallüren. Es sind die Telefonanrufe, die für sich sprechen: Barbra Streisand möchte wissen, wann die Aufnahmen zu ihrem neuen Album beginnen können. Sidney Steinberg, der Boss von MCA, fragt nach, wann er mit dem Soundtrack für Universals neuen Science-Fiction-Blockbuster anfängt. Steven Ross, Chef von Warner Communications, möchte mit ihm zu Mittag essen, und David Geffen ruft an, weil er Hilfe braucht. Ob Quincy wohl ein wenig Zeit für ihn hätte?
Die Anrufe sind zum größten Teil einer Tatsache geschuldet: Jones‘ Talent, mit Musik Geld zu verdienen. Niemand weiß genau, wie er das immer wieder schafft, aber in einer verunsicherten, neurotischen Branche, in der die Billboard-Charts als Bibel gelten und jeder auf den Heiland wartet, ist er zwangsläufig die ganz große Nummer. Er gibt offen zu, über seine Erfolge hoch erfreut zu sein. Aber was ihn am wenigsten interessiert, ist herauszufinden, dank welcher Kunstgriffe seine Produktionen profitabel sind: „Befass dich damit und erkläre mir, was ich tue. Dann weiß ich beim nächsten Mal Bescheid.“
Die Leute um ihn herum können durchdrehen, doch Jones hat die Gabe, cool zu bleiben. Selbst dann, wenn er Druck macht und seiner Crew – Sängern, Assistenten, Studiomusikern – ein höheres Tempo abverlangt. Da ist etwa die kleine Katastrophe im Studio, als Jones das Debütalbum des Soulsängers James Ingram produziert. Der Drumcomputer streikt. Techniker versuchen verzweifelt, das Ding zum Laufen zu bringen. Erfolglos. Die Stunden vergehen. „„Bist du angepisst, Q?“, fragt ein besorgter Techniker. „Nein“, antwortet Jones lächelnd, während er eine Yoga-Dehnübung beendet. „Warum sollte ich von einem elektronischen Gerät angepisst sein? Mann, ich liebe all diese neuen Sounds und Farben. Hin und wieder gibt’s damit eben Probleme. Nimm dir lieber ein Glas Melonensaft.“
Die Maschine läuft wieder, Ingram singt über den Rhythmustrack. Von den neun Titeln des Albums sind vier bereits ausgewählt, doch das hat nichts zu sagen. „„Wir packen Songs rein und schmeißen sie wieder raus. Bis zum bitteren Ende. Die Auswahl der richtigen Titel ist das Herzstück des gesamten Prozesses.“ Liegt diesem Prozess irgendeine Methode zugrunde? „Nimm den Song mit nach Hause und lebe ein paar Tage mit ihm. Lebe mit ihm in all seinen Formen, als Demo, als Rhythmustrack, mit und ohne Gesang. Wenn er mich zu langweilen beginnt, wird er entsorgt. Wenn er anfangt mich zu verfolgen, kommt er in die engere Auswahl. Geduld, Mann. Bei den ersten Anzeichen von Spannungen dauert es nicht mehr lange, und schon regiert die Ignoranz. Aber der Markt da draußen ist so hart, dass sie dich killen, wenn dein Material nicht absolut kugelsicher ist.“
Nur die richtigen Songs auszuwählen, kann jedoch nicht alles sein. „„Natürlich nicht. Letztes Jahr etwa wollten wir ganz bewusst einen weißen Rock’n’Roll-Groove. Als Smelly dann ‚Beat It‘ geschrieben hatte, wussten wir sofort, dass der Song Nitroglycerin ist.“ Smelly? „„Wir nennen Michael Jackson manchmal Smelly, denn er ist so höflich und anständig, dass er nicht einmal das Wort ‚funky‘ über seine Lippen bringt. Ehrlich wahr! Er ist das sauberste Produkt, das Amerika heute zu bieten hat. Kürzlich traf er sich mit meinem Kumpel Marion Brando. Brando wurde schlüpfrig, erzählte grobe Geschichten von der Straße, bei denen sich Smelly die Ohren zuhalten musste.“
Zurück im Studio. Jones lauscht seit Stunden, seit Tagen diversen Synthesizer-Sounds. Geduldig verändert er Details, wählt aus. „„Wir machen das Biest fetter“, sagt er, „dann legen wir an den Kanten noch etwas nach. Das wird der Wahnsinn, Mann, der reine Wahnsinn.“ Gegen Mitternacht steht Quincy Jones dann im Garten seines Hauses. Glühwürmchen schweben über die manikürte Rasenlandschaft. Zehn Stunden hat er heute im Studio verbracht, jetzt denkt er über Ingrams Album nach. Er analysiert den Song, der heute aufgenommen wurde. Gerade wenn eine Nummer fertig scheint, wird sie wieder auseinandergenommen. Neustart. Der Groove wird verändert, neue Schichten von Synthesizer-Sounds werden aufgetragen. Die Bläser werden eliminiert, die Tamburine durch Flöten, die Flöten durch rhythmisches Klatschen ersetzt. „Die Hörer langweilen sich schnell“, bemerkt Jones, „„also muss man den Sound verändern. Man muss das Ohr bei Laune halten.“
Für Ingrams Album sucht er zur Abrundung noch eine Uptempo-Nummer. Hunderte hat er bereits abgelehnt, und er fragt sich, woher sie nun kommen soll. Wie ein Baseballmanager jongliert er seit Wochen mit der richtigen Aufstellung. Welcher Song wird die Führung übernehmen? In welcher Reihenfolge wird geschlagen? Unermüdlich schiebt er die Songs hin und her, auf kleinen gelben Zetteln, auf den Rückseiten von Briefumschlägen und auf Servietten. Seine liebste Analogie: Der Plattenproduzent ist wie ein Filmregisseur. Denn wie ein Film muss auch ein Album eine einzige, starke Vision auf den Punkt bringen. „Wir werden das Baby jetzt mal zur Ruhe betten“, sagt er, „etwas fehlt noch. Aber es wird kommen.“ Er schließt die Augen, streckt die Arme gen Himmel. Seine Stimmung liegt jetzt irgendwo zwischen einem zielstrebigen „Wir packen das schon“ und einem entspannten „Was kümmert’s mich“. Er schweigt.
„„Es ist eine Obsession“, lässt er schließlich wissen. „„Alben zu produzieren hat immer etwas Obsessives. Tatsache ist, dass ich von diesem Business besessen bin. Das ist der Grund dafür, warum ich so glücklich bin. Und warum ich die halbe Nacht aufbleibe und versuche, Klarheit zu bekommen.“