Queen und Adam Lambert live in Berlin: Und Freddie blickt zufrieden herab
Weshalb gehen Brian May und Roger Taylor mit alten Nummern und neuem Frontmann auf Tour? Ist es die Kohle? Vielleicht. Vielleicht ist der Grund dafür auch ein weiterer, trauriger.
Viele Fans des 1991 verstorbenen Queen-Sängers Freddie Mercury hätten eigentlich allen Grund, „The New One“, den Neuen, wie Brian May ihn nennt, abzulehnen: Adam Lambert kommt rüber wie jemand aus einer Casting-Show, aber gut, er stammt ja auch aus einer Castingshow. Mit seinem eingelederten Körper sieht er aus wie eine Mischung aus Harald Glööckler und Bill Kaulitz, solche Leute halt, die vor Clubs wie dem Viper Room abhängen (ok, Glööckler wohl nicht). Die grünen Unterarm-Volltätowierungen erinnern außerdem an die Fußballspieler der ekligen Serie A. Dazu klunkert es golden an Lamberts Körper. Alles scheint irgendwie als Spiegelfläche des Scheinwerferlichts zu funktionieren, während Mercury sich damals noch mit einem einzigen schillernden Juwelierstück, der Krone auf dem Haupt, begnügt hatte. Camp aussehen, das konnte der auch ohne Kajal. All das fährt einem wie Strobo-Lichter durch den Kopf, sobald Lambert zu den ersten Takten von „One Vision“ die Showtreppe hinuntergleitet.
Ansonsten lässt sich sagen: Adam Lambert, 33 Jahre alt, Amerikaner, ist ein toller Sänger. Einige wenige Lieder wie „Who Wants To Live Forever“ kann er sich sogar komplett aneignen, es entsteht die Illusion, sie könnten auch für ihn geschrieben worden sein.
Aber weshalb gehen Brian May, 67, und Roger Taylor, 65, überhaupt mit alten Nummern und neuem Frontmann auf Tour, mit einem Sänger, der nie in die Fußstapfen des alten treten könnte? Ist es die Kohle? Vielleicht.
Vielleicht ist der Grund dafür auch ein weiterer, trauriger. Als Solokünstler sind May und Taylor bedeutungslos, obwohl sie zusammengezählt 50 Prozent aller Queen-Hits komponiert hatten. Vor und nach dem Tod vom Freddie Mercury 1991 haben sie keine bemerkenswerte Musik im Alleingang veröffentlichen können. Es wäre dennoch viel zu schade, würde man beide deshalb nie wieder hören. Brian May natürlich, würde man ihn als Gitarrist nie wieder hören. Allein seine Wechsel zwischen Funk und Metal sind an diesem Abend in „Another One Bites The Dust“ ein Spektakel, man freut sich jedesmal, sobald sein rechter Fuß in die Nähe des Effektgeräts kommt.
Dafür schockiert es zunächst, wie sichtbar gealtert Roger Taylor doch ist. Andere Rockstars seines Jahrgangs und Statur, Roger Daltrey etwa, haben sich blond aufgepimpt. Doch dann ist es umso toller zu begreifen, welche Qualität der einstige Frauenheld und nun zum Hutzelmännchen geschrumpfte und mit weißem Nikolausbart ausgestattete Drummer dann doch vor sich her trägt. Wie er an Schlagzeug, Percussions und Mikrofon die Bühne hinten wie vorne einnimmt. Es ist eine Qualität, die junge Bands gar nicht mehr zulassen würden. Taylor ist noch ganz das alte Rückgrat, ein Schlagzeuger der Siebziger. Einer, der sich seine Action in einem Quartett erkämpfen muss, weil er berufsbedingt die meiste Zeit sitzt. Und wer applaudiert ihm am meisten dabei? Natürlich die Hardrockblondinen mittleren Alters mit Dauerwelle, die rechts am Bühnenrand stehen, Vorderarme aufgestützt, Handtasche über der Reling, sicher die Entourage der Band. Die glauben an ihn. Leute wie Taylor oder auch Lars Ulrich von Metallica sind wohl die letzten ihrer Art – und Taylor, wie er hier in „A Kind Of Magic“ beweist, noch immer der Co-Sänger, vor dem sich Mercury stets am meisten in Acht nehmen musste.
Nein, über Adam Lambert, „The New One“ braucht man sich also nicht aufzuregen, sein Handlungsspielraum wurde in den durchkomponierten zwei Stunden eh schon eingegrenzt. Er hält eine kurze Dankesrede an Freddie Mercury wegen des Jobs, der an ihn übergegangen ist. Lambert begnügt sich auch mit einem einzigen Gang in den Graben zum Abklatschen. Albern ist lediglich sein Geräkel auf der Couch während „Killer Queen“, bei dessen Höhepunkt er dem Gitarre spielenden May Luft zufächert. Das wirkt wie eine Schwulenparodie, und es hätte Mercury, der seine Lebensweise gegen homophobe Anfeindungen durchsetzte, nicht gefallen. Vielleicht muss Castingshow-Mann Lambert, der sich für jeden Song eine neue Gestik ausdenkt, dazu zählt auch das Michael-Jackson-Relikt des Eiergriffs, noch das Jurypult aus dem Kopf kriegen.
Der Gitarrist nimmt auf einem Schemel Platz und intoniert alleine das Stück „Love Of My Life“, Mays Gesang wechselt sich mit dem Mercurys ab, der hinter ihm auf der Leinwand eingeblendet wird. Es ist ein Akt ohne Theatralik, überhaupt wird Freddie während des Konzerts nur viermal gebracht; May blickt auch nicht ein einziges Mal hoch zum verstorbenen Freund, verkneift sich Sprüche á la „Cheers Mate, hope y’doing fine up there“. Gut, dass Lambert in solchen Momenten für Lobpreisungen nicht verfügbar ist, er trocknet sich wohl gerade backstage ab, schlüpft in die nächste Schnürlederhose.
Brian May, der vor einigen Jahren seinen Doktor in Astrophysik gemacht hat, vergleicht seine Queen-Truppe mit den Raumpionieren aus „Interstellar“: Auch sie seien mit der Mission unterwegs neue bewohnbare Planeten zu entdecken. Noch bevor man versuchen kann zu verstehen, was May damit meint, geht er die Empore hoch und spielt unter der Projektion eines Sternenhimmels ein langes, ein zum Glück sehr langes Gitarrensolo. Er braucht das, die Fans auch. So könnte das ewig weitergehen! Vielleicht macht Brian May das ja auch Zuhause, nachts, im riesigen Garten seines Schlösschens auf dem britischen Land, und Roger Taylor sitzt vor drinnen, vor dem Kamin.
Setlist:
One Vision
Stone Cold Crazy
Another One Bites the Dust
Fat Bottomed Girls
In the Lap of the Gods… Revisited
Seven Seas of Rhye
Killer Queen
I Want to Break Free
Somebody to Love
Love of My Life
’39
A Kind of Magic
Under Pressure
Save Me
Who Wants to Live Forever
Last Horizon
Tie Your Mother Down
I Want It All
Radio Ga Ga
Crazy Little Thing Called Love
The Show Must Go On
Bohemian Rhapsody
Zugabe:
We Will Rock You
We Are the Champions