Der Spätruhm von Queen ist erstaunlich (und unerwartet)

Die Band hat ihre Qualitäten konserviert und ihre Schwächen versteckt wie keine andere.

Auf „A Day At The Races“, dem Nachfolger ihres vielleicht besten Albums („A Night At The Opera“, mit „Bohemian Rhapsody“), platzierten Queen einen Song, der sich ironisch mit ihrem neuen Status als reiche Säcke des Rocks auseinandersetzte: „The Millionaire Waltz“. Das Stück können die Briten nun wohl bald in „The Billionaire Waltzt“ umbenennen. Denn wenn es tatsächlich dazu kommt, dass Queen ihren Musikkatalog für rund eine Milliarde Euro an Sony Music verkaufen, dann wären sie wahrlich die Rock-Könige im Geldverdienen.

Bob Dylan, Bruce Springsteen, David Bowie, Phil Collins und The Police haben für ihren Musikschatz nicht einmal die Hälfte bekommen können. Nur ABBA, die Beatles und die Rolling Stones könnten sich wohl noch vor Freddie Mercury und seine Kollegen platzieren – wenn sie denn verkaufen wollen. Einfach zu vergleichen ist das alles aber nicht. Jedes veräußerte Paket hat seine eigenen Konditionen. Für Queen munkelt man davon, dass auch die Rechte am Merchandising enthalten sein werden. Eine nicht zu unterschätzende Einnahmequelle.

Queen waren immer gut darin, Kohle zu machen. Sie prahlten damit, und wurden, als es technisch und ökonomisch möglich wurde, zu Giganten des Stadionauftritts. Die Band hatte in ihren ersten Jahren Erfolg, weil sie klug Led Zeppelin adaptierte, die Kopie aber geschickt mit einer Prise Fantasy, Glam und Kunstwuchtigkeit überdeckte. Queen hatten im Rock-Genre Hits, die bei Lichte betrachtet größer waren als die aller Gruppen, die nach den 60ern an den Start gingen. Sie machten in den 80ern immer noch Musik, die ihre Energie aus den 70ern bezog, aber die sich verändernde Studio- und Produktionstechnik (nicht immer gelungen, aber zielsicher) zum Maßstab für ihre musikalische Entwicklung nahmen. Diese Briten hatten nicht nur Humor und Charme, sie waren clever.

Queen bei einem Auftritt in Montreux im Jahr 1984
Queen live

Wo wären Queen heute, wenn Freddie Mercury noch leben würde?

Natürlich ist es müßig zu sagen, wo Queen heute stehen würden, wäre Freddie Mercury noch da. Aber es wäre auch unklar, ob die Band heute noch so angesagt wäre, wenn ihr Sänger nach seinem Soloalben-Flop „Mr. Bad Guy“ nicht reumütig zurückgekehrt wäre, sondern den Michael-Jackson-Weg konsequent weiterverfolgt hätte. Nachdem sich John Deacon ins Privatleben zurückzog, pflegten Brian May und Roger Taylor den Nachlass Queens. Sie machten das stets mit ökonomischer Raffinesse. Auch wenn man viel zu lange wartete, um die Alben der Vergangenheit neu abmischen zu lassen – ausgestattet in Sondereditionen mit spärlichen Extras – war schon „Greatest Hits III“ eher eine Muskelschau als ein klug konzipiertes Best Of. Queen brachten Konzerte auf Video und DVD heraus, sie konzipierten selbstbewusst Musikvideo-Kollektionen, bevor andere darin ein Geschäftsmodell sahen.

Dann gelang ihnen, was heute als Grundstock für ihre Renaissance verstanden werden muss: Gemeinsam mit Ben Elton starteten Brian May und Roger Taylor 2002 ein Musical. „We Will Rock You“ wurde weltweit zum Erfolg, es feierte die Single-Qualitäten im Musikkatalog, führte den nicht immer geschmackssicheren Bombast einige ihrer Lieder über in ein Genre, das sich durch seine parasitäre Haltung von den Errungenschaften der Popkultur nährt und sie theatralisch neu aufblühen lässt. Heute würde man sagen: Es ist ein Match! Brian May hat gewiss recht, wenn er sagt, dass Queen wohl auch Musicals gemacht hätten, wenn Mercury nicht an den Folgen seiner HIV-Infektion verstorben wäre. Aber vielleicht wären sie auch lieber ihr eigenes Genre geblieben.

Geradezu angeschwippst von diesem zurückgewonnenen Relevanzgewinn gingen May und Taylor wieder auf Tour. Erst spielten sie mit Paul Rodgers, was die Nostalgiegetriebenen freute, aber so manchen Queen-Fan entsetzte. Die Beweggründe waren egal. Queen kamen zurück, um zu bleiben. Nicht umsonst nannten sie die Live-Aufnahme eines ihrer Konzerte mit dem einstigen Free-Sänger „Return Of The Champions“. Solche Titel entwickelt man nur, wenn man dominieren will. Rodgers produzierte zwar mit den beiden Queen-Männern das furchtbare Spätalbum „The Cosmos Rocks“. Aber dabei beließ man es auch. Was nur verdeutlicht, dass man genau wusste, wo wirklich etwas zu holen ist und was lieber sein gelassen werden sollte.

Queens Neverending Tour mit Adam Lambert

Auf Tour gehen wollten May und Taylor aber weiterhin. Die anschließende Entscheidung, den „American Idol“-Kandidaten Adam Lambert als Frontmann zu casten, mögen einige zunächst mit einem Lächeln quittiert haben. Doch die Idee war goldrichtig: Der Sänger stand genau für jene Musical-Attitüde, die Queen bereits als Spirit ihrer Neubesinnung auserkoren hatten. Er war unbedarft, legte die Fährte zur Spotify-Generation, hatte keinen Ruf zu verspielen und kann hörbar auch in jenen Stimmregionen singen, die vielen Rockinterpreten Probleme bereiten. Ob man die neuen Queen-Tourneen nun als bessere Karaoke-Veranstaltungen abtut oder sie als Forftührung einer so oder so nicht geradlinigen Bandgeschichte empfindet, ist gar nicht so wichtig.

Adam Lambert mit Queen auf der Bühne

Die eigentliche Wiederbelebung Queens als einer jener Tripple-A-Acts ist aber natürlich der Oscar-Erfolg „Bohemian Rhapsody“. Fast ein Jahrzehnt lang kämpften die Musiker hinter den Kulissen um die ideale Produktion, die als Reminiszenz an Freddie Mercury durchgeht (nicht schwierig), die Lebensleistung von Deacon und vor allem den weiter auf der Bühne stehenden May und Taylor aber genügend würdigen sollte (eine toughe Aufgabe). Viele weitere Glättungen, vor allem das Wegblenden der gewiss nicht wenigen dunklen Phasen der Bandgeschichte, zeugen davon, dass es neben einem guten Gespür für eine unterhaltende Geschichte auch um Eitelkeit ging.

Das Drehbuch wurde unzählige Male umgeschrieben. Bloß keine falsche Ironie, keine Kompromisse bei den schwierig zu erfassenden Anfangsjahren, nicht zu viel 80er-Jahre-Dekadenz. Eigentlich sollte Sacha Baron Cohen zum Great Pretender werden. Der Komiker wollte Mercury aber anders auslegen als May und Taylor. Er wollte dem Vernehmen nach die tragikomische Größe des Sängers auf die Leinwand bringen. Einen bisexuellen subversiven Clown mit Opernvorliebe wollten aber die verbliebenen Queen-Mitglieder nicht. Rami Malek, der mit „Nachts im Museum“ und Mr. Robot“ bekannt geworden war, machte es anders. Er stutzte den Sänger etwas herab, machte ihn nahbarer, spielte ihn nicht allzu gockelhaft. Einer, der kurz schluckt, wenn er sich vor 75.000 Zuschauern an ein Klavier setzt und seiner Mary stets die Hände hält. Dafür gab es den Oscar – und nach solchen Erfolgen sind weitere Fragen unnötig.

Queen haben ihre Marke erfolgreich erneuert

„Bohemian Rhapsody“ setzte nicht den Startschuss für Musiker- und Band-Biopics, aber der Film machte das nicht ganz einfache, aber gut vermarktbare Genre zu einem neuen Goldesel Hollywoods. Jetzt bekommt jeder sein profanes Biopic, bald auch Bob Dylan. Queen spielen aber seitdem wieder in einer eigenen Liga – durch eine Konservierung ihrer Stärken bei gleichzeitiger Verdeckung ihrer Schwächen.

Zur Jahrtausendwende war nicht abzusehen, dass einmal Rentner zu Queen-Konzerten mit einem Castingshow-Sänger gehen würden. Oder dass 17-Jährige TikTok-Tänze mit „Don’t Stop Me Now“ unterlegen. Lange Zeit eilte Queen der Ruf voraus, dass trotz der augenscheinlichen Songwriter-Qualitäten aller ihrer Mitglieder vor allem die Exaltiertheit Freddie Mercurys den Erfolg der Band rechtfertigte. Brian May und Roger Taylor haben in ihren späten Jahren als renitente Musiker und vor allem als Geschäftsmänner gezeigt, wie man mit einem nahezu abgeschlossenen Werk umgehen muss, damit es dem Zahn der Zeit entrissen wird.

David Redfern Redferns
Shannon Finney Getty Images
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