Queen – Discografie
Immer und immer wieder die vier Köpfe. Dafür, dass Freddie Mercury offenbar so viel Aufmerksamkeit brauchte, ist es schon eigenartig, wie wenig Queen auf ihren Platten nach Sänger mit Begleitband klingen. Vier Köpfe reichen nicht mal aus. Das Schönste beispielsweise an „Killer Queen“ (das ich persönlich für ihren ausgezeichnetsten Song halte) ist der Moment, wenn im Refrain – beim Wort „Queen“ – der Band plötzlich noch ein Dutzend zusätzlicher Schlangenhälse zu wachsen scheinen.
Als Kind, das gerade mit dem Musikhören anfängt, spürt man es am stärksten, was an Queen wirklich magisch sein kann:
das Neben- und Ineinander von einer trocken, ausgesprochen irdisch spielenden Rockband (Taylors Schlagzeug ist ganz nah am Ohr) und den summenden Chören und Gitarren, die einen gleichzeitig wegreißen von der Erde. Viel seltener, als man denkt, haben sie die Fünf-Minuten-Grenze überschritten. Soundtracks ausgenommen, haben sie kein einziges Konzept-Album gemacht, keine Coverversion produziert.
Wären Queen dem auf frühen Plattenhüllen abgedruckten Prinzip „No synthesisers“ bis ans Ende gefolgt – und hätten sie den Schlagzeuger nie an ein Gesangsmikro gelassen! -, sähe die Gesamtbilanz vielleicht besser aus. Beim Tanz an der Grenze zum Kitsch sind sie oft zu weit nach rechts gekommen, deshalb bleiben die ersten zwei „Greatest Hits“ ihre unfehlbaren Platten, obwohl Queen keine typische Singles-Band waren.
Das Debüt, „Queen“ (1973) (3) trägt überdeutlich die Spuren ihrer frühen Bluesrock-Prägung (Smile-Bassist Tim Staffell hat einen Songwriting-Credit), klingt teilweise entfernt wie Hendrix und Deep Purple, hat aber schon die typischen Queen-Merkmale, Mays Gitarrenorchester, die zusammenkopierten Chöre. Selbst für ihre Verhältnisse wirken manche Stücke überladen, als ob die Band befürchtet hätte, keine zweite Chance zu kriegen, um die Fähigkeiten zu demonstrieren – und als ob der Tontechniker davon völlig überfordert war.
„Queen II“ (1974) (3,5) dagegen klingt fluffig und transparent, selbst an den Stellen, die heftig sein sollen. Mays zauberhaftes „White Queen (As It Began)“ ist der erste richtig große Song. Mit der Entscheidung, die Dramaturgie gegenüber der instrumentalen Virtuosität nach vorne zu rücken, trennen Queen sich von anderen Art- und Prog-Rock-Bands ab, obwohl es hier noch viel Zucker zu schlucken gilt.
„Sheer Heart Attack“ (1974) (4) ist weniger esoterisch, viel zickiger, entwirft für oft nur drei Minuten strahlende Klangbilder. Muppets- und Disney-Lieder für Erwachsene, schon mit den geliebten, aber albernen Cabaret-Pastichen und Freddies großartigem Walkürenritt „In The Lap Of The Gods“.
Das Meisterwerk ist bekanntlich „A Night At The Opera“ (1975) (4) , nicht etwa wegen der zu Tode gedudelten „Bohemian Rhapsody“, sondern weil selbst B-Songs wie Mays „’39“ liebevoll gelungen sind und bei Deacons „You’re My Best Friend“ auch David Bowie in Tränen ausbrechen müsste. Zu diesem Zeitpunkt hatten Queen das „Anything goes“ offenbar als Regel festgeschrieben, was bei „A Day At The Races“ (1976) (2,5) und „News Of The World“ (1977) (2,5) schon schädlich wurde:
Rock-Schmock und Banalitäten stehen hier direkt neben wunderbaren Hits, kein Konzept konnte sie retten. Bei „Jazz“ (1978) (3,5) herrschte angeblich Streit und Burn-out, in den melancholischen Stücken „Jealousy“ und „Leaving Home Ain’t Easy“ glaubt man es zu hören – auf wechselhaften Platten häuften sich langsam wieder die Höhepunkte, auch auf „The Game“ (1980) (3) , dem ersten München-Album. Neu: die verpönten Synthesizer, die Black-Disco-Einflüsse, die Queen vor allem im Nachhinein hervorragend standen. Der Soundtrack-Score „Flash Gorden“ (1987) (1,5) lohnt nicht, das berüchtigte Funk-Album „Hot Space“ (1982) (2,5) dagegen mehr, als oft behauptet wird. Dass Brian May hier Chic-Gitarre spielt und Mercury über käsige Effekte Squaredance-Anweisungen maunzt, wirkte damals verkrampft und anbiedernd, klingt heute als Old-School-Versuch ganz gut.
Hatten Queen bis dahin nicht mindestens ein Album pro Jahr gemacht, konnte die Entschuldigung höchstens eine Riesen-Tournee sein. 1983 dagegen nahmen sie sich richtig frei. Ob es aus der Bemühung heraus kam, im Post-New-Wave-Pop der 80er kommerziell mitzuhalten, oder einfach nur aus dem bisschen Fortentwicklung, das man Künstler nie abschlagen darf: „The Works“ (1984) (2,5) leitet das zweite Kapitel im Katalog ein, ein radiofreundliches, viel weniger ambitioniertes und bedrohliches, in dem dank technischer Fortschritte alles schnell zu machen war, wofür die Band sonst wochenlang Tonbänder durchgewetzt hatte. Umso ungenießbarer wurde so das Füllmaterial auf den Alben manchmal sogar die Hits. Der Titelsong von „A Kind Of Magic“ (1986) (2) (ein halber „Highlander“-Soundtrack) zum Beispiel klingt in seiner zeitgenössischen Sequencer-Produktion unsagbar billig, das Letzte, was man von früheren Platten hatte sagen können. Das Songschreibertalent ließ sie nie ganz im Stich, nur auf „The Miracle“ (1989) (1,5), einer irre erfolgreichen, aber scheußlichen Platte – Queen hatten zur Zeit von Mercurys HIV-Diagnose andere Sorgen. Der anrührende Abschiedsgesang „Innuendo) (1991) (3) war dann mit seiner wiedergefundenen Musikalität und einer ganz eigenartigen, theatralischen Version von Wahrhaftigkeit das beste Queen-Album der 80er. Das posthum aus (teilweise längst veröffentlichten) Überbleibseln zusammengeklebte „Made In Heaven“ (1995) (2) erwähnen wir nur zur Vollständigkeit. Seinerzeit eine Nummer eins, aber hätte Freddie es gemocht?