Putin-Fans buhen im Konzert: Warum Rod Stewart das leider aushalten muss
Dass Stewart für seine Solidarität mit der Ukraine ausgebuht wird, ist zum Fremdschämen – aber wir müssen es aushalten
Von ihm hätte man nicht unbedingt ein explizit politisches Statement erwartet. Aber der Abwehrkampf der Ukraine gegen die russische Aggression scheint Rod Stewart ein Herzensanliegen zu sein. Er folgt damit einem Trend, der auf den Konzertbühnen überall zu beobachten ist – meist allerdings durch „Free Palestine“-Solidaritätsbekundungen, die inzwischen so etwas wie die neue, politisch korrekte Publikumsbegrüßung sind. Mit seinem herzigen „Fuck Putin!“ sorgt Stewart jedoch für sehr unterschiedliche Reaktionen – je nachdem, wo er auftritt.
Was ist passiert? Bei seiner aktuellen Deutschland-Tour widmet der 79-jährige Reibeisensänger seinen Hit „Rhythm of My Heart“ den „ukrainischen Menschen und der ukrainischen Armee“, während die blau-gelbe Fahne über der Bühne weht und ein überlebensgroßes Porträt des Präsidenten Wolodymyr Selenskyi darauf projiziert wird. In Leipzig applaudierten manche, andere buhten und pfiffen lautstark, vor allem, als Stewart „Fuck Putin!“ rief. In Berlin blieb es beim Applaus, keine Buh-Rufe, berichten Konzertbesucher.
Der Osten mal wieder. Der Osten mal wieder? In einem Kommentar des auf der deutschen Landkarte eher westlich verorteten „Kölner Stadt-Anzeigers“ schäumt der Autor, dass „im AfD-blauen Osten eine deprimierend große Zahl an Menschen wild dazu entschlossen ist, zivilisatorische Errungenschaften wutschäumend aufzugeben“, „Diktatoren und Mördern nach dem Maul zu reden“ und die „grundlegenden Gebote menschlichen Anstandes“ mit Füßen zu treten. Puh. Echt jetzt?
Eine Nummer kleiner geht’s auch. Zumal Buh-Rufe, Pfiffe, „Aufhören!“ nichts allzu Ungewöhliches sind bei Festivals und Konzerten. Es gab sogar schon Eier-, Tomaten-, Bierbecher- und BH-Würfe. All das ist bekanntlich Teil der Rock’n’Roll-Folklore. Rod Stewart dürfte die Erfahrung sicherlich seltener gemacht haben als, sagen wir: die Sex Pistols (oder Helmut Kohl), allerdings sind politisch konnotierte Flegeleien bei Konzerten ein eher neues Phänomen. Und auch eher keine Frage des Anstands.
Es war ja keine „Hart aber fair“-Fernsehdebatte, sondern ein Rockkonzert
Eher eine Frage der Undifferenziertheit der gebuhten Unmutsäußerung: Wie es manchen bei „Free Palestine“ weniger um Mitgefühl und Solidarität mit den Opfern israelischer Bombardements geht, sondern mehr um ihren Hass auf Israel, wollten die buhenden Teile des Leipziger Publikums wohl vor allem ihrer Solidarität mit dem russischen Diktator Ausdruck verleihen, als die Opfer seines Angriffskrieges zu dissen. Obwohl – man weiß es nicht. Wir kennen die Argumente hinter den Buhs nicht. Es war ja keine „Hart aber fair“-Fernsehdebatte, sondern ein Rockkonzert.
Und warum in Leipzig und nicht in Köln (respektive Berlin, diesem westöstlichen WG-Divan)? Nun, bei 31,8 Prozent AfD-Wählern und 12,6 Prozent für den Sarah-Wagenknecht-Fanclub, gibt es in Sachsen mit zusammen 44,4 Prozent eine stattliche Anzahl Putin-Versteher:innen, und wenn von denen nur jede(r) Zehnte nicht nur auf Putin, Wagenknecht und Chrupalla, sondern auch auf Rod Stewart steht, sind die Buhrufe empirisch leicht erklärbar.
Kein Grund natürlich, den Osten wieder pauschal zu blamen, zumal nicht als Kölner, also Wessi. Und zumal die Buhrufer bloß von ihrem freien Meinungsäußerungsrecht Gebrauch machen, etwas, das die Lieblingspartei der sächsischen Mehrheit zumindest teilweise abschaffen oder nach Afghanistan abschieben möchte, beziehungsweise natürlich nur die Lügenpresse, nicht die eigene.
Aber solange die AfD nicht regiert, darf das Konzertpublikum noch ausbuhen, wen es will. „Man wird doch wohl noch sagen (oder buhen) dürfen…“ Ja, darf man. Das ist gelebte Demokratie. Auch wenn sie mitunter zum Fremdschämen ist. Auch wenn manchen (mir zum Beispiel) die Buh-Meinung nicht gefällt.