„Pussy“: Warum packen Rammstein die Penis-Kanone wieder aus?

Deeskalation oder Einknicken? Hardcore-Fan und Kritiker waren geteilter Meinung.

Bei ihrer „Europe Stadium Tour 2024“ gibt es eine Veränderung im Rammstein-Set. Eine Rückkehr in alte Zeiten. Sie ist wieder da. Die „Penis-Kanone“ beim Song „Pussy“, der ebenso ins Set zurückgefunden hat. Nach Aufkommen der Missbrauchsvorwürfe gegen Rammstein (die Berliner Staatsanwaltschaft stellte später ihre Ermittlungen ein) entfernte die Band das Lied 2023 samt Showeinlage aus ihren Konzerten.

Schon damals wurde darüber spekuliert, was das zu bedeuten hat. Manche glaubten, Rammstein wollten damit die Debatte um Row Zero und Sex entschärfen. Deeskalation oder Einknicken? Hardcore-Fan und Kritiker waren geteilter Meinung.

„Pussy“ war seit vielen Jahren eines der wichtigsten Stücke eines Rammstein-Konzerts und zuletzt Nachfolger von „Ohne dich“ kurz vor der ersten Zugabe – im vergangenen Jahr flog die Nummer genauso wie die dazugehörige Penis-Kanone aus dem Programm.

„Pussy“ vermengt bewusst Sex und Gewalt

Bekanntermaßen handelt es sich bei dem Song um eine recht explizite Angelegenheit. Der Name ist Programm, es geht schlicht und einfach um Geschlechtsverkehr und wie er zustande kommt und abläuft. „You’ve got a pussy, I have a dick, ah/So what’s the problem? Let’s do it quick.“

Im Kanon trashiger Lieder über dirty love mag diese Zeile fast vorbildlich abdecken, worum es Rammstein geht. Natürlich ist der Text bewusst plump und vermengt die ironisierte Kriegsrhetorik der Band, mancherlei bewusst karikierende Deutschtümelei und derbe Erotik miteinander: „Blitzkrieg mit dem Fleischgewehr!/Schnaps im Kopf, du holde Braut/Steck Bratwurst in dein Sauerkraut.“

Till Lindemann von Rammstein auf der Bühne des „Fields of Rock“ am 18. Juni 2005 in den Niederlanden.

„Pussy“ wurde 2009 auf ihrem sechsten Studioalbum „Liebe ist für alle da“ veröffentlicht, schlug als Single sofort ein wie eine Bombe. Wenn Rammstein mit ihrer Musik auch so etwas wie eine Spiegelfläche für das Zelebrieren von BDSM, Sadomasochismus und eine nicht immer in die Tat umgesetzte, aber in Vorstellungen bebilderte „roughe“ Sexualität sind, dann ist dieses Lied wohl die Nationalhymne dieses mitunter düsteren, aber für eben auch viele faszinierenden Gedanken- und Körperkontinents. Ob sich dahinter auch vor allem „Männerphantasien“ (Klaus Theweleit) Bahn brechen und damit einhergehen mit unheimlichen maskulinen Zwängen, die eine gesunde Sexualität verunmöglichen, wurde schon damals diskutiert.

Das dazu gehörige „Pussy“-Video von Jonas Åkerlund sorgte im Grunde für noch mehr Aufmerksamkeit als das Lied, zeigt es die Band doch bei konkret pornographischen Handlungen. In vielen Ländern wurde der Clip verboten, in den meisten nur zu später Stunde oder in einer zensierten Form gezeigt. Rammstein und vor allem Till Lindemann labten sich, so der Tenor zur Veröffentlichung, an einem Porno-Fetisch, der auch deshalb immer deutlicher wurde, weil das Internet via Youporn anno 2009 (und natürlich auch schon einige Jahre früher) für nahezu jeden rund um die Uhr Fleischbeschau zur Verfügung stellte. Für einige Jahre war das Kokettieren mit Pornos geradezu chic. Es begann die Zeit von Terry Richardson, der sogar die Modefotografie zu einem Sündenbabel umfunktionieren konnte, ohne dass jemand Anstoß nahm.

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Sex als Krieg

Die Penis-Kanone, bei der Lindemann auf Konzerten in einer Art Freizeitbad-Variante eine kräftige Ejakulation simulierte (und damit auch den Cumshot symbolisiert, der in vor allem für den männlichen Blick entwickelten Pornos – und das sind eben fast 98 Prozent aller verfügbaren Filme, ob nun Amateurstoff oder nicht – geradezu gezwungenermaßen erfolgen muss), bleibt dann eben auch als martialische Variante bei den Konzerten Rammsteins im Raum, eine Art Kriegsversion des Liebesakts. Womöglich wurde sie nun deshalb auch gestrichen.

Nimmt man die Veröffentlichung des „Till The End“-Pornos, der den Sänger beim ausschweifenden Oralsex mit zahlreichen Frauen und beim rüden, gewaltverherrlichenden Sex zeigt, in Augenschein, dann kann man durchaus zu dem Eindruck gelangen, dass Lindemann längst nicht mehr nur mit der Faszination von Pornographie (ironisch) spielt, sondern selber Teil dieses visuellen Spektakels geworden ist. Vielleicht auch das adaptiv zu jenem Moment, da die Amateurpornographie sich mit OnlyFans und auch auf Pornhub mit eigenen Porn-Influencern professionalisierte.

Dieser Musiker wollte dann selbst Teil des Business werden (passenderweise wurde der Porno für den Verlag Kiepenheuer & Witsch Grund genug, sich von seinem Lyriker Lindemann zu trennen, auch weil ein Buch des Musikers dort für sexuelle Handlungen missbraucht wird); er scheint der eigenen Pose nicht mehr mit kritischer Selbstdistanz begegnen zu können.

Sagen Rammstein nur deutlich, was andere verstohlen andeuten?

Kommt man jetzt noch einmal auf „Pussy“ zurück, dann wird deutlich, dass hier der Anfangspunkt der Hinwendung Rammsteins zu einer in zahlreichen Songs immer wieder angedeuteten Gewaltsexualität gesetzt ist. „Mercedes Benz und Autobahn/Alleine in das Ausland fahren/Reise Reise, Fahrvergnügen/Ich will nur Spaß, mich nicht verlieben“, heißt es ganz am Anfang des Lieds, als perverse Umdichtung von Kraftwerk-Autoerotik, als mögliche Andeutung, dass diese Band sich immer auf der Reise befindet, dass die Lust ihres lyrischen Ichs immerzu eine der Wanderschaft und eine des grenzenlosen Spaßes ohne echte Liebe ist.


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