Puritaner aus der Provinz
Gloucestershire. Es ist genauso, wie es klingt – tiefste englische Provinz. Zwei Stunden nördlich von London, eingebettet in sattgrüne Weiden und mäandernde Flüßchen. Inmitten dieser britischen Idylle hat der Eremit sein Quartier aufgeschlagen. Seit über 20 Jahren zieht Winwood den Wald und die Wiese dem Londoner Trubel vor; es sei denn, er verlegt – seiner amerikanischen Frau Eugenia zuliebe den Wohnsitz für eine Weile auf seine Farm in Nashville. Er sei halt kein Party-Typ, sagt er. Nie gewesen.
Immerhin hat er an diesem nebligen Morgen genügend Restalkohol im Blut, um die Fahrlizenz auf Lebzeiten zu verlieren. „Wir haben etwas gefeiert“, gibt er gutgelaunt zu, während er einen störrischen Hemdzipfel in die Hose zu schieben versucht Der Grund für die roten Augen: Junction 7″, das neue Album, das gestern den letzten Feinschliff bekam.
Es soll, glaubt der 49jährige Winwood, einen Ehrenplatz in seiner Discografie einnehmen. „Ich wollte neue Wege gehen. Irritierenderweise klangen meine letzten Solo-Alben wie Traffic – während Traffic wie Winwood klangen. Aus dem Kreislauf wollte ich raus.“
Hilfestellung dabei leistete Narada Michael Waiden, der sich als R&B-Producer mit Hit-Gespür (Whitney Houston, Aretha Franklin) einen millionenschweren Namen gemacht hat Waiden, früher selbst als Jazzer aktiv, nahm für Winwood aber nicht nur hinter dem Mischpult Platz. „Er ist ein unglaublicher Drummer, spielt süperb Keyboards, singt hervorragend und schreibt exzellente Songs.“
Als Beweis, daß dieser Winwood ein anderer ist, legt er das Mastertape in die Maschine und schiebt die Vblume-Regler nach oben: Balladen in bester Motown-Manier, Chartskompatibler Soul-Funk-Pop und flächige Hammond-Kaskaden dröhnen aus den Boxen – nicht unbedingt das, was alte Traffic-Verehrer an ihm so geschätzt haben. Doch der neue Winwood ist mit sich zufrieden. Er schließt die Augen, räkelt sich im Ledersessel und trommelt mit den Händen auf den Knien. „Narada hat das Beste aus mir rausgeholt.“
Mit „Far Front Home“, dem mißratenen Traffic-Reunion-Album von 1994, hat yjunction T jedenfalls wenig gemein. Das von Winwood und Capaldi initiierte Comeback des angerosteten Hippie-Dampfers stand von Anfang an unter keinem guten Stern: „Island-Chef Chris Blackwell, der anfangs auch als unser Manager fungierte, hatte uns ein Blatt Papier vorgelegt, das wir – grüne Jungs, die wir waren – einfach unterschrieben. Als wir dann einen erneuten Anlauf mit Traffic machen wollten, stellten wir fest, daß wir die Rechte am Bandnamen verloren hatten, Traffic gehörte uns nicht mehr.“ Erst als die neue Firma Virgin ein substantielles Ablösegeld zahlte, rückte Blackwell die Rechte an dem Namen heraus.
Dennoch waren es wohl Erfahrungen wie diese, daß sich Winwood eine gute Portion Argwohn als Charakterzug angeeignet hat. Fragen über sein Privatleben weicht er aus, Fotos vom Haus, Tennisplatz oder unfertigen Manuskripten sind tabu. Der mehrfache Familienvater hütet sein Privatleben wie ein Gardesoldat den Buckingham-Palace.
Angesichts seiner krankhaften Scheu ist es da kaum verwunderlich, daß er auch mit der neuen Pop-Generation auf keinen Fall tauschen würde: „Obwohl ich einige der Britpop-Bands schätze, ist das nicht mein Ding: Es ist alles heute zu aufgeblasen – für mich zählt mehr denn je nur die Musik.“
In diesen Puritanismus will natürlich auch ein so greller Farbklecks wie MTV nicht passen: „Auch wenn ich diesmal einen Clip abliefere, steh ich einfach nicht drauf. Meine Kids dürfen MTV nicht sehen.“