Pure Country-Poesie: Freakwater erforschen die musikalische Tradition
Es gibt Orte, die können jede Romantik im Keime ersticken. Auch die On-The-Road-Romantik, die vielleicht in manchen Musiker-Köpfen noch herumspukt. Und es gibt Temperaturen, die den gleichen entmythologisierenden Effekt haben. In der Garderobe des Berliner Clubs Huxley’s Jr. kommt alles zusammen. Der Raum sieht aus wie eine Garage, in der man aus Anstand noch nicht einmal ein Unfallauto parken würde. Und die Kartoffelchips, die der Veranstalter bereitgestellt hat, sind so kalt wie Glatteis.
Das echte Glatteis liegt draußen auf der Straße und hat dem Country-Quartett Freakwater eine mehrstündige Verspätung eingebrockt: Die Band ist gerade, kollektiv erkältet, aus Bonn eingetroffen – und hat nun deshalb, ebenfalls kollektiv, die Schnauze voll. „Ich will berühmt werden“, jammert die ganz zerknautschte Janet „Vielleicht müßte ich dann nicht so frieren.“ Nicht unbedingt die ideale Stimmung für ein entspanntes Interview über Gott, Johnny Cash, die Welt und Kentucky. Erst im Laufe des Gespräches tauen Janet und Catherine, die beiden Sängerinnen und Säulen der Gruppe, ein wenig auf. Sonst singen die beiden zweistimmig, jetzt antworten sie abwechselnd. Sowohl auf Platte wie auch beim Interview spielen der Bassist Bob und der Gitarrist Dave nur Nebenrollen: Sie stampfen im Hintergrund herum, lutschen an den Eis-Chips und brummen ab und zu etwas Zustimmendes.
Der Name Freakwater bedeutet laut Janet „nichts“. Beziehungsweise „überhaupt nichts“, wie Catherine bekräftigt. Bedeutungsüberschuß ist der beiden Sache nicht. Sie tun, was sie tun. Das war schon früher so, während der 80er Jahre. Während sich so ungefähr ihre ganze Generation ans Punk-Erbe heranmachte, interessierten sie sich nur für die alten Country-Platten ihrer Eltern. „Es war schon merkwürdig“, erinnert sich Janet an ihre Jugend. „Alle hörten Pop und Punk und wir fingen an, Hank-Williams-Songs zu singen.“ Immerhin hat Janet als Schlagzeugerin von Eleventh Dream Day noch ein Bein im Indie-Rock-Lager, während Catherine sich als Puristin gibt. Sie lebt denn auch in Kentucky, weit weg von Chicago, wo die drei anderen wohnen.
Auf dem letzten Album „Old Paint“ hat Catherine die meisten Songs geschrieben. Ihr sind wunderbare Zeilen gelungen, die alle billigen Country-Klischees schön subtil unterlaufen. So beginnt zum Beispiel „Gravity“ mit dem Satz: „I wasn’t drinking to forget, I was drinking to remember.“ „Ich schreibe eben nicht die typischen Country-Texte, sondern berichte in einer sehr modernen Weise über meine Erfahrungen. Mir liegt gar nichts daran, die alten Meister zu kopieren.“ Diese Einstellung bewahrt Freakwater vor dem Vorwurf eines allzu orthodoxen Umgangs mit der Tradition. So können sich Catherine und Janet so nebenher doch noch als Historikerinnen betätigen und ihrem überwiegend jungendlichen Publikum die Songs von Woody Guthrie nahebringen.
Berühmt werden sie damit wohl nicht werden, „auch wenn Country ja zur Zeit schwer angesagt ist“, wie Janet spottet. Vielleicht kann man als musikalisches Landei nur Anerkennung finden, wenn man die Tortur mindestens 30 Jahre lang mitmacht.