Punks auf Steroiden
Bob mould sieht fantastisch aus und das sage ich ihm auch so. Keine Spur von Ruin. Aber ich muss mich auch outen: Ich war nie großer Hüsker-Dü-Fan. Ich habe die Band nicht miterlebt und in der Retrospektive war sie mir zu rumplig. Dafür habe ich mit sechzehn das erste Mal Sugar mit „Changes“ im Radio gehört und eine regelrechte Schnappatmung bekommen, weil ich dachte: „Da hat jemand eine Musikrichtung nur für mich erfunden.“
Zur selben Zeit war ich großer Wrestlingfan und schwärmte für Bret Hart und den Ultimate Warrior. Jeden Freitag bin ich vor Einbruch der Dunkelheit die fünfzehn Kilometer aus dem Scheißkaff, in dem meine Freundin gewohnt hat, zurück nach Hause geradelt, um Wrestling auf Sky One im Satellitenfernsehen zu sehen statt Petting zu machen. Wrestling war für mich immer mehr als nur archaisches Vierecktheater für Handgreiflichkeitsvoyeure. Es war Eskapismus raus aus der farbentsättigten Provinz, hinein in eine grelle Superheldenwelt, in der man nach eigenem Gusto in cool und uncool einteilte. Dem Musikhören nicht unähnlich.
Jetzt habe ich einen Krimi geschrieben, dessen Protagonisten mit dem Älterwerden ringen und in dem ein schwuler Wrestler erpresst wird. Zudem ist neulich der Ultimate Warrior gestorben und Bob Mould bringt mit „Beauty &Ruin“ eine neue Platte heraus, die nach Sugar klingt. Wer außer mir sollte ihn also interviewen?
Die neue Platte klingt wahnsinnig frisch. Du nennst das Album aber ganz defätistisch „eine weitere Ehrenrunde“. Du denkst hoffentlich nicht an ein baldiges Ableben?
Nein, nein. Es geht mir um die Kontraste. Es gibt finstere Texte in fröhlichen Songs wie bei „I Don’t Know You Anymore“. Es ist eine Art Songzyklus über Verlust und das Akzeptieren davon, über Selbstreflexion und Aufbruch.
Das mochte ich immer an deiner Musik, dass du diese arg deprimierenden Texte schreibst, aber mit einem gewissen Licht-am-Ende-des-Tunnels-Blick.
Genau, ich schlage bereits nach der Hälfte der Platte ein positiveres Kapitel auf. Ich versuche mittlerweile, mehr im Jetzt zu leben, statt mich über Dinge zu ärgern, die längst passé sind oder mich zu fragen, wie die Leute mich finden. Die Tribute-Show 2011 war faszinierend, weil Freunde wie Frank Black oder Kevin Shields mir plötzlich meine eigenen Geschichten von der Bühne herunter erzählten. Plötzlich begreift man: „Das habe ja ich alles geschrieben.“
Ich habe gerade deine Autobiografie gelesen und dieses Zitat gefunden: „Bob Mould, der Wütende, der Fatalist, der Pessimist, der Raucher, der schlechte Schlussmacher, der selbsthassende Schwule. Sie alle sollten Platz machen für den neuen schwulen Bob Mould.“ Der Wütende ist aber hoffentlich nicht ganz weg.
Nein, aber man muss heutzutage einiges anstellen, um mich wütend zu machen.
Ich habe nicht schlecht gestaunt, als du in dem Kapitel zugibst, Steroide genommen zu haben. Ich dachte, das tun nur Wrestler. Da du es selbst ausprobiert hast, denkst du, die zahlreichen frühen Todesfälle von Wrestlern haben mit Steroiden zu tun?
Auch. Es kommt viel zusammen. Steroide beschleunigen den Alterungsprozess. Das Herz wird größer, sie richten einen ziemlichen Schaden an. Der Ultimate Warrior erlitt ja auch einen tödlichen Herzinfarkt.
Und am Abend zuvor hat er noch eine herzerwärmende Rede im TV gehalten, in der es unter anderem um den Tod ging. Er hatte seine beiden kleinen Töchter dabei.
Glaubst du, er hat etwas geahnt?
Ich bin ja kein Jünger des Übernatürlichen, aber jeder hat eine Aura. Ich denke, er hat geahnt, dass irgendetwas passiert, aber nicht was. Er hat nicht allzu gut ausgeschaut.
Furchtbar hat er ausgesehen. Hat wohl innerhalb kürzester Zeit eine Menge Gewicht verloren.
Er war ein Idol meiner frühen Jugend, aber ich habe leider auch regelmäßig seine Website gelesen. Er pflegte einige beschissene reaktionäre Ansichten, zum Beispiel zum Thema Schwule.
(Lacht) Mit den Schwulen konnte er wirklich nicht so gut. Es ist dennoch furchtbar und traurig. Seine Familie tut mir leid. Wrestling ist verrückt. Viele Leute rümpfen die Nase darüber.
Verständlicherweise. Du kanntest ja auch Chris Benoit ganz gut, der erst seine Familie und dann sich selbst umgebracht hat.
Ja, ich habe in meinem Buch beschrieben, wie er seine Frau Nancy kennengelernt hat.
Im korrekten Deutschland wären aufrichtiger Punkrock und Wrestling garantiert ein Widerspruch. Für dich war das offensichtlich kein so einschneidender Paradigmenwechsel.
Nein, es gibt viele Gemeinsamkeiten. Es war eine einmalige Chance, aber auch unglaublich stressig. Die Konflikte, die man im Ring sieht, existieren oft auch backstage.
Das ist schon kurios. Da stehen zwei Leute im Ring, die nach Skript eine Fehde haben, sich aber eigentlich nicht weh tun sollen, sondern sogar aufeinander aufpassen. Dann tun sie sich aber doch weh, weil sie sich auch in echt nicht leiden können. Die Metaebene macht das Wrestling so interessant, es gibt eine Soap Opera vor den Kameras und eine dahinter. Da sind so unglaubliche viele Gerüchte, Intrigen und Verwicklungen. Es geht hinter den Kulissen recht ruppig zu, oder?
Oh ja, es ist ein einziges Minenfeld. Man muss schon genau überlegen, was man zu wem sagt.
Bist du dort offen mit deiner Homosexualität umgegangen?
Ich hab’s niemanden auf die Nase gebunden, aber es zugegeben, wenn mich jemand gefragt hat.
Man könnte ja denken, dass eine Wrestling firma per se homophob ist. Nicht umsonst beschwert sich in schöner Regelmäßigkeit der amerikanische Verband von Schwulen und Lesben, GLAD, über die WWE.
Ich habe mich jetzt nicht demonstrativ geoutet, aber es war ein offenes Geheimnis. Mich hat niemand diskriminiert deswegen. Schwierig wurde es erst, als Vince Russo kam. (Lacht)
Man nennt ihn ja auch den Antichristen des Wrestling wegen seiner grauslichen Ideen.
Wir hatten in der Tat sehr unterschiedliche Ansichten. Er schrieb diese chauvinistischen und rassistisch angehauchten Storylines.
Hast du versucht, dem Wrestling ein wenig den Kitsch und die Klischees auszutreiben?
Ja klar. Ich hätte es gerne realistischer und wettbewerbsähnlicher gestaltet, vergleichbar mit den heutigen MMA (Mixed Martial Arts). Mehr Sport, weniger Handlung. Leider war ich nicht erfolgreich.
Es hat sich dennoch einiges getan. Der Wrestler Darren Young hat sich geoutet. Stone Cold Steve Austin, der Vorzeige-Redneck, hat eine Brandrede für die homosexuelle Ehe gehalten. Zudem gibt es mit Daniel Bryan und CM Punk zwei sehr erfolgreiche, eher nonkonforme Wrestler-Typen. Passt sich das Wrestling gerade an die Moderne an?
Absolut, es gibt eine neue Generation. Das Zirkus-Ambiente verschwindet langsam. Unter der Ägide von Paul Levesque (der Wrestler Triple H) verjüngt sich die WWE und ist näher am Puls der Zeit. Für einen Traditionalisten und Republikaner ist er geradezu progressiv.
Es ist ein konservatives Geschäft, sehr vom Süden der USA geprägt. Aber die Zeiten ändern sich – Transgender und Intersexualität sind die kommenden Themen und auch sie werden ihren Weg ins Wrestling finden.
Kennst du CM Punk?
Ich bin mir sicher, dass er Hüsker Dü gut findet. Ich habe ihn leider nie getroffen, aber ich war schon 2000 einer seiner Befürworter. Er hat sich ziemlich gemacht, auch wenn er jetzt gerade eine Pause einlegt. Er braucht das Geld nicht, er fährt mit der S-Bahn zum Flughafen. Ansonsten aber ein schwieriger Typ, was man so hört.
Zusammenfassend kann man also sagen, dass Wrestling und Gegenkultur sich nie näher waren als jetzt. Steht uns nochmals ein Wrestling-Boom ins Haus wie Mitte der Neunziger?
Nein. Dazu braucht man zwei gleichwertige Ligen. Als die WWE 2001 die WCW aufgekauft hat, ist der ganze Sex und Trash wieder aus dem Wrestling verschwunden. Wrestling präsentierte sich ab da wieder traditioneller und das ist gut.
Hast du Wrestlemania 30 gesehen?
Ja, der arme Undertaker.
Ich war kurz davor, ins Bett zu gehen, weil der ausgebrannte Undertaker gegen Brock Lesnar so ein fader Kampf war, aber plötzlich gibt es diesen dritten F5 (Finishing Move) und die legendäre Siegesserie des Undertakers ist dahin. Plötzlich war ich hellwach.
Ja, so ging es allen. Jeder dachte so: „What?!“ Es war insgesamt eine gute Show. Der Schweizer, Cesaro, den haben sie gut aufgebaut. John Cena mag ihn, deshalb hat er auch alle Chancen. Und Daniel Bryan ist super, aber das war er ja schon immer.
Der ging aber auch durch jede erdenkliche Storyline-Hölle, bis er ganz oben angekommen ist.
Das machen die mit jedem so.
In deinem Buch sprichst du auch sehr offen über deine Kindheit, dein Wesen und deine Sexualität. Früher hieß es: der Mould erzählt nix von sich.
Ach, heutzutage kann man eh alles über mich googeln. Was Sexualität betrifft, hat sich in den USA einiges zum Besseren gewendet. Wenn man sich anschaut, dass eine Satire wie „Modern Family“ mit schwulen Hauptcharakteren Spitzenquoten erzielt, dann fragt man sich, ob die Ghettoisierung der Schwulen endlich ein Ende hat.
Es gibt das Zitat von dir: „Jedes Jahr wird härter.“
Das Reisen wird härter und langweiliger. Ich verliere die Geduld mit dem Touren. Man muss jetzt regelrecht für Konzerte trainieren, zum Beispiel laufen gehen. Ständig kämpft man gegen die Schwerkraft an. Das Gute am Älterwerden ist aber, dass man auf hört, sich über überflüssige Dinge aufzuregen. Das schafft Platz für Erfreulicheres.
Ich finde, je älter man wird, desto weniger fühlt man sich wie ein Außerirdischer. Hast du manchmal noch das Gefühl, ein Außenseiter zu sein, den alle anstarren?
Nur noch selten. Manchmal, wenn ich samstagabends in eine Bar gehe und alle schauen mich an, denke ich das, aber dann fällt mir ein: „Hey, Bob, du bist in einer Schwulenbar und es ist Samstag. Natürlich starren dich alle an.“(Lacht sehr laut)
Berni Mayers hoch amüsanter Krimi aus dem Wrestling-Milieu, „Der große Mandel“, ist bei Heyne Hardcore erschienen
GUT ZU WISSEN
Wrestlemania
Zwischen Metal, Rap und Dosenbier -fünf glamouröse Kämpfer, die man kennen sollte
The Ultimate Warrior: Powerchords, Kriegsbemalung, Mähne, unverständliche Mystik-Rhetorik, reaktionäre Weltsicht &erratisches Kopfschütteln ohne Grund: der Metalwrestler der Neunziger. Athletik und Ringpsychologie Fehlanzeige. Neulich an Herzinfarkt verstorben, nachdem er sich nach Jahrzehnten wieder mit der WWE ausgesöhnt hatte.
Stone Cold Steve Austin: Erster Anti-Held im Wrestling. Hobbys: Dosenbierbäder, Mittelfingererhebungen, Autoritäten-Arschaufriss. Mitte der Neunziger idealer Protagonist für eine Gesellschaft, die endlich Arschlöcher außerhalb der Politik gut finden darf (siehe „Pulp Fiction“). Motto: „Arrive. Raise Hell. Leave.“
The Undertaker: „Dead Man“. Kein Ring-Gimmick wurde so beschützt wie das vom dämonischen Leichenbestatter. Fällt nie aus der Rolle, noch nicht mal, als seine 21-Match-Siegesserie bei Wrestlemania reißt. Erst im April 2014 in einer fränkischen Radiosendung enthüllt ein argloser Moderator, dass er den „Taker“ mal auf dem Nürnberger Christkindles-Markt mit einem Lebkuchenherz gesehen hat.
Daniel Bryan: „Respect the Beard!“ Wrestling gewordenes Occupy-Movement. Galt schon in der Bezirksliga als Riesentalent, beweist das jetzt als Champion gegen den Widerstand der „Authority“(Achtung, Storyline!) und auf lautstarken Wunsch des Publikums. Mit Fitti-Bart und veganer Lebensart der Zeitgeist-Wrestler. YES! YES! YES!
John Cena: Pfui! Establishment, getarnt mit HipHop. Hat einst eine (sehr weiße) Rap-Platte rausgebracht, dann einen Marine im Kino gespielt und darauf hängengeblieben. Gilt als unbesiegbar, wird deshalb auch von den coolen Fans ausgebuht, während Kinder und Frauen johlen. „Let’s go Cena -Cena sucks.“