Punk war vielmehr als ein Musikgenre. Der Punk-Style war in England Waffe im Kampf um Bedeutungen
Als die Sex Pistols erstmals in der Londoner Szene auftauchten, galten sie in den Revolverblättern bereits als Vorboten einer neuen Jugendbewegung. Doch mit Songs wie „Anarchy In The UK“ und „God Save The Queen“ stritten sie alles ab, hier war keine neue Generation, die sich auf den Weg machte, ihr Recht auf die Zukunft einzuklagen, wie man das nicht nur in soziologischen Lehrbüchern von einer Jugendbewegung erwartete. Es gab nicht mal eine Zukunft. No future! Das Cover der „God Save The Queen“-Single war einem alten Plakat des französischen 68er Kunststudentenkollektivs Atelier Populaire nachempfunden, auf dem man einen mit Verbandsmull umwickelten Kopf sah, die Lippen von einer Sicherheitsnadel durchbohrt. Das Bild hatte den Titel „Eine zu oft von der Zukunft beunruhigte Jugend“. Die Pistols wählten stattdessen den Kopf der Queen, denn sie glaubten nicht nur nicht an die Zukunft, sie glaubten auch nicht an die Vergangenheit – und an die Gegenwart schon gar nicht. Es ist kein Zufall, dass etwa zeitgleich Magret Drabbeb Roman „The Ice Age“ erschien. Ein Buch, das den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruch Englands zum Thema hatte und dessen Protagonisten die Wirtschaftskrise als Befreiung von Angst begrüßten.
Eine entwurzelte britische Arbeiterklassen-Jugend hatte erkannt, dass sie die erste Generation der Nachkriegszeit war; die nicht mehr haben würde als ihre Elterngeneration, keine bessere Ausbildung, keinen größeren Wohlstand. Die Popmusik war nach dem Wirtschaftsboom bis in die 70er Jahre hinein zu einem von vielen gesellschaftlichen Faktoren geworden – aus der Utopie, die ihr einmal innegewohnt hatte, war pure Selbstzufriedenheit geworden und die früheren Helden feierten nur noch ihr eigenes Überleben, die Kluft zwischen Publikum und Künstler wurde immer großen Ein Widerstand gegen die herrschende gesellschaftliche Ordnung war somit auch ein Widerstand gegen den „Mythos Rock’n’Roll“.
Punk lehnte die gesamte Rocktradition, ja, die gesamte Geschichte ab. Die historisch gewachsenen Werte der Gesellschaft, Ausdruck der herrschenden Ideologie, wurden einfach umgekehrt: Alles, was zuvor gut gewesen war, war jetzt schlecht, alles, was als hässlich galt, war schön. Krankheit, Armut und Faulheit galten mehr als Gesundheit, Geld, Arbeit und Status. Perverse und Anormale waren plötzlich wahrhaftig. Die Kleidung lehnte sich an die Ikonografie des sexuellen Fetischismus an und Objekte aus den schmutzigsten Kontexten fanden ihren Platz im der Punk-Outfit: Ketten von Toiletten-Abspülkästen oder Müllsäcke etc.
Nach dem, was Vivienne Westwood Konfrontation dressing“ nannte, war alles erlaubt, so lange man den Bruch zwischen Herkömmlichem und Konstruiertem erkennen konnte, nach dem Motto: Wenn’s nicht passt, zieh es an. Tollen, Turnschuhe, Springerstiefel, Lederjacken, Röhrenhosen, Risse und Löcher in sämtlichen Kleidungsstücken, drapierte Vorhangreste und weggeworfene Sofastoffe um die Schultern, Hosen, die mit zig Reißverschlüssen und Außennähten die Geschichte ihrer Fertigung erzählten, symbolisch durch Graffitis oder Kunstblut befleckte Schuluniformen. Alles zusammengehalten von Sicherheitsnadeln, Plastikklammern, Strapsen, Schnüren und Bändern. Nach dem Vorbild von Malcolm McLarens Entwürfen für die Sex Pistols und die Clash malten sich die Leute Parolen auf Ärmel und Hosenbeine, quer über Jacken, Schlipse und Schuhe, bald schlichen sich die Graffiti von zerfledderter Kleidung auf Gesichter, in zerrupfte, löchrige und gefärbte Haare.
Punks inszenierten sich selbst als Aussätzige, parodierten den Zerfall des britischen Sozialund Wirtschaftslebens. So war das Hakenkreuz, das für eine kurze Zeit zum Punk-Outfit gehörte, kein Sinnbild eigener Ideologie, sondern gegen die verlogene alte Ordnung gerichtet. Make-up wurde von Jungs und Mädchen so dick aufgetragen, dass die Gesichter zu abstrakten Fratzen der Entfremdung wurden. Punks waren Aliens und suchten die Nähe zu anderen Fremden innerhalb der britischen Gesellschaft, wie etwa in der exotischen Aura verbotener Identität des Reggae. Zwar war Punk musikalisch zunächst weiter von afro-amerikanischer Musik entfernt als jeder andere Form der Popmusik und war im Reggae nur ex negativo enthalten, andererseits suchten Punks die Nähe zur einheimischen Reggae-Szene, trugen äthiopische Farben, und einige Bands wie die Slits oder The Clash zitierten Rasta-Rhetorik in ihren Texten und versuchten sich dann sogar an gar an Reggae-Spielarten. Selbst die hochgestylten Punk-Frisuren schienen in gewisser Weise in ihrer Funktion der Abgrenzung den Dreadlocks ähnlich.
Doch Reggae war nicht die einzige Bewegung, die belehnt wurde. Punk hielt allen wichtigen subkulturellen Jugendbewegungen der Nachkriegszeit durch seine Künstlichkeit einen verzerrten Spiegel vor, war ein instabiler Mix, der immer wieder drohte, in seine Einzelteile zu zerfallen. Vom US-Punk borgte man sich etwa die minimalistische Ästhetik, den Mythos des von-der-Straße-Kommens und einen Hand zur Selbstkasteiung, vom Northern Soul schnelle Rhythmen, Solo-Tanzstile und Amphetamine, der einheimische Rhythm’n’Blues verstärkte das Ungestüme des Northern Soul noch, reduzierte Rock auf das Wesentliche und brachte einen gänzlich britischen Anstrich mit einer extrem selektiven Aneignung des Rock’n’Roll-Erbes mit Vom Glam Rock übernahm Punk Narzissmus, Nihilismus und Geschlechterverwirrung und blieb dabei völlig antisexistisch: Der männliche Körper wurde als zerstörter Körper inszeniert, während der weibliche durch Bands wie The Slits und X-Ray Spex erstmals selbstbewusst und somit nicht als Sexualobjekt auftrat.
Der Widerstand des Punk bestand darin, bestimmte bereits bekannte Symbole zu stehlen, um sie mit eigenen Bedeutungen zu versehen. Die Welt war nicht (mehr) so, wie sie zu sein vorgab. Ein Müllsack war ein Kleidungsstück, ein Hakenkreuz antifaschistisch und ein Körper ein Titelblatt. Der Reiz und die Bedeutung des Punk lag in der Schockwirkung, dem kurzen Moment, in dem er eine völlig neue Kombination visueller und verbaler Zeichen schuf, die durch ihre Künstlichkeit klarmachte, dass jede Situation konstruiert war und kurz darauf als Schwindel fallen gelassen werden konnte. Für diese kurze Zeit war Punk etwas Neues, über das man stritt, das man hassen oder lieben konnte, und mehr als nur ein x-beliebiger Teil der Gesellschaft Es konnte im Punk kein Äquivalent zu „Rock’n’Roll is here to stay“ geben, keine Gelegenheit zur Vermarktung. Was darauf folgte, war nicht mehr Teil des Punk, sondern der Vereinnahmung: Aus dem aus der Geschichte hervorgegangen Widerstand machte die Gesellschaft im Nachhinein das Bild eines Haufens schräger Nonkonformisten, die zur weiteren Entwicklung der modernen Popmusik ihren Teil beitrugen. Mit Punk hat das aber ebenso wenig zu tun wie die Hasse-mal-ne-Mark-Irokesen in den Fußgängerzonen.