Punk und Kakao
Ich bin in absolut bürgerlichen Verhältnissen in Kassel aufgewachsen. Um Geld zu verdienen, habe ich Kirchenorgel gespielt. Dann habe ich den Film „If …“ von Lindsay Anderson gesehen. Malcolm MacDowell spielt da einen Jungen, der eine englische Privatschule besucht. Am Ende des Films laufen er und ein paar Mitschüler Amok und erschießen Lehrer und Eltern. Natürlich kann man das als pubertäre Gewaltfantasie abtun, aber für mich ist der Film eine lyrische Punkballade, und er war einer der Gründe, warum ich 1990, nach meinem Abitur, nach London gegangen bin. Das war für mich der totale Befreiungsschlag. Da hat mein richtiges Leben angefangen.
In Camden Town war Punk immer noch sehr präsent. Ich habe mich zwar zuerst als Goth versucht, aber das mit dem Schminken habe ich nicht auf die Reihe gekriegt, und die Partys waren öde, weil alle immer nur rumstanden und aufpassten, dass ihr Make-up hielt. Davon habe ich mich dann sehr schnell distanziert.
„Fresh Fruit For Rotting Vegetables“ von den Dead Kennedys hat mich dann quasi zum Punk gemacht. Mein damaliger Freund hat mir das Album vorgespielt. Die Platte hat auch zu unserer ersten großen Beziehungskrise geführt, weil ich heiße Schokolade über sein geliebtes Exemplar geschüttet habe. Und dann habe ich noch sein Dead-Kennedys-T-Shirt mit roten Socken in einer Maschine gewaschen – das war dann rosa. Kam auch nicht so gut an. Das Cover der Platte steht für mich für eine aggressive Energie, die ich mit Punk verbinde. Und dieses Album ist immer noch ein gutes Ventil, um Aggressionen abzubauen. Wenn ich „Fresh Fruit For Rotting Vegetables“ heute höre, hat das nichts von Nostalgie. Das ist ganz unmittelbar. Für mich ist das ein Kriterium für eine besonders gute Platte, wenn ich die Musik immer wieder ganz frisch im Moment hören kann.