Punk hat keine Zukunft
Als die ersten englischen Punk-Platten beim "Rolling Stone" landeten, war man dort noch skeptisch. Ganz offensichtlich missverstand Autor Charley Walters die jungen Wilden.
Die meisten von uns kennen die Mätzchen rund um den britischen Punk: Aufruhr bei den Konzerten, bizarre Klamotten, beleidigte Regierungsvertreter und sogar tätliche Angriffe des wütenden Publikums auf die Musiker. Eine faszinierende und irgendwie beängstigende soziale Entwicklung, keine Frage. Aber: Wie klingt die Musik? Darüber wird selten gesprochen, und es ist auch klar warum. Diese Musik ist simpel und rudimentär. Und nicht sonderlich gut.
Die Wurzeln der Punks reichen zurück zu US-Gruppen wie Velvet Underground und den New York Dolls. Gitarre, Bass, Drums, Gesang sind das gewöhnliche Line-up. Normalerweise sind die Songs kurz, das Tempo ist hoch, die Akkordwechsel sind selten und einfach, die Melodien vernachlässigbar, die klanglichen Variationen gering, und die Lautstärke ist immens. Die Musiker zielen auf größtmögliche Power, das Resultat ist eine Art Heavy-Metal-Matsch mit einem Extraschuss Adrenalin. Minimalismus funktioniert sehr wohl (die Ramones sind ein gutes Beispiel), aber nicht in den Händen dieser britischen Bands. Die Gruppe, die bislang die meiste Aufmerksamkeit erregen konnte, ist gleichzeitig eine der besten: The Sex Pistols. Aber leider ist ihre neue Single, „Pretty Vacant“ / „No Fun“ eine Enttäuschung, gemessen an der zornigen Aufgedrehtheit von „God Save The Queen„. Produziert vom fähigen und erfahrenen Chris Thomas, tappt „Pretty Vacant“ dennoch in die selbe Falle, in die vielversprechende Musik der siebziger Jahre schon häufiger getappt ist: einen schwergewichtigen Mix, der die Bässe auf Kosten der Gitarren und des Gesangs überbetont. Was dabei rauskommt ist ein plumper, bleischwerer Schleier. Die B-Seite, das Remake eines Stooges-Songs, ist zu lang, hat zu viele Wiederholungen und kommt mit nachlässigem Timing – eine Ballung schlimmster Fehler.
Und doch blitzt beim Punk gelegentlich noch Klasse auf, etwa auf der letzten Single der Radiators From Space. Neues gibt’s hier nicht, aber beide Stücke, „Television Screen“ und „Love Detective“, halten die Konkurrenz auf Distanz. Das Schlagzeug ist ein machtvolles Stück Rock’n’Roll, der Bass sauber und geradlinig, und die Gitarren werden von ihrer Raserei nicht davongetragen. Im Unterschied zu anderen zeitgenössischen Strömungen des Rock-Undergrounds verlässt sich Punk auf Singles, auch wenn nur wenige die Chartsspitze erreichen. Nach und nach erscheinen aber nun auch Alben, von denen einige (Eddie & The Hot Rods, The Jam) auch in den USA veröffentlicht wurden. Das erste Album einer britischen Punkband, veröffentlicht vor fast einem Jahr, war „Damned Damned Damned“ von The Damned, eine uninspirierte Ansammlung von schlampigen Gitarren und verunglücktem Gesang. Die Rhythmussektion ist achtbar, geht aber unter, ein paar Riffs sind erinnerungswürdig, doch Nick Lowes Produktion ist matschig. Die musikalische Absicht wird deutlich, aber an der Umsetzung hapert es gewaltig.
Bei The Clash liegt der Fall anders. Besser als jedes andere Punk-Album macht „The Clash“ dem Abscheu und Frust überzeugend Luft und paart all das mit einfachem, sorgfältigem und druckvollem Rock. The Clash wissen, dass Lautstärke nicht immer gleichbedeutend ist mit Power und Subtilität nicht notwendigerweise die Haltung verwässert.
Rock’n’Roll hat viele Gesichter, und der Punk bewahrt vieles vom ursprünglichen Geist. Aber das allein reicht nicht. Die Rocker, die den größten kulturellen Einfluss hatten – Presley, Berry, Beatles, Dylan und viele mehr – haben diesen in erster Linie durch Musik gewonnen, die die Zeit überdauern konnte. Hier genau liegt das Schicksal des Punk. So interessant die Idee hinter den Sex Pistols ist, so enttäuschend ist die Musik. Der Rock’n’Roll wird sicher bleiben; der heutige Punkrock eher nicht.