Punch Brothers – Grooven ohne Schlagzeug
Auch in den USA hängt der Himmel voller Mandolinen. Die Punch Brothers schmeißen Bluegrass in den Jungbrunnen
Eine Mandoline! Etwas anderes kommt gar nicht in Frage. So dachte Chris Thile schon als Kleinkind, nachdem er bei einem Konzert in einem Pizza-Laden seinen späteren Lehrer, den Bluegrass-Musiker John Moore, zum ersten Mal live gesehen hatte. „Das Instrument klang so … präzise“, erinnert sich Thile an das infantile Erweckungserlebnis, es habe ihn schier umgehauen. Außerdem sei die Mandoline klein und schrill, das sei er selbst schließlich auch gewesen. Und ebenso wie in den Klang der Mandoline habe er sich bei dieser Gelegenheit wohl in das Genre Bluegrass verliebt. Es sei wichtig, ergänzt Thile, dass sich jene Erweckung in Süd-Kalifornien zugetragen habe! Schließlich sei Bluegrass nicht eben ein ur-kalifornisches Genre. Von wegen „traditionelle Musik“ und so. Bluegrass und nochmals Bluegrass. Chris Thile, Sänger und Mandolinist der Punch Brothers, könnte problemlos ein Interview komplett mit der „Bluegrass“-Antwort bestreiten: Lieblingsmusik? Bluegrass. Erstes Konzert? Die bereits erwähnte Bluegrass-Sause in dem bereits erwähnten Pizza-Laden. Die beste Musik, um Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft unter einen Hut zu bekommen? Genau. Und auch mit dem Etikett „Progressive Bluegrass“, das Journalisten seiner Band gerne hinterherschreiben, kann Thile bestens leben. „Ich habe mich jahrelang gegen jede Schublade gewehrt“, berichtet der Mann, dem es mit seinen kantig-lustigen Zügen bisweilen gelingt, wie eine Kasperle-Version von Robert Pattinson auszusehen. Irgendwann aber habe er kapiert, dass Journalisten nun mal irgendeine Formulierung brauchen, um das Spezifische an einer Band zu beschreiben. „Und ‚Progressive Bluegrass‘ ist nun wirklich nicht so schlecht.“ Es ist durchaus denkbar, dass in nur wenigen Monaten unzählige Bands unter dieser Genre-Fahne segeln werden. Vielleicht werden die Punch Brothers für die Neuentdeckung US-amerikanischer Weltkriegs-Folklore ähnlich bedeutsam sein, wie die Fleet Foxes für den Flohmarkt-Absatz von Crosby-Stills-&-Nash-Platten. Denn wenn es mit der Karriere des Quintetts so weitergeht, sind Nachahmer schlicht unvermeidbar.
An prominenten Fürsprechern mangelt es ihnen jedenfalls nicht: Paul Simon holte sie in sein Vorprogramm, der Komiker Steve Martin stellte sich bereits mit seinem Banjo zu ihnen auf die Bühne und T-Bone Burnett verkündete, Chris Thile sei ein Musiker, wie es ihn nur einmal in einem Jahrhundert gebe. Vor den Punch Brothers war der 31-jährige Thile Kopf der Band Nickle Creek und veröffentlichte nebenbei fünf Solo-Alben. Doch erst mit den Punch Brothers scheint der Unermüdliche so richtig durchstarten zu können. „Nickle Creek hatte ich gegründet, als ich noch ein Kind war, aus reinem Quatsch. Dass es die Band so lange gab, hätte ich als allerletzter gedacht. Das Problem war einfach irgendwann, dass man mit einer Band aus Kindertagen keine erwachsene Künstleridentität ausbilden kann. Bei den Punch Brothers dagegen geschieht alles absichtlich.“ Man könnte auch sagen: Thile verfolgt einen Masterplan. Dass er es ernst meint mit den Punch Brothers, dass er nichts dagegen hat, mit dieser Truppe Karriere zu machen, ist der ehrgeizigen Musik in jedem Moment anzumerken. Auch die Coverversion von Radioheads „Kid A“ und der Gang-hafte Anzugwesten-Look der Band lassen vermuten, dass Thile diesmal nichts dem Zufall überlassen will. Zum Look will er sich nicht weiter äußern, man versuche doch nur, nett auszusehen. Und die Begeisterung für Radiohead? Die experimentierfreudigen Briten, weiß Thile, haben einfach die Gabe, fremd zu klingen, ohne dabei befremdlich zu sein. Das sei doch letztlich der Anspruch der meisten Künstler.
Nein, befremdlich ist nun wirklich gar nichts an der Musik der Punch Brothers. Die fünf Musiker kombinieren ein modernes Pop-Songwriting mit dem Instrumentarium vergangener Tage. Was zur Faszination ihrer Musik beiträgt: Die Band kommt ohne Schlagzeuger aus. Thile: „Wenn man einen Trommler hat, gibt es einen Typen in der Band, der die Hauptverantwortung dafür trägt, dass es groovt. Bei uns kümmern sich alle fünf darum. In den besten Momenten sorgt das dafür, dass alle voll bei der Sache sind und ein ziemlich einmaliger gemeinsamer Rhythmus entsteht“. Tatsächlich ist es vor allem das perkussive Ticken und Tuckern von Thiles Mandoline, und Noam Pikelnys Banjo, das die nicht unbeträchtliche Spannung dieser Musik erzeugt und einen interessanten Kontrast zu den gar nicht genre-typischen Pop-Melodien bildet. Manchmal – etwa im Auftaktsong „Movement And Location“ – klingt es beinahe, als hätten Coldplay oder Travis ein Americana-Album gemacht. „Who’s Feeling Young Now“, der Titelsong des Albums, wäre wiederum auch in einem Rock- oder sogar R’n’B-Arrangement denkbar. Die Botschaft des Songs liegt Thile spürbar am Herzen: „Ich sehe eine Menge Ironie und Zynismus in meiner Generation. In den meisten Stücken auf dem Album geht es darum, sich die Neugier für alle möglichen Erfahrungen im Leben zu erhalten.“ Es sollte indes klar sein, fügt Thile hinzu, dass die verschiedenen Charaktere in seinen Songs bei diesem Versuch nicht immer erfolgreich seien.