Psychedelisches Portugal
Rumreisen und Drogen nehmen? Keineswegs. Ein Trip in den sonnigen Süden sollte unserem Kolumnisten helfen, eine rauschfreie Zeit einzulegen. Seine Reisebegleitung sah das allerdings anders
Ich möchte euch eine kleine Geschichte über Inkonsequenz erzählen, denn auch sie kann eine Form der Dummheit sein.
Ich war 1993 mit meinem Freund Honky nach Portugal gereist, in den Süden, nach Faro. Wir waren beide 27 Jahre alt, ständig berauscht und hatten vereinbart, für zwei Wochen die Finger von Drogen und Alkohol zu lassen und unsere Knochen in der Sonne des Südens regenerierend zu bleichen. Zelten, herumfahren, uns das Land anschauen, Kirchen und Museen besuchen, vielleicht echte portugiesische Menschen kennen lernen.
Nachdem wir vom Flughafen aus in der Stadt ankamen, wollten wir erst mal das billige Zimmer aufsuchen, das wir von zu Hause aus bei einer kleinen Reiseagentur angemietet hatten. Gleich hinter der Bushaltestelle, an der wir aus dem Shuttle stiegen, kam uns ein Schrotthippiepaar entgegen. Zwei deutsche Dropouts, völlig heruntergekommen, der Typ hauchte hüstelnd: „Drogen? Bock? LSD? 20 Mark.“ Ich wollte gerade jovial abwinken, als ich Honky neben mir wie selbstverständlich sagen hörte „LSD? Na logo, hier!“ Er hielt dem torkelndem Schrotthippie den geforderten Geldschein direkt unter die Nase. Ich stemmte muttergleich die Hände in die Hüften, aber der Deal war gemacht – und schlimmer noch: Honky schluckte den Trip sofort und grinste mich daraufhin dümmlich zufrieden an.
„Wieso hast Du das gemacht? Wir hatten doch vereinbart, nix zu nehmen, vor allem keine Drogen!“
„Ja, aber wenn das so billig ist?“
„Das hat doch nichts mit Preisen zu tun! Hier geht’s doch um Konsequenz! Ein Ding durchzuziehen!“
„Ach, mach Dich ma logger, Aller. Wir sind im Urlaub, ja? Kein Bock auf so‘ne scheiß deutsche Spießigkeit!“
Ich war echt genervt. Immerhin würde es noch eine gewisse Zeit dauern, bis das Zeug zu wirken begann. Also checkten wir in unser Zimmer ein und suchten uns danach einen Platz in einem Restaurant auf der Straße vor unserer Pension, um uns Essen zu bestellen. Immer wieder blickte ich Honky skeptisch an:
„Und?“
„Ja, alles geil, kein Problem, fühl mich gut! Das portugiesische Essen is der Knaller, Aller!“
Mitten in der Pizza, die sich Honky zum Kennenlernen der landestypischen Küche bestellt hatte, blickte er mich auf einmal leicht irritiert an.
„Was is?“
„Hm, ich fühl mich komisch, irgendwie nicht richtig gut, is irgendwie ganz schön schief hier. Ich würde gern aufs Zimmer gehen und mich ’n bisschen hinlegen.“
Genervt bezahlte ich die Rechnung, und wir gingen hoch auf unser Zimmer. Honky legte sich aufs Bett, um etwas zu dösen, was ihm aber nicht gelang, und so fragte er mich, ob ich ihm nicht „aus Spaß“ was vorlesen könnte „Einfach so. Zur Ablenkung.“ Zu meinem Bedauern hatte ich meine Bücher zu Hause vergessen, also griff ich auf ein liegengelassenes Buch eines deutschen Vorbewohners zurück: „Die Frau ohne Kopf – und andere Gruselgeschichten.“ Honky nickte zufrieden, und ich begann mit dem Billigschocker. Schon nach den ersten Sätzen wurde er unruhig und wand sich im Bett herum.
„Was is?“
„Kannst Du nicht was anderes vorlesen? Das is mir zu heftig, voll der Horror – ’ne Frau ohne Kopf, da schieb ich Panik! Überhaupt, mir geht’s nicht gut, alles ist völlig schief und verbogen hier. Ich glaub, ich muss zum Doc!“
Meine Stimmung sackte in den Keller, nur zwei Stunden nach unserer Ankunft musste ich bereits mit meinem Sportspartner den Arzt wegen Drogenmissbrauch aufsuchen! Ich führte den kreidebleichen, stöhnenden Honky, der nicht mehr räumlich sehen konnte, durch die Stadt, und schließlich fanden wir eine Apotheke mit Straßenverkauf. Es war kurz vor 18 Uhr. Als ich dem Apotheker verständlich gemacht hatte, dass mein Begleiter LSD genommen hatte und nun dringend Hilfe brauchte, ließ der alte Portugiese sofort die schweren Metalljalousien vor unserer Nase herunterrattern. Auf idiotische deutsche Drogenvögel hatte er garkeinen Bock, die hatten ihm augenscheinlich schon genug Ärger bereitet. Honky schwitzte und schaute sich panisch um:
„Schrecklich hier! Kannst Du mir helfen?“
„Wie denn, du Idiot? Wieso hast du das gemacht? Wieso hast du von den fertigen Typen Drogen gekauft und die auch noch direkt genommen? Du wusstest doch gar nicht, was da drin ist!“
„Ja, Schulligung, das ich geboren wurde!“ Vorwurfsvoll und panisch zugleich blickte Honky mich mit rollenden Augen an.
„Können wir nich ins Krankenhaus?“
Ich durchkämmte mit meinem stolperndem Angstpatienten die Stadt nach dem Hospital und fand es schließlich. Dem jungen und wissendem Stationsarzt brauchte ich unsere Geschichte nur kurz zu erläutern, sofort zuckte er eine Spritze, pumpte sie mit Valium auf und verabreichte sie Honky in den Arm.
„In about two minutes he will be very tired. Bring him home, he´ll sleep good!”
Ich bedankte mich, und der Arzt verließ das Zimmer. Ich blickte auf den panischen Honky, der auf dem Krankenbett lag und kreidebleich mit wirr zuckenden Augen Richtung Decke stierte. Tatsächlich dauerte es nur ein paar Sekunden, da sah ich die Farbe vom Hals hinauf in sein Gesicht zurückströmen, sein Blick klärte sich, die Muskeln entspannten und ein zufriedenes Lächeln übernahm seine Miene.
„Was is denn jetzt?“
„Man is das geil. Das hätte ich nicht gedacht. Die Kombi is ja der Hammer! Erst LSD, dann Valium, voll der Bringer. Echt jetzt, das musst Du auch machen, Aller!“
Honky setzte sich auf und blickte mich begeistert an. Von Müdigkeit oder Erschöpfung war nichts zu spüren. Ich verlies mit ihm das Krankenhaus, und den Rest der Nacht ging er in einem Klub unter unserer Pension steil.
Ich lag genervt oben im Bett und las „Die Frau ohne Kopf – und andere Gruselgeschichten“.
Rocko Schamoni: „Ya like sum“
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Autorenbild von Kerstin Behrendt