Prophet im eigenen Land
Trotz einer vor sich hin dümpelnden Solokarriere hat Richard Ashcroft einen Hang zur Selbstüberschätzung
Am Ende von Richard Ashcrofts zweitem Konzert als Coldplay-Support im Londoner Earl’s Court kommt es zum Eklat: Nach vierzig Minuten Show zeigt sich am Bühnenrand ein Musikfunktionär und macht ihn mit wildem Tippen auf die Uhr darauf aufmerksam, daß er die Zeit überschritten habe und sofort zu spielen aufhören müsse. Ashcroft nimmt zunächst seine Jacke, wandert dann aber wie ein Tiger im Käfig ein paar Mal die Bühne auf und ab, um sich schließlich in bester Gallagher-Pose breit vorm Mikro aufzustellen. „Ich wollte eigentlich gerade Bittersweet Symphony spielen, aber die da hinten haben’s mir verboten“, wiegelt er die Masse auf, „Ich frage mich jetzt: Soll ich gehen oder es trotzdem singen?!“ Ashcrofts kleine Rock ’n’Roll-Revolution funktioniert natürlich bestens – die mittlerweile wenigstens zu zwei Dritteln gefüllte Halle tobt und feiert eine extralange Version des besagten Liedes, das einem beim Wiederhören nun tatsächlich wie eine große englische Hymne vorkommt.
„Ich halte nichts von dieser ,Wir haben uns alle lieb‘-Mentalität. die viele Kollegen auf der Bühne so draufhaben“, hatte Ashcroft mir vor der Show erzählt, „wenn ich da rausgehe, ziehe ich in den Krieg. Ich gegen alle: mich selbst, die Zuschauer, die Musik, die Umstände. It’s a bullfight, man, and I’m out there to win.“ Kämpfen, das muß Richard Ashcroft jetzt wirklich. Das letzte Album, „Human Conditions“, war zusammen mit dem alten Label Hut untergegangen und ohnehin nicht so gut angekommen; man hatte das Gefühl, daß Ashcrofts guter Moment von The Verve sich ins Solowerk nicht fortsetzen ließ.
Obwohl auch dem neuen Album „Keys To The World“ die ganz großen Momente fehlen, könnte sich das Blatt jetzt allerdings noch einmal wenden. Ashcoft hat klare Lieder mit klaren Melodien geschrieben, die allesamt einen Soul-/R&B-Klassizismus ausstrahlen – und so ein Album geschaffen, auf dem diverse schöne Lieder die gelegentliche Selbstüberschätzung gut verdecken. „Es ging darum, den Kern freizulegen und alles Überflüssige abzustreifen“, erklärt Ashcroft das Ziel der Aufnahmen in Richmond.
Ashcroft glaubt an den Erfolg seiner Musik, weil er an sich selbst glaubt, und das nicht nur in musikalischer Hinsicht. Daheim im UK findet man den 34jährigen Landflüchtigen nicht zuletzt deshalb ein bißchen spleenig, weil er Lieder wie „Nature Is The Law“ singt und eingermaßen kryptisch Politisches mit Metaphysischem vermengt. Ein bißchen hält Ashcroft sich nämlich für einen Seher, einen künstlerischen Propheten, dessen Medium die Musik ist. Terrorismus, Religionskriege, Umweltkatastrophen – alles sei schon sehr früh irgendwie in seinen Liedern zu finden gewesen, sagt er und schreibt sich selbst so eine überdurchschnittlich klare Sicht der Dinge zu. Und ist dabei gleichzeitig doch nur der sensible Mann und besorgte Vater mit ganz normalen Ängsten. „Ich leide an etwas, daß ich ultimate redity nenne – ich sehe, was für eine seltsame Veranstaltung das Leben ist und kann meine Augen davor nicht verschließen. Aber es ist okay, als Spinner zu gelten – lieber bin ich jedenfalls der Irre mit dem Affen auf der Schulter, als das gefeierte Genie, das alle für sich vereinnahmen wollen.“