Prominente Phase
Oktober 1997 Die Fantastischen Vier hatten gerade ihr eigenes Label, Four Music, gegründet, der deutsche HipHop florierte – und Smudo behielt den Überblick. Hier spricht er über Qualitätsunterschiede bei der Konkurrenz und Chancen für die Zukunft.
Den Stuttgarter GIs müssen sie mächtig Spaß gemacht haben, diese german kiddies, die Anfang der 90er-Jahre in den amerikanischen Diskotheken und Kasernen unverständlich rappten und seltsam groovten. „Die da“ lautete dann der kleinste gemeinsame deutsche Nenner von Rhythmus und Refrain, und von überall echote es zurück: „Da, da, da“. In den Charts und Werbespots, aus Teenagerkehlen und mit wichtigtuerischem Zeigefinger aus dem Schmollwinkel des „real existierenden Undergrounds“, wie es der Sprechsänger Smudo von den Fantastischen Vier nennt. Mittlerweile hat sich Frankfurts Clan der Rödelheimer mit verbalen Raufereien und harten Beats seinen Anteil an dem deutsch(-sprachig-)en HipHop erstritten, in Hamburg haben Absolute Beginner, Fettes Brot und Fischmob Respekt erlangt. Das Terrain ist abgesteckt, alle haben es sich gemütlich gemacht. Der Gegner steht, und das nicht lonely, in der anderen Ecke: „He’s Comin'“, grollte Proll-Rapper Nana zu orchestralem Barock-Popkitsch, als kürzlich die sympathische Niete Axel Schulz gegen einen irischen Kirmesboxer antrat. Die Fantastischen Vier wollen sich nun endgültig um den heimischen HipHop verdient machen und haben ihr Label Four Music gegründet.
Mit „Gibt’s ja gar nicht“ hatte gerade Der Wolf einen Hit. Ist der nicht eine Entsprechung zu „Die da“?
Smudo: Eigentlich ja. So was wie Der Wolf ist … eine Spur einfacher. Hört man sich seine Texte an, in denen er versucht, ernst zu sein, und die mit unseren vergleicht wie bei „Es wird Regen geben“ auf „Vier gewinnt“, sind wir ’ne ganze Ecke poetischer. Was Wolf und Tic Tac Toe machen, ist total oldfashioned und out dated.
Aber damit ist der deutsche HipHop erfolgreicher als jemals zuvor.
Ich verstehe jetzt erst, wie der gemeine Konsument deutschen HipHop begreift: nämlich nicht als solchen, sondern wie deutschsprachige Musik immer eingeordnet wird – einfache, nette Lieder, lustig, teilweise unterhaltsam. Wird es mal ernst, ist es sehr trivial wie „Warum“ von Tic Tac Toe, wo die Drogenproblematik schwarz-weiß gemalt wird. Ist etwas traurig. Hoffnung gibt mir „Anna“ von Freundeskreis, die wir mit Four Music in die Top Ten hieven konnten. Es ist wohl so, dass nach Fanta Vier und Rödelheim erst jetzt dank Wolf und Tic Tac Toe der deutschsprachige HipHop-Bereich soweit aufgerissen wird, dass auch Platz für ernstere und künstlerisch wertvollere Sachen ist wie Freundeskreis.
Was ist so anspruchsvoll an den aufmüpfig-naiven Polit-Phrasen wie „Da wurd‘ klar, dass die CIA ’ne Hure war“, die Freundeskreis zu reduzierten Beats rappen, als würden sie im Geschichtsbuch lesen?
Okay, als Kritiker würde ich auch sagen, was wollen die gerade 20 Jahre alten Burschen mit ihrer aus dem Gemeinschaftskundeunterricht anerzogenen Politikattitüde. Sie übernehmen damit auch die kulturellen Zeichensprachen von HipHop-Vorbildern aus den USA. Ich finde es auch Quatsch, wenn die Fugees mir was von Refugee und so ’n Schnickschnack erzählen. Die trivialen Politmessages gehen mir ebenso auf den Senkel wie triviale Drogenmessages. Oder triviale Liebesmessages.
Wie viele Hitsingles von Bands, deren Alben ganz andere Musik enthalten, ist „Anna“ auch nur ein sentimentales Stück mit Poesiealbumreimen …
Es ist stets eine wochenlange Diskussion, sich zu überlegen: Welcher Song ist der Schlüssel zum Massenkonsumenten? Man muss den gesündesten Kompromiss finden. Die restlichen Songs des Albums hätten den Erfolg von „Anna“ nicht erreicht.
Was reizt Euch dann an der Band?
Es ist ihre erste Platte. Dass Journalisten „Quadratur des Kreises“ als Chefalbum bezeichnen, halte ich für übertrieben, aber vergleicht man sie mit anderen HipHop-Platten, ist sie sehr, sehr gut. Wir kennen Maximilian (Herre) schon lange aus Stuttgart. Wer weiß, wie er mit den anderen arbeitet, erkennt seine Entwicklung. Wir haben gebohrt und eine sprudelnde Quelle entdeckt Die Frage ist: Wie viel Tiefe hat sie? Uns von Four Music (lacht) ist es wichtig, Acts langfristig zu fördern. „Anna“ ist in einer anderen Version vor zwei Jahren bei Intercord rausgekommen. Und die haben den superdoofen Major-Fehler gemacht: Der A&R-Manager bekam ein Tape mit zehn Stücken und sagte dann: „Mensch, neun find ich scheiße, das eine hier,, Anna‘, das ist super.“ Was macht der Depp: Er veröffentlicht es als Single ohne große Promotion, dreht ein schlechtes Video dazu, stellt sie ins Regal und denkt, das wär’s. Musikern musst du Raum und Zeit geben, sich zu entwickeln! Der Erfolg von Freundeskreis erstaunt mich auch. Aber umso schwerer wird es für sie, ein zweites Album zu bringen. Lass die mal machen, lass sie erst mal ’ne richtige Liebestragödie erleben oder so.
Nun habt Ihr mit Freundeskreis eine garantierte und granitfeste politisch korrekte Band etabliert …
Ja! (lacht)
… wo euch die HipHop-Szene stets als zu seicht angefeindet hat. Ist das Genugtuung oder Wiedergutmachung?
Nein, nein. Diese Zeiten sind vorbei, seit wir 1994/95 die Schere aufgerissen haben zwischen grenzenlosem Kommerz und selbstbeschränktem Independent, wobei am Letzten Advanced Chemistry bedauerlicherweise zerbrachen – und uns gibt es immer noch. Und der Neid hatte … Quatsch, das ist falsch gesagt … den Selbstfindungsprozess im deutschen HipHop haben wir katalysiert, weil wir schnell erfolgreich waren und mit kommerziellen Sachen wie der Hohes-C-Werbung eindeutige Feindbilder geschaffen haben. Und Advanced Chemistry haben mit der superverkopften Haltung den HipHop-Aktivisten auch nicht den richtigen Weg gezeigt. Wir wären aber nicht so schnell experimentierfreudig geworden, hätten wir uns nicht so viel Wut zugezogen. Nun ist Fettes Brot da, eine der erstklassigen Bands, die aus dem gewachsenen Underground zum Mainstream wurde …
… und euch vorgeworfen hat, diese Szene nie be- und geachtet zu haben.
Damals gab es keinen real existierenden Underground, der sich nicht in den Schritt greift, dicke Goldketten trägt und all die Klischees nachmacht, wovon wir uns gelöst hatten. Freundeskreis sehen sich als bewusste Independents, haben jedoch kein Problem mit uns. Das ist der letzte Schritt zur Professionalität.
Seid Ihr elder statesmen, fühlst du dich als Pate des hiesigen HipHop?
Nee. Aber sonst stehen wir für einiges, für Stilvielfalt ebenso wie für kommerzielle Entgleisungen …
Zuletzt der Auftritt von Thomas D bei „One – Die Talentshow“, eine missratene Pro7-Eigenwerbesendung. Warum hat er sich da bloßgestellt?
Für Geld! (lacht) Marketing und Werbung sind hochinteressant, obwohl viele Musiker das nicht zugeben. Es gibt darin ja einen künstlerischen Aspekt. Da ist eine Preisverleihung nicht grundsätzlich schlecht. Die Sendung gab es ja vorher nicht, und wir dachten, so schlecht kann es nicht werden. Ich verstehe Kritik an unserem Erfolg als Identifikationsgestik, als Abpinkeln von Gelände. Sogar Fettes Brot lernen jetzt, dass man deshalb über sie herzieht. Viele finden es cool, alte Stücke für besser zu halten, denn die kennt nicht jeder, das ist deren Identifikation. Zu den Kreisen werde ich nie gehören.
Dafür hast du dich in der Harald-Schmidt-Show geoutet, dass du dich gerne mit deiner Kamera neben Promis ablichten lässt. Ist das der Fan in dir oder die Eitelkeit des Ruhmes?
Etwas Eitelkeit spielt sicher mit. Das ganze Showgeschäft, das Grenzenlose und den Glanz des Unerreichbaren finde ich gaggig. Wie total normal das dann ist, das ist ein geiler Hintergrund für Zyniker. Ich mache jahrelang Musik, fliege fast bei meinen Eltern raus, weil ich mich für den Plattenvertrag entschieden habe statt für die Uni. Jetzt kann ich durch meine eigene prominente Phase ein Foto mit Harald Schmidt machen. Da der Star – und das bin ich. Ich kenne mich vor und nach der Popularisierung. Mein Blick für mich ändert sich ja nicht. Das fasziniert. Mein Lieblingsbild ist das mit Roberto Blanco und mir.
Thomas hat bei eurem ersten Interview auf MTV eure Band und Musik mit dem schon klassischen Spruch …
„We are from die Mittelstand“!?
Ja. Nun bringt Ihr die englischsprachigen Prophets Of Rage raus, die wie eine US-Ghetto-Band klingen.
Das sind GI-Kids. Kaiserslautern heißt ja auch K-Town. Es gibt da ein Viertel, das ist wie die stadtgewordene US-Base. Die Prophets sprechen kaum Deutsch, und politisch korrekter als die kann eine HipHop-Band nicht sein. Wir wollen sie in die USA verkaufen. Das ist fast pervers, Amis von hier nach Amerika zu bringen.
Du lebst jetzt in Hamburg. Kennst du Absolute Beginner oder Fischmob, auf deren EP „Tranquilo“ steht: „Der Fischmob ist eine Erfindung von Hitler, Kohl und der Staat“?
Die Fische sind klasse. Die haben eine sehr weiße Art. Nicht im Sinne von funky oder nicht, sondern wie sie sich darstellen. Da ertappe ich eher uns mal bei der kulturellen Zeichensprache wie offene Turnschuhe. Das sind grenzenlose Dauerpersiflierer mit musikalischem Anspruch.
Wohin tendiert deutscher HipHop?
Das frage ich mich auch, wenn ich nachts nicht einschlafen kann. In den USA passiert gerade nicht viel. Dort gab es immer die afroamerikanische politische Attitüde, seit dem Blues ist das eine Aussage, die sich technischen Neuheiten anpasst. Der weiß-europäische HipHop braucht keine klar definierte Attitüde, er kann Vehikel für alles sein und trotzdem reell. Der Ausdruck und die Art, mit der Sprache umzugehen, da wird in Deutschland noch was passieren.
Und wie siehst du hierzulande türkischen HipHop, der nach vorne drängt, etwa das Duo Mutlu oder die Rapperin Aziza-A mit „Es ist Zeit“? Schon die Sachen von Cartel waren eine diplomsozialpädagogisch-korrekte Übersetzung von schwarz-amerikanischem HipHop. Das meine ich nicht rassistisch, sondern das ist uninteressant und seltsamerweise qualitativ nicht sehr gut. Gut ist, dass diese Bruder-Schwester-Jugendhaus-HipHop-Fraktion mit ihrem Akzent rappt, das hat Identität und mit reeller Sprache zu tun. Aber was dabei passiert, langweilt: (imitiert) Die blöde Nazis kriege von mir ihre Kicks oder so. Musik aus dem Jugendhaus ist Scheiße. Das ist schade und arrogant, wenn das ein Mittelstands-Bubi wie ich sagt, aber ich habe selber mit diesen Leuten gearbeitet, die studieren ein, was sie im Radio gut finden. Hierzulande kam Musik, vor allem gute, stets aus dem Bürgertum.
Kann es ein Instant-Trio wie Tic Tac Toe mal bei Four Music geben?
Auf keinen Fall, obwohl die Platteneinnahmen verlockend sind. Unsere Vorbilder sind Labels wie Tommyboy. In den Laden gehen und eine Platte kaufen, weil das Logo da drauf ist. Wer geht heute noch nach Plattenfirma einkaufen? Nicht nur Plastik pressen, es soll mit einer Attitüde einhergehen. Das ist, was Columbia von Four Music als Dienstleistung kauft. Das können sie nicht und glauben, dass wir vier mit unserer credibility an Musiker herankommen – und sie eventuell zu Stars machen. Denn wir sind beides.
Oliver Hüttmann ist ein Mann der ersten Stunde. Er begann 1994 mit Filmbesprechungen, war von 1996 bis 2000 Redakteur und betreut bis heute das Kino- und DVD/BluRay-Ressort des ROLLING STONE.