Produzentengenie im Overall: Leben und Tod von Steve Albini

Steve Albini war der größte Indie-Produzent aller Zeiten. Wir werfen einen Blick auf sein Leben.

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Er war einer der großen Produzenten des Indie-Rock, einer, auf den sich alle beriefen, wenn sie über einen gewissen Sound, aber auch einen gewissen Ethos sprachen. Steve Albini war der Mann, zu dem Nirvana gingen, nachdem sie das international erfolgreiche, aber doch auch  sehr polierte „Nevermind“ veröffentlicht hatten – wissend, dass Albini gewissermaßen der „Gegenpol“ zu Butch Vig, jenem Mann, der „Nevermind“ so klingen ließ, wie es klang, war. Steve Albini war aber nicht „nur“ Produzent, sondern auch Gitarrist, Frontmann und passionierter Studiobetreiber und (das symbolisiert der Overall, den er so gerne trug) -arbeiter.

Albini war bestimmt nicht immer ganz einfach, viele fanden ihn auch arrogant, denn mit seiner Meinung hielt er selten hinter dem Berg. Ein Beispiel gefällig? „Ich werde immer die Art von Punk sein, die auf Steely Dan scheißt“, ätzte der Produzent 2023 über Steely Dan – und hört damit nicht auf: „Mein Gott, was für ein Aufwand, um wie eine SNL-Band zum Aufwärmen zu klingen“. Eines war er aber immer: integer – und genau deswegen arbeiteten so viele Bands so gerne mit ihm.

Steve Albini: Die Anfänge

Steven Frank Albini wurde am 22. Juli 1962 im kalifornischen Pasadena geboren. als Sohn von Gina (geb. Martinelli) und Frank Addison Albini geboren. Aufgrund der beruflichen Situation seines Vaters (Frank Addison Albini war Wildfeuerforscher) zog die Familie häufig um. Als Steve Albini 12 Jahre alt war, ließ sich die Familie in Missoula, Montana nieder.

Albini besuchte dort die Highschool. Sein musikalisches Erweckungserlebnis hatte er, als ihm ein Klassenkollege ein Album das Debütalbum der Ramones vorspielte. Albini erklärte mehrfach, dass seine ganze Karriere diesem Album geschuldet sei. Neben den Ramones begeisterte er sich auch für Devo, die Sex Pistols und Pere Ubu. Zu dieser Zeit begann er, Bass zu spielen. Er war Teil mehrerer Punkbands, darunter die in Montana ansässige Gruppe Just Ducky, später auch bei Small Irregular Pieces of Aluminum. 1980 zog Albini nach Chicago und besuchte dort das College, später studierte er Journalismus an der Chicagoer Universität. Er begann Anfang der 1980er-Jahre, für mehrere Punk-Fanziens zu schreiben.

Albini im Jahr 2005
Paul Natkin Getty Images
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1982 gründete er Big Black – eine Hardcore-Punkband, die als erster Meilenstein in Albinis Werk gilt. Nachdem er bereits viele Demoaufnahmen produziert hatte, war das The-Big-Black-Debütalbum „Atomizer“ im Jahr 1986 die erste richtige Produktion, die er verantwortete. Die Band veröffentlichte im Folgejahr einen weiteren Longplayer, „Songs about Fucking“. 1987 löste sich die Band auf, Albini spielte von 1987 bis 1989 außerdem bei Rapeman.

Albini als Produzent

In einem Interview mit „Vinyl Writer Music“ erzählt er, was ihn dazu bewogen hatte, sich mehr und mehr dem Produzieren zu widmen: „Ich hatte mit meinen Freunden in Montana angefangen, Aufnahmen zu machen, und dann alleine in Chicago. Ich stellte mich den Bands meiner Freunde zur Verfügung und wurde so zu einer Ressource für die Szene, um Demoaufnahmen zu machen“, so Albini. Der Produzent weiter: „Schließlich wurden einige davon zu richtigen Platten, und einige davon reisten weit genug, dass ich mir einen Ruf außerhalb der Szene erwarb, der es mir ermöglichte, bezahlte Arbeit zu bekommen. Mit der Zeit, nach etwa acht oder neun Jahren, wurde aus diesen Gleichgesinnten und Freunden ein Kundenstamm, und ich hatte genug Arbeit, um 1987 meinen Job zu kündigen, wobei ich nie davon träumte, dass es eine Karriere werden würde, sondern nur etwas, das ich eine Zeit lang tun konnte. Seitdem habe ich die Miete gezahlt.“
Wirft man einen Blick auf Albinis Resümé als Produzent, geht es ab 1988 Schlag auf Schlag. In diesem Jahr erschien das von ihm produzierte und engineerte Pixies-Album „Surfer Rosa“, eines der wichtigsten Alternative-Rock-Alben aller Zeiten. Weitere Künstler:innen, die er in dieser frühen Phase produzierte, waren Slint, deren Debütalbum „Tweez“ (1989) als Wegbereiter für den Post-Rock gilt, sowie The Breeders, deren Album „Pod“ (1990) Albini er produzierte. Mit PJ Harvey arbeitet er für deren zweites Album „Rid Of Me“ (1993) zusammen. Die Reihe lässt sich fortsetzen. Aber kommen wir nun zu Albinis prominentesten Klienten…

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Albinis Arbeit mit Nirvana: Der legendäre Brief

Die meisten anderen Produzenten wären aus dem Jubeln wohl gar nicht mehr herausgekommen, wenn Sie wie Albini von Nirvana engagiert worden wären. Cobain & Co. befanden sich auf dem Höhepunkt ihres Ruhms, waren der größte Rockact, der die Musikwelt völlig umkrempelte. Anstatt sofort „Ja“ zu sagen, schrieb Albini der Band einen Brief, in dem er seine Bedingungen formulierte. In diesem Brief spricht Albini über seine Vorstellung von Produktion, Tantiemenaufteilung, Ästhetik und Ethik – der Brief zeigt, wie wenig sich Albini vom Musikbusiness vereinnahmen ließ.

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„Ich denke, das Beste, was ihr jetzt tun könnt, ist genau das, worüber ihr gesprochen habt: ein Album in ein paar Tagen herauszubringen, mit hoher Qualität, aber minimaler „Produktion“ und ohne Einmischung von Außenstehenden. Wenn ihr das wirklich tun wollt, würde ich mich gerne beteiligen“, schreibt Albini etwa – und warnt: „Solltet ihr jedoch Gefahr laufen, dass die Plattenfirma sich einmischt – indem sie euch drängt, Songs oder Produktionen zu überarbeiten, externe Profis hinzuzuziehen oder die Platte komplett remixen zu lassen –, dann wird das Endergebnis enttäuschend sein. In diesem Fall möchte ich nicht beteiligt sein.“

Sein Fazit: „Ich bin nur daran interessiert, an Aufnahmen zu arbeiten, die die Band und ihre Musik ehrlich widerspiegeln. Wenn ihr euch darauf einlassen könnt, werde ich alles geben.“

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Im selben Brief erklärt Albini auch, keine Tantiemen für das Album zu wollen. „Ich nehme keine Tantiemen. Das ist unethisch. Die Band verdient das Geld – nicht der Produzent. Bezahlt mich wie einen Handwerker: fair und angemessen für die geleistete Arbeit. Kurt schlug vor, einen Grundbetrag zu zahlen und später, falls gewünscht, einen weiteren Bonus. Ich überlasse euch diese Entscheidung.“

Arbeit an „In Utero“

Kurt Cobain, Dave Grohl und Krist Novoselic waren einverstanden. Die Arbeit am „Nevermind“-Nachfolger „In Utero“ fand, wie von Albini empfohlen, im Pachyderm Studio in Cannon Falls, Minnesota, statt. „Wir hatten zwei Wochen gebucht. Die grundlegende Aufnahme und der gesamte Gesang waren wahrscheinlich in den ersten sieben Tagen fertig. Dann wurden noch ein paar kleine filigrane Details erledigt, und Dave machte sich an die Arbeit an seinen Songs und so. Das Mischen ging auch sehr schnell. Ich glaube, wir haben jeden Tag zwei oder drei Songs gemischt“, erzählte Albini in einem Interview.

Steve Albini 2022 beim Primavera Sound
Steve Albini 2022 beim Primavera Sound
Jim Bennett WireImage

Die Plattenfirma zeigte sich nicht gänzlich begeistert: Zu rau sei der Sound, vor allem im Vergleich zum von Butch Vig produzierten und doch relativ glatten „Nevermind“. Das Ergebnis: Die beiden Songs „Heart-Shaped Box“ und „All Apologies“ wurden auf Drängen des Labels neu gemixt. Dafür zeichnete Scott Litt verantwortlich, der den Songs einen deutlich polierteren Klang verlieh.

Was machte Albini so legendär

Steve Albini fand, dass sich Produzenten nicht zu wichtig nehmen dürfen. Ihm kam es in erster Linie auf die Band an. Die musste eine Vision, eine Vorstellung, einen Ethos haben und den verfolgen – und zwar so kompromisslos wie möglich. Albini, daraus machte er nie einen Hehl, mochte das Analoge, nahm lieber auf Tape als auf den Computer auf. Er war kein großer Freund von Overdubs, wenn möglich, sollten die Bands alles live einspielen. Und wenn gewünscht, war er auch „nur“ Engineer, denn besonders die technische Seite machte Albini Spaß. Albini war eben Produzent UND Toningenieur, und er war sich nicht zu stolz, eine der beiden Rollen auch mal an jemanden anderen abzugeben. Auch sein Outfit, ein Blue-Collar-Overall, erinnert daran. „Er trägt täglich einen Overall mit dem Logo von Electrical Audio – ein sichtbares Zeichen dafür, dass sein Schwerpunkt auf der technischen Umsetzung von Aufnahmen liegt und nicht auf ihrer kunsthandwerklichen Gestaltung“, schrieb das Magazin „Audiotechnology“.

Albini im Jahr 2005
Paul Natkin Getty Images

Albini als Studiobesitzer

1997 gründete Steve Albini Electrical Audio, ein Tonstudio in Chicago. Es ist in zwei Studios unterteilt – eines haben beide Räume gemeinsam: Albini setzte auf Analogequipment. Allerdings ging die Zeit auch nicht spurlos vorbei: 2007 erklärte ein Techniker des Studios, man habe künftig auch die Möglichkeit, digital mit ProTools zu arbeiten. Mit dem Zusatz: „Steve wird damit nicht arbeiten. Also fragt ihn besser erst gar nicht danach.“

Albini als Frontmann von Shellac

Wir wollen uns aber auch einer weiteren Band widmen, bei der Albini Frontmann und Gitarrist war: Shellac. Gegründet im Jahr 1992 widmete sich die Band dem Noise Rock. Die Band veröffentlichte sieben Longplayer – der letzte erschien 2024. Leider sollte Albini den Release nicht mehr miterleben: Wenige Tage, bevor „To All Trains“ erschien, starb er.

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Steve Albini: Todesursache

Steve Albini starb am 7. Mai 2024 überraschend im Alter von 61 Jahren. Er erlag einem Herzinfarkt. Er hinterließ seine Ehefrau Heather Whinna.