„Diamonds and Pearls“-Reissue

Prince-Archivar Duane Tudahl: „Ich sehe Potenzial für 50 bis 60 Boxsets“

Duane Tudahl ist der Mann, der den Prince-Vault kennt wie kein Zweiter – und er berät die Nachkommen des Musikers und die Plattenfirma zu den Tracklisten der gigantischen Boxsets. Wie nun bei „Diamonds and Pearls“, das neu aufgelegt wurde.


Duane Tudahl ist preisgekrönter Autor verschiedener Bücher über die Musikszene von Minneapolis – und vor allem der Archivar und Senior Researcher des Prince Estate: Er durchforstet das riesige Song-Archiv von Prince und berät die Nachkommen und das Label zu den Stücken, die auf den Reissues des 2016 verstorbenen Musikers erscheinen. 

Mr. Tudahl, das Jahr 1991 muss für Prince überraschend gewesen sein. R.E.M. und Metallica wurden Mainstream-Acts; Guns N‘ Roses veröffentlichten parallel zwei Alben; U2 arbeiteten an „Achtung Baby“; Pearl Jam und Nirvana erschufen Grunge; Lenny Kravitz wurde als zweiter Prince gehandelt. Und Rap wurde immer bedeutender. Glauben Sie, dass Prince Druck verspürt hat?

Meine Annahme ist, dass Prince zu jeder Zeit wusste, was in der Musikwelt passiert, welche Verschiebungen im Gange sind. Nach den Aufnahmen von „Diamonds and Pearls“ sagte er, dass HipHop ihn sehr beeinflusst habe, er besuchte viele Clubs. Dass er Trends kopiert hat, kann man nicht sagen. Er wurde sicher politisch beeinflusst – auf der Platte befinden sich einige Lieder über Weltereignisse …

Anfang 1991 brach der Golfkrieg los …

Und wer einen derart großen Output hat wie er, der braucht einen außergewöhnlich großen Input. And he was constantly feeding the machine.

1991 holten sogar R.E.M. den Rapper KRS-One ins Studio. Dabei schien Prince sich bis zu „Diamonds and Pearls“, wie noch in dem „Black Album“-Song „Dead On It“, eher humoristisch mit dem Genre auseinanderzusetzen.

Für mich war Prince jemand, der Rap als ein weiteres Instrument betrachtete, in einem prozessualen Geschehen, und am Ende als Add-on für sein Repertoire. So wie auch Rosie Gaines, seine Keyboarderin und Co-Sängerin, wie ein neues Instrument für ihn erschien. Er sammelte Talente. Rap war für ihn schlicht wie eine neue Gitarre. Man hört ihn selbst rappen in der „Early Version“ von „Live 4 Love“, etwas anders als Tony M. in der fertigen Version, der eher aggressiv intoniert. Prince rappte eher laid back.

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Hat Prince sich zu Beginn der 1990er-Jahre um Gasteinlagen berühmter Rapper bemüht?

Davon weiß ich nichts. Später, klar: Chuck D. zum Beispiel, der auf „Undisputed“ von „Rave un2 the Joy Fantastic“ von 1999 vertreten ist, und der auch für das „Diamonds and Pearls“-Reissue seine Beobachtungen aufgeschrieben hat. Ich denke, dass Prince den Rap während der Soundchecks seiner „Nude“-Tour von 1990 für sich entdeckt hat. Tony M. rappte, ohne zu wissen, dass Prince anwesend war. Als er ihn bemerkte, dachte er: „Oh-Oh, jetzt ist der Boss bestimmt aufgebracht!“ Aber Prince vertraute ihm: „Let’s try this!“. Zum Zeitpunkt seines Headliner-Auftritts bei „Rock in Rio II“ Anfang 1991 befand sich die „Nude Tour“ bereits in einem Stadium, in dem die Rap-Einlagen Tonys im Set voll integriert waren.

Prince‘ Hinwendung zum Rap fand nicht jeder Fan überzeugend. Kann das auch damit zusammenhängen, dass Rap eine Aufsteigergeschichte erzählt und ein Rap-Musiker in der Band eines 33-jährigen Millionärs wenig überzeugend könnte?

Wenn jemand mit Prince auf der Bühne stand, dann deshalb, weil Prince ihn auf der Bühne haben wollte. Vielleicht war es für ihn wie die Anschaffung eines neuen Keyboards, oder eines neuen Sounds, wie dem New Jack Swing. Er konnte Sly & the Family Stone dazumischen, außerdem James Brown und etwas Neues kreieren. Rap war nur eine weitere Zutat für sein Gumbo. Man muss seinen Ausflug in den HipHop nicht mögen, aber das Schöne an Prince war ja, dass er schon mit dem nächsten Projekt ganz anders klang. Dass jemand, der Grenzen ausreizt, nicht jeden zufriedenstellen kann, ist zu erwarten.

Einen Monat nach „Diamonds and Pearls“ erschien Michael Jacksons „Dangerous“-Album, das New Jack Swing in den Mittelpunkt stellte. Warum ist diese damals sehr angesagte Musikrichtung in den Remixen von „Diamonds and Pearls“, nicht aber in den Albumtracks selbst vertreten?

Darüber kann ich nur spekulieren. Ich denke, Prince stellte Rap, Blues und Funk in den Mittelpunkt – New Jack Swing war das, was Toningenieure oder Remixer mit einbrachten. Manchmal ließ er die Leute einfach machen. In dieser Ära ließ er sehr viel zu, manche Songs erhielten zehn Remixe und mehr. Der Remix an sich hat eine schöne Funktion, er bietet eine neue Lesart für eine bekannte Geschichte. Es ist bei Prince sehr schwer, die musikalischen Epochen einzuordnen. Als die „Purple Rain“-Tour 1984 begann, war er mit dem Nachfolgealbum von „Purple Rain“, „Around the World in a Day“, schon nahezu fertig. Die „Diamonds and Pearls“-Ära lässt sich relativ einfach eingrenzen, sie begann mit den Aufnahmen in London zu „Walk Don’t Walk“ und „Daddy Pop“.

Bei den MTV Video Music Awards wenige Tage vor Veröffentlichung von „Diamonds and Pearls“ präsentierte er seine neue Single „Gett Off“ sowie seinen blanken Hintern, was für Aufsehen sorgte. Später kam heraus: das Teil war aus Plastik.

Ich war nicht anwesend und habe es daher nicht gesehen. Es war wohl nicht sein nackter Hintern, sondern Stoffstücke, die Stacia Lang entworfen hatte.

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„Gett Off“ erinnert an „1999“. Damals stellte er Dez Dickerson und Lisa als Co-Sänger vor, nun Tony M. und Rosie Gaines. Und mit der New Power Generation erhob Prince erstmals seit dem Ende von The Revolution 1986 eine Band in den Stand einer namentlichen Erwähnung.

Ich denke, er war mit dieser neuen Band sehr zuversichtlich. Und er liebte es, eine bestimmte Gruppe von Menschen um sich herum zu haben, zumindest in dieser Periode seines Schaffens. Er war der Anführer, aber er wollte auch eine Gang. They got his back, he’s got their back. Er liebte es, ein Solokünstler zu sein. Aber zu jener Zeit wollte er Menschen im Team haben, deren Fähigkeiten er präsentieren konnte. Tony, Rosie, Michael B., Sonny. Er rief sie auf. Er hatte mit ihnen eine geistige Verbindung, die er vielleicht zuletzt so mit The Revolution empfand. Warum er der Band nach The Revolution, mit der er nach „Sign O‘ The Times“ und „Lovesexy“ auf Tour ging, keinen Namen gab, weiß ich nicht. Es heißt, er dachte mal daran, sie „The New Revolution“ zu nennen. Vielleicht erinnerte ihn die New Power Generation dafür an die von ihm protegierte Band The Time, angeführt von Morris Day. Das war eine verschworene Einheit.

Das einzige alte neue Bandmitglied war Levi Seacer, Jr., seit 1987 dabei, der nun vom Bass zur Gitarre wechselte. Warum?

Prince war bestimmt glücklich über Levis Verbleib in der Band. Er erkannte dessen Talent, ob am Bass, an der Gitarre oder als Produzent und Komponist. Prince arbeitete mit ihm auch für das „Martika’s Kitchen“-Album von Martika zusammen. Grundsätzlich ist es so, dass jede Prince-Ära definiert ist durch die Leute, die er um sich scharte. Wenn er jemanden genoss, wollte er ihn so lange wie nur möglich um ihn herumhaben. Levi, Matt Fink, Morris Hayes – langjährige Weggefährten.

„Gett Off“ wurde kein Hit, dafür die zweite Single „Cream“: seine letzte Nummer eins in den USA. Warum brachte er das einfachere Lied nicht gleich als Vorab-Single heraus, um dem Album noch mehr Aufmerksamkeit zu bescheren?

Vielleicht, weil er die Herausforderung liebte. Auch „Batdance“, die Vorabsingle des „Batman“-Soundtracks, ist recht kompliziert. Und schon „When Doves Cry“ war nicht das, was man einen traditionellen Prince-Song hätte nennen können, „Kiss“ ebenso wenig. Ich glaube, er wollte mit der Vorabsingle Leute aufwecken. „Gett off“ war ein last minute thing, der letzte Song, den er auf das Album packte, es ersetzte „Horny Pony“. Hier entstand ein Momentum. Und er mochte eben am liebsten die Sachen, die er als letzte aufgenommen hatte. Ähnlich hatte er mit „Thieves in the Temple“ auf „Graffiti Bridge“ aus dem Jahr davor verfahren – die aktuelle Aufnahme als erste Single herausgebracht, um den Leuten zu sagen: This is who I am right now.

Mochte er „Cream“?

Man hört bei „Cream sofort, dass das eine solide Nummer ist. Perfekt für eine zweite oder dritte Single. Sie muss den Sound der Platte nicht vorstellen – sie erweitert ihn. Wenn man den „Take 2“ von „Cream“ im Reissue hört, merkt man, wie sehr es ihm Spaß machte, das Stück der Band beizubringen. „Gett Off“ nahm er ganz allein auf. Was erstaunlich ist, da er wie ein Band-Song klingt, wie eine Party.

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In den Albumcredits bedankt er sich bei Kate Bush. Wissen Sie, warum? Ihr erster gemeinsamer Song würde erst 1993 entstehen.

Vielleicht hat sie ihm ihr Lied „Why Should I Love You?“, das auf ihrem Album „The Red Shoes“ veröffentlicht werden sollte, bereits zur Bearbeitung geschickt. Prince mochte sie sehr, das geht bis mindestens 1987 und dem „Sign O‘ The Times“-Album zurück. Seine damalige Toningenieurin Susan Rogers sagte, dass „If I Was Your Girlfriend“ von Bush beeinflusst war. Ihre Stimme, ihre Musik – sie war ein individuell klingendes Talent. Und auf „If I Was Your Girlfriend“ wollte er ein wenig so klingen, wie sie. Sich bei ihr zu bedanken war wohl auch seine Art, auf Bush aufmerksam zu machen.

„Diamonds and Pearls“ soll das erste seiner Alben gewesen sein, für das er neue Aufnahmen verwendete und nichts aus seinem Archiv „The Vault“. Hat das für Sie die Arbeit einfacher gemacht, Stücke für das Reissue zusammenzutragen?

Es ist niemals einfach. „Diamonds and Pearls“ nimmt tatsächlich eine besondere Stellung ein. Die zwei Alben davor, „Graffiti Bridge“ und „Batman“, waren Soundtracks. Und „Graffiti Bridge“ bestand überwiegend aus älterem „Vault“-Material, denen er ein Update unterzog. „Graffiti Bridge“ war wie ein Greatest Hits seines Archivs. Dabei dachte Prince durchaus daran, ältere Stücke für „Diamonds and Pearls“ zu verwenden, etwa „Old Friends 4 Sale“. Anfang 1991 stand das Lied auf der Tracklist, für kurze Zeit; ich glaube, Tommy Barbarella hat dem Song ein paar Nuancen hinzugefügt. Es ist also nicht so, dass Prince Archivmaterial zu jener Zeit prinzipiell ausschloss. Als ich „Old Friends 4 Sale“ auf einer von ihm selbst angefertigten Tracklist-Compilation fand, war ich verblüfft. Prince hat oft Testfahrten mit dem Auto unternommen. Er wollte dabei herausfinden, welches Lied zu welchem passt, wie er die Reihenfolge sortiert.

 

Dank Ihrer Arbeit und den Diskografen von princevault.com weiß heute jeder, dass Prince grundsätzlich, wie für „Graffiti Bridge“, viel mit Archivmaterial arbeiten konnte. Entzaubert das nicht auch das Bild des kreativen Musikers, der so auftritt, als präsentiere er für jedes neue Albumkonzept frische Aufnahmen?

Zunächst einmal glaube ich nicht, dass Prince sich um meine Meinung Sorgen gemacht hätte (lacht). Ich denke nicht, dass er auch nur einen einzigen Gedanken damit verbracht hat, wie wir seine Gründe für die Nutzung von Archivmaterial einschätzen. Er veröffentlichte Lieder dann, wenn er sie für nützlich für ein Projekt hielt – aber natürlich war ihm auch wichtig, dass uns seine Alben gefallen. Und was für ein Erinnerungsvermögen er gehabt haben muss, um auf bestimmtes Material zurückgreifen zu können! In seinem „Vault“ sammelten sich tausende Aufnahmen an. Er war in der Lage, seinen Toningenieur anzuweisen, ins Archiv zu gehen und diese oder jene Aufnahme herauszusuchen, weil er einen bestimmten Part in einem Lied nutzen wollte.

Als Senior Researcher und Archivar des Prince Estate sind sie maßgeblich an der Kompilierung der Reissues beteiligt. Wie kann man sich den Prozess der Song-Auswahl vorstellen?

Wir arbeiten im Team. Dem Team biete ich Möglichkeiten an – wichtig ist, dass jeder hinzugefügte Track das bestehende Album erweitert, also im Kontext des Albumkonzepts Sinn ergibt. Einen Jam mit reinem Novelty-Effekt aus jener Zeit hinzuzufügen, der aber nicht zu „Diamonds and Pearls“ passt, ergibt wenig Sinn. Einfach nur Platz auffüllen kommt nicht infrage, we’re not scraping the bottom of the barrel. Wir wollen Seiten aufzeigen, die man von Prince noch nicht kennt.

An welchen Song denken Sie dabei?

Zum Beispiel „I Pledge Allegiance To Your Love“.  Anders als alles auf dem Album. Er spielt den Blues. Als hätte er sich ein anderes Paar Jeans angezogen. Prince genoss ein hohes Ansehen bezüglich seiner sehr guten Selbsteinschätzung, die Klasse eines Tracks zu erkennen – und eben zu erkennen, dass manches zu einem bestimmten Projekt nicht passt. Wie auch „The Flow“, das er für „Diamonds and Pearls“ in Betracht zog, das aber dann ein Jahr später auf „Love Symbol“ erschien. Die Möglichkeiten verschiedener Reissues sind im Fall von Prince jedenfalls sehr groß. Vielleicht kommt irgendwann aber auch wieder ein Projekt wie „Originals“, das kein Reissue ist, sondern die Präsentation von Prince-Liedern für Protegees, aber von ihm eingesungen.

Kann es ein Zuviel geben an Songs pro Edition?

Meine Philosophie ist als Fan: Pro Boxset so viel Musik wie möglich. Prince war ja auch Fan. Er sagte: Ich will jeder Note hören, die James Brown je eingespielt hat. Die in diesem Boxset aufgeführten, unveröffentlichten Lieder erzählen tatsächlich eine Story. Sie beginnt mit „Schoolyard“ und endet mit dem „Thunder Ballet“. Eines der letzten Lieder, die er für diese Ära seines Schaffens einspielte.

Apropos Chronologie: Warum hat der Estate eigentlich die Reissue-Reihe nicht mit seinem Debüt „For You“ von 1978 begonnen? Mit den Deluxe-Versionen von „Purple Rain“, „1999“, „Sign O‘ The Times“ und „Diamonds and Pearls“ sind die populärsten Alben nun schon veröffentlicht – könnte die Aufmerksamkeitskurve ab jetzt nicht sinken?

Ich habe keinen Einblick in die Veröffentlichungspolitik. „Diamonds and Pearls“ könnte an der Reihe gewesen sein, weil es sein meistverkauftes Nicht-Soundtrack-Album ist. Eine chronologische Veröffentlichungsreihenfolge wäre dennoch reizvoll, klar. Noch in diesem Jahrzehnt immerhin wird sein Debüt 50 Jahre alt, da geht also vielleicht noch was. Mich persönlich würden auch Reissues seiner Nebenprojekte interessieren, The Time, The Family zum Beispiel, besonders Madhouse – als Boxset. Ich sehe insgesamt ein Potenzial für 50 bis 60 verschiedene Boxsets. Aber die Zeit rennt. Viele Fans seiner ersten Generation sind in ihren Fünfzigern und Sechzigern und sehnen sich nach Material. Aber es gibt noch einen weiteren Grund, denke ich, für diese ganz bestimmte Veröffentlichungsreihenfolge.

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Welchen?

Mit den populären Alben schafft man es, neue Fangenerationen zu erschließen. Es wird die Zeit kommen, in der es meine Generation nicht mehr gibt. Ich sehe es als meinen Job an, die Fackel weiterzureichen. Die erfolgreichsten Prince-Alben neu aufzulegen ist wie eine Einführung in die Welt dieses vielschichtigen Künstlers. Wenn man nur die bestehenden, älteren Fans glücklich macht, erweitert man ja den Hörerkreis nicht. Traurigerweise ist Prince tot, er kann nicht mehr touren, keine Interviews geben. Der Estate möchte zeigen, wie lebendig Prince war – und dass er immer noch genauso lebendig ist.

Eine Zeit lang kursierte das Gerücht, „Parade“ wäre anstelle von „Diamonds and Pearls“ das nächste Set, dann eine Kombination aus „Diamonds and Pearls“ und „Love Symbol“. Wer trifft diese finalen Entschlüsse, und auf welcher Grundlage?

Zunächst einmal wird geschaut, wieviel aus einer Ära überhaupt zur Verfügung steht. Solche Optionen werden in Jahresplänen vorgelegt. Natürlich schaut man auch auf Jubiläen. Aber Jubiläen, das zeigen die Verkaufszahlen bei vielen Künstlern, spielen für die Verkäufe keine große Rolle …

… und die Covid-Pandemie und damit einhergehende Produktionsprobleme haben die Pläne sowieso durcheinandergewirbelt …

… kein Käufer wird sich sagen: „Hey, das ist ja das 40. Jubiläum von ‚Purple Rain‘, dann schlage ich mal schnell zu! Aber auch nur, weil dies ein Jubiläum ist – sonst käme das nicht infrage!“ Jubiläen ergeben Sinn bei Künstlern mit schmalerer Diskografie. Prince aber hat mehr als drei Dutzend Alben veröffentlicht. Er feiert jedes Jahr irgendein Jubiläum. Wir blicken jedes Jahr auf den Kalender und es blinkt uns jedes Jahr entgegen: Jubiläum, Jubiläum, Jubiläum! Die Optionen sind einfach sehr groß. Unsere Philosophie lautet: Better have them right, then have them right now. Man hat manchmal nur einen Schuss. Und im Hinterkopf den impliziten Auftrag von Prince, es so zu machen, wie er es tun würde. Wir müssen sehr tief im Archiv dafür graben. Es braucht die besten Songs, die besten Fotos, die besten Konzerte, die besten Videos.

Im Jahr 1991 war Prince 33 Jahre alt. Er zeigte sich in einem Video, zu „Diamonds and Pearls“, erstmals mit Kindern, er sang gegen den Golfkrieg, dann machte er den Gangsta mit Pistolenmikro und ließ sich für Liegestützen am Pool von Tony M. anfeuern. Wer war Prince damals?

Er hatte, wie jeder Künstler, viele Facetten. Auch gegenüber Menschen. Prince war da wie vor ihm David Bowie. Und der Song diktierte, wie das Musikvideo aussehen würde. In einem Lied wie „Diamonds and Pearls“ hätte Prince ja nicht wie ein Gangsta herumtanzen können, das hätte albern ausgesehen. In „7“ würde er ein Jahr später wieder mit Kindern zu sehen sein. „Live 4 Love“ dagegen rief Bilder eines Kriegs hervor. In dem von Spike Lee gedrehten Video von „Money Don’t Matter 2 Night“ wird Armut gezeigt. Jeder Song auf der Platte ist wie ein eigener Film. Die Platte hat Gospel, Funk, Jazz, Blues … das sind nicht einfach nur von Prince beschrittene Wege, das sind Alleen. Er hat sein eigenes Genre gegründet, kein Track auf „Diamonds and Pearls“ klingt auch nur ansatzweise wie der andere. In Musikgeschäften sollte es nicht nur „Blues-Sektionen“ oder „Funk-Sektionen“ geben, es sollte eine „Prince-Sektion“ geben.

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In drei Liedern geht es um Krieg, wahrscheinlich den Golfkrieg. So konzentriert anti-kriegspolitisch gab er sich zuletzt auf dem „Controversy“-Album, das zehn Jahre davor erschien und den Kalten Krieg thematisierte.

Ja, „Thunder“, „Money Don’t Matter 2 Night“ und „Live 4 Love“. „Thunder“ entstand wenige Tage nach Beginn der amerikanischen „Operation Desert Storm“. Das Eröffnungsstück des Albums handelt damit vom Krieg, und das Schlussstück, „Live 4 Love“, auch. „Diamonds and Pearls“ ist kein traditionelles „War Album“, aber beide Songs zeigen, womit er sich an jenen Tagen beschäftigte. Er zeigte damit auch, dass er der Welt Aufmerksamkeit schenkte.

Der Golfkrieg gilt als erster „Fernsehkrieg“, als Krieg, dessen Geschehen im TV übertragen wurde.

Jeder hier in den USA, wirklich jeder, hing damals vor den Fernsehern. Es demonstriert die menschliche Seite von Prince, dass er das wohl auch ansah und einen Kommentar dazu hinterlassen wollte. Er war oft politisch, 1981 in „Ronnie talk to Russia“, später in „Baltimore“.

Welcher Song war am schwierigsten zu bekommen, welcher ist ihr liebster auf dieser Edition?

Einer meiner liebsten ist „Blood on the Sheets“. Als ich darauf im „Vault“ stieß und es anhörte, dachte ich: Das ist doch gar nicht Prince. Ungewohnt. Hart, aggressiv. Wir waren uns nicht sicher, ob das ein Lied war, das zwar im Paisley Park aufgenommen, aber eben nicht von Prince selbst aufgenommen wurde. Hat mich weggeblasen. Ich hoffe, dass seine Fans das genauso sehen werden. „Blood on the Sheets“ beruht auf „Darkside“, das der Edition ebenfalls beigefügt ist, eingespielt in Japan zu Ende der „Nude Tour“. Man hört diesen zwei Versionen an, wie Prince sich und seine Band entwickelt hat, ähnlich wie in „Cream (Take 2)“. Außerdem mag ich „Trouble“ und „I Pledge Allegiance To Your Love“ – das hätte ein großer Song für B.B. King sein können. Der klingt wie mühelos eingespielt, aber bei mehrmaligem Hören merkt man doch, wie viel Arbeit darin steckt: Weil Prince seinen Leuten nach und nach erlaubt hat, ihre Schichten darüberzulegen. Und die Leute um ihn herum haben ihn verstanden. Es hat uns einfach Spaß gemacht aus dem 13-teiligen „Diamonds and Pearls“-Album eine Expanded Story zu machen. Nun beginnt das Set mit „Thunder“ und endet mit „Thunder Ballet“, sie sind wie Bookends.

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Wie sieht Ihre Arbeit im „Vault“ aus. Können Sie da ständig rein, kennen Sie alle Songs, jedes File, das Prince je aufgenommen hat?

Genau das ist mein Job: den „Vault“ zu kennen, zu wissen, was da drin ist. Ich bin der Archivar. Aber: Noch ist nicht alles archiviert. Im „Vault“ stecken 40 Jahre Musik.

Wie viele neue Songs pro Woche hören Sie aus dem „Vault“?

Das lässt sich nicht so einfach sagen. Manche Aufnahmen sind Rehearsals, Konzerte. Filmmaterial.

Es muss intim sein, all die Aufnahmen mit Gesprächen zwischen Prince und der Band zu hören.

Man setzt bei „Cream (Take 2)“ Kopfhörer auf, und es fühlt sich an, als wäre er mit einem selbst im Raum. So, wie „Power Fantastic“ auf dem „Sign O‘ the Times“-Reissue klang. Bei „Darkside“ redet er mit seinem Gitarristen Levi Seacer, Jr. Levi fragt ihn, wie er den Song nennen wird. Prince sagt: „Something Funky (This House Comes)“. Er verweist in einem Outtake also auf ein anderes Outtake – das ist, für mich als Fan, einfach nur cool. Ich habe Prince nie getroffen, nie mit ihm geredet. Ihn in einer Aufnahme mit anderen reden zu hören, zu hören, wie er Witze macht – das ist so, als wäre er wieder am Leben. Das hat mir bei dem Beatles-Film „Get Back“ schon so gut gefallen: Paul und John im Gespräch. The Real Thing. Prince im Gespräch mit Leuten, die ihm wirklich etwas bedeuten. Das ist das Größte für mich. Für mich das Juwel in „Diamonds and Pearls“.

Duane Tudahl

Ich sage das jetzt nicht als Journalist, sondern als Prince-Fan: „Vault“-Archivar zu sein, das ist ja wohl der beste Job der Welt.

Den Job empfinde ich als unbeschreibliche Ehre. Als Teammitglied behilflich zu sein, die Welt von Prince weiter zu erforschen – das ist ein Privileg. Prince hat seinen Fans, darunter mir, so viel mit seiner Musik gegeben. Ich würde das gerne zurückgeben. Den „Vault“ zu betreten … ich tue das mit allergrößtem Respekt vor seiner Arbeit. Ich hatte viele tolle Jobs in meinem Leben. Ich habe als Produzent gearbeitet, als Regisseur, auf der ganzen Welt. Ich schreibe Bücher. Aber die Arbeit als Archivar ist einfach am coolsten. Mit den meisten Jobs ernährt man seine Familie. Aber mit diesem ernähre ich dazu auch noch meine Seele.

Privat
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