Präsident Eisenfaust
Wenn beckenbauer doch noch in die Politik ginge, dann käme er zwar mit seinem Kaisertitel, aber doch als Demokrat: Er wollte nie Krieg auf dem Fußballplatz, siegte durch Eleganz und Gefühl und berührte den Gegner meistens nicht mal. Vitali Klitschko war ein Gewaltherrscher und zerstörte seine Gegner im Ring, sie zitterten bereits vor Klitschkos Musik, die vor dem Kampf dröhnte („Hells Bells“ von AC/DC). Er schaffte die zweithöchste K.o.-Quote der Profiboxgeschichte – einmal, 2003, hat er allerdings auch so ausgesehen, als sei sein Kopf gerade im Schraubstock gewesen; es lag aber an seinem Gegner Lennox Lewis.
Der Blutkrieger Klitschko führt jetzt die Ukrainische Demokratische Allianz für Reformen (UDAR, das Wort bedeutet Faustschlag auf Ukrainisch). Da steht der 42-Jährige auf Podesten und erherrlicht Frieden, Freiheit und Menschenrechte. Diese Rolle macht auf uns Westler bislang noch einen unwirklichen Eindruck – ungefähr wie Andrea Nahles beim Hammerwerfen. Schon 2006 politisierte Klitschko, er wollte Bürgermeister von Kiew werden, unterlag jedoch einem Privatbankier, der sich Stimmen gekauft hatte, was den Ehrenmann Klitschko entsetzte, aber dessen Spaß und Ernst an der Politik nicht minderte. Immerhin: Klitschko, der Weltmeister im Ruhestand, suchte eine Aufgabe nach dem Sport und hat was halbwegs Sinnvolles gefunden; Boris Becker brauchte 15 Jahre für die Erkenntnis, dass er nix kann außer Tennis. Früh galt Klitschko als Dialektiker unter den Boxern, sein Gegensatzdenken sollte sich auch in seinem Kampfnamen spiegeln, Doktor Eisenfaust. Er ist der einzige promovierte Sportwissenschaftler, dessen Faust aus diesem Material besteht. Klitschko erhielt ganz unterschiedliche Orden – das Bundesverdienstkreuz von Deutschland, einen Brückenheiligen von Europa, einen Bambi von Burda.
Eher als Schwarzenegger, der Kollege aus einer anderen Kraftabteilung, dürfte Klitschko genug Bürger überzeugen und Präsident werden: Schwarzenegger muss noch warten, bis die Amerikaner endlich ihre Verfassung ändern und auch einem Österreicher erlauben, ihr Land zu lenken. Klitschko sagt, er wolle 2015 antreten und den ukrainischen Präsidenten Janukowitsch ablösen – der hat Geld und Eigentum des Volkes gerafft, ist aber nicht nur Doktor, sondern sogar Professor, was Klitschko ein bisschen ärgert, jedoch auch seinen Ehrgeiz noch vergrößert. Der Professor hat nicht Klitschkos Stärken, nämlich Reflexe und Nerven, Führhand und Nehmerqualitäten. Ein Präsident Vitali Klitschko ist nur vorstellbar mit einem Vizepräsidenten Wladimir Klitschko, denn alles Wichtige haben die beiden Brüder bisher gemeinsam getan: So viel Bruderliebe bei Sportstars strömte zuletzt zwischen Fritz und Ottmar Walter, sie glaubten an denselben Gott (Sepp Herberger). Die Klitschkos bräuchten keine Freunde, sie haben einander und sind sich Stütze, Trost und Antreiber. Eine Irritation gab es nur 2002 – Wladimir ließ ohne Absprache seine Haare wachsen, Vitali behielt seine Soldatenfrisur.
Sie sind momentan öfter getrennt: Vitali ist in Kiew vor Ort, während Wladimir durch Oberhausen spaziert und sich auf seinen nächsten Kampf dort vorbereitet. Sie machen Ausgleichssport und spielen Schach auf einem Niveau, das besagt: Sie hätten Großmeister auch da werden können. Die Klitschkos sprechen besser Englisch als die Kanzlerin und ihr Außenminister.
Mit Stolz und Demut guckt ihre Mutter auf die zwei Söhne, wie musste sie lachen, weil Vitali und Wladimir für einen Disneyfilm Jungbullen synchronisierten! Die Brüder erledigen gerne Hausarbeit, entlasten Mutter und die Ehefrauen und bügeln Hemden; danach eine Milchschnitte, unvergesslich der Reklamespot – die Klitschkos mit ihrem russischen Akzent zerdehnten und verschleppten das Deutsch, als sei Wodka in jeder Milchschnitte. Aber tatsächlich bleibt Vitali Klitschko vorerst der einzige Spitzenpolitiker in der Geschichte der Ukraine, der niemals besoffen ist.
Im nächsten Heft kommt der „Typewriter“ wieder von Jenni Zylka.