Potentes aus der Provinz: Junkhouse machen Musik der großen Gefühle

Darum geht’s eigentlich: jeden Morgen den Arsch aus dem Bett hochzubekommen und in der Scheiße da draußen ein anständiger Mensch zu bleiben. Viel mehr bleibt einem nicht übrig, nirgendwo auf der Welt – und erst recht nicht in einem von Gott und der Welt vergessenen, rezessionsgebeutelten Kaff wie Hamilton/Ontario. Dieses Hamilton muß man sich so vorstellen wie die Stahlarbeiter-Stadt in „The Deer Hunter“, bevor sie alle nach Vietnam in den Krieg geschickt werden: Schlote, Krach und niemals Sonne. Underdogs in Stahlkappen-Timberlands, ausgerüstet mit fremdgehenden Frauen, ramponierten Leben und einem merkwürdigen Sinn für Humor bloodied butunbowcd. Junkhouse-Chef Tom Wilson ist auch so ein Typ: Weigert sich jahrelang, mit der Musik aufzuhören, obwohl ihm niemand zuhören will. Setzt seinen Kopf durch und sich anschließend schon mal vier Stunden in den Bus, bloß um im nächsten Kaff diesem Typen eine aufe Maul zu geben, der seine Frau schräg angeguckt hat. Ein Dickschädel, eine Dampfwalze, ein Grizzly. Und einer, dem treffliche Sätze einfallen wie: „The Devil gets all the glory, but it’s Jesus diät sings die Blues.“ Der Plattenfirma fallen auch Sätze ein: Eine Mischung aus „Swampified Boogie, Punk and Power Blues“ sei das, was Junkhouse auf ihrem zweiten Album „Bhihday Boy“ da anzettelten, und für einen Moment beneidet man sämtliche native English Speakers, weil „angesumpfter Boogie“ bei uns lang nicht so schön rüberkommt Richtiger wird’s trotzdem nicht: Nach New Orleans (wo tatsächlich Teile des Albums abgemischt wurden) klingt „Birthday Boy“ wirklich nicht. Dann schon eher blue-collar-bluesig nach Hamilton/Ontario: Im Hintergrund wird Tom-Waits-artig und Steeltowngemäß auf allerlei zusammengeschweißtem Metall herumgedeppert, die crampigen Hinterhof-Gitarren klingen mitunter so, als würden sie während des Solos nochmal nachgestimmt, und Wilsons charismatische Stimme offenbart das emotionale Spektrum einer Stahlwalze. Das Album sei „about die wandering of die heart“, sagt er (wieder Neid!) „about ordinary folks pushed against the wall of reality“ (nochmals Neid!). Männer, die in ausgebrannten Autos leben und ihre Zukunft demnächst in einem Einkaufswagen hinter sich herziehen, Jugendliche, die nachts am See-Ufer auf die erleuchteten Villen der College-Kollegen schauen, Acid-Gratwandler wie Roky Erickson von Bdi Floor Elevator (dem „Cave“ gewidmet ist: „One day Fll slip back into die cave/ One day 1*11 hide deep inside die grave/ And it’s just one step in die ground/ And 1*11 be gone“): Das sind Wilsons Helden. Und weil man mit denen beim Nachbarn USA noch nie viel anfangen konnte, haben Junkhouse von ihrem grandiosen Debüt „Stntys“ dort bis heute nur 1000 Exemplare (und damit genausoviel wie in Hamilton/Ontario) verkauft, was Wilson aber egal ist – der Erfolg in Europa ist ihm viel wichtiger. Überhaupt scheint Wilson ein sympadiischer Mensch zu sein: jemand, der mit aufgerollten Armein Musik der großen Gefühle macht. Einer, der Zeilen wie „I hug my sleeping-bag real tight“ singen darf, ohne sich der Rührseligkeit verdächtig zu machen. Stefan Nink

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