Portishead: Preis der Perfektion
Die Uraufführung des neuen Portishead -Albums im alten Sendesaal des DDR- Rundfunks bot intime Einblicke in die Arbeitsweise der Bristoler Band. Alter Sendesaal, Berlin.
Das weitläufige Gelände des vormaligen DDR-Rundfunks im Bezirk Köpenick mit seinen Klinkerklotzbauten wirkt nächtens unheimlich. Auch drinnen erweist sich die Kulisse als kongeniale an diesem 19. März, ein Hauch von alter Propaganda-Herrlichkeit weht durch den getäfelten, ungeheizten Saal. Verstärkt wird die Beklemmung von weißem Neonlicht, der monumentalen Orgel und einer Wanduhr, die sich wohl aus Protest abschaltete, als die Mauer fiel. Die Akustik ist vorzüglich.
Rund 200 geladene Medienmenschen, Männer meist, haben in einem Rund auf Stufen Platz genommen, im tiefer gelegenen Kreis stehen Instrumente und Verstärker, die Bühne für eine unorthodoxe Präsentation ist gerichtet. Das dritte Studio-Album von Portishead soll seine Uraufführung erleben, wenige Tage vor Tourbeginn, und“Radio Eins“, letzte Frequenz mit popkulturellem Anspruch, zeichnet auf. Was einerseits begrüßenswert sei, so Geoff Barrow warnend, andererseits unweigerlich zu Zeitverzögerungen durch Abbrüche und Wiederholungen führen würde. Man möge Geduld aufbringen, den Preis jeder Perfektion.
Ein unnötiger Appell, wie sich schnell zeigt. Denn es ist gerade der Soundcheck-Charakter, die Arbeitsatmosphäre, das Feilen an Sounds und das Eliminieren von Programmierfehlern, was einen Spannungsabfall verhindert. Eine Performance im Sinne von Projektion war von Portishead ohnehin nicht erwartet worden. Am wenigsten von Beth Gibbons, die erst herbeihuscht, als die vornehmlich analogen, antik anmutenden Gerätschatten zur Klangerzeugung ihren Betrieb aufnehmen. Bedient von Barrow, ganz Rhythmus-Tüftler und Ton-Ingenieur, von Adrian Utley, dessen Gitarrespiel zuweilen noch immer anzuhören ist, dass er die Frickelschule Jeff Becks besucht hat, sowie von drei Erfüllungsgehilfen an Gitarre, Synth und Schlagzeug. Beth tritt nur ans Mikrofon, wenn Gesang gebraucht wird. Diesen freilich entbietet sie mit der ihr eigentümlichen Intensität, die das Innerste nach außen kehrt und bei aller Schönheit fröstelnd macht. Den Kopf zwischen die Schultern gezogen, in sich selbst versunken, verleiht sieden neuen Songs eine Folk-inspirierte Tiefe, die das jeweilige Klangkonstrukt erst zu Kunst erhöht. Doch, Kunst.
Es ist diese ungeheuer faszinierende Verbindung von klangverliebter Neutönerei und in Songs gegossener Seelenpcm, die sich freilich live schwer vermitteln lässt. So bleiben einige Passagen als Elaborate in Erinnerung, wie Zitate aus Carpenter-Soundtracks oder aus Joe Meeks Zauberkasten. Anklänge an den britzelnden Bristol-Sound von einst sind spärlich, zum Scratching greift Barrow nur anläßlich einer „Dummy“-Reminiszenz, an die Stelle überlebter Trip-Hop-Codes tritt ein verwirrender Klang-Eklektizismus aus schlierigem Blues und maschinellen Grooves, aus Slo-Mo-Funk und Noise noir.
Und Gibbons‘ Stimme natürlich, die keineswegs so klandestin agiert wie ihre Besitzerin. Bei den treibenderen Stücken entwickelt diese Stimme eine ungeahnte Kraft und Resonanz, weiß sich zu steigern, trägt selbst über die vertracktesten Beats. Kaum ist der letzte Ton verklungen, zieht sich die Sängerin indes wieder zurück. Oder setzt sich und vergräbt das Gesicht in den Händen. Derweil sich die Band der nächsten technischen Herausforderung stellt. Kunstbetrieb eben, no laughing matter.