Porter und Prosa
Der Geburtstag des großen irischen Schriftstellers, Kolumnisten und Trinkers Flann O’Brien jährt sich am 5. Oktober zum hundertsten Mal.
Er hatte viele Namen. Geboren wurde er als Brian O’Nolan, auf Irisch Brian Ó Nualláin, seine Kolumnen erschienen unter den Namen Myles na gCopaleen oder Myles na Gopaleen, doch heute ist er vor allem unter dem Pseudonym bekannt, das er für seine Romane verwendete: Flann O’Brien. Am 5. Oktober wäre er 100 Jahre alt geworden. Geschafft hat er nur gut die Hälfte. Mit 54 Jahren hatte er sich zu Tode gesoffen, er starb am 1. April 1966.
Bei meiner ersten Begegnung mit seinen Werken war ich 23. Ich hatte in Belfast als Assistenzlehrer für Deutsch gearbeitet. Zum Abschied schenkte man mir vier Bücher, darunter O’Briens „At Swim-Two-Birds“. Der Roman blieb jahrelang im Regal geparkt. Später fiel mir Lore Fiedlers deutsche Übersetzung „Zwei Vögel beim Schwimmen“ in die Hände. In dem Buch ging es um einen Briefkasten, der von der Irisch-Republikanischen Armee in die Luft gesprengt worden war. Ein Briefkasten? Ich griff zum Original. Dort war die Rede vom „pillar“, und damit war die Säule von Admiral Nelson in Dublins O’Connel Street gemeint, die 1966 zum 50. Jahrestag des Osteraufstands von der IRA in die Luft gejagt wurde. Meine Schwägerin, die damals zufällig vorbeikam, hat heute noch einen Brocken der Säule.
Der Briefkasten war nicht Fiedlers einziger Fehler. Harry Rowohlt, der O’Briens Werke später in anständiges Deutsch gebracht hat, sagt dennoch, er sei für die Gegenwartsliteratur verloren gewesen, nachdem er 1966 „Zwei Vögel beim Schwimmen“ gelesen habe: „Das meiste, was ich danach noch las, stand schon in diesem Buch, und zwar schöner.“ Er sagt auch: „So hätte Joyce geschrieben, wenn er nicht bescheuert gewesen wäre.“ Vielleicht hätte der Autor des „Ulysses“ ihm sogar zugestimmt. Als O’Brien dem fast schon blinden Joyce 1939 sein Buch nach Paris schickte, soll der geurteilt haben: „Das ist ein echter Schriftsteller mit einem wahren Sinn für Komik. Ein wirklich lustiges Buch.“ Es war das letzte Buch, das Joyce in seinem Leben gelesen hat.
Brian O’Nolan, der u.a. Flann O’Brien war, kam 1911 in Strabane in der nordirischen Grafschaft Tyrone auf die Welt. Sein Vater bestand darauf, dass seine elf Kinder ausschließlich irisch sprachen, was zu einer gewissen Isolation führte, denn in Strabane war Englisch die Umgangssprache. Erst mit sechs Jahren begann O’Nolan Englisch zu lernen. 1925 zog die Familie nach Dublin. Brian studierte Irisch, klassische Philosophie und Deutsch, aber er entwickelte auch sein Talent fürs Debattieren, was – wie seine Zeitgenossen erzählten – dazu führte, dass er bei einem Streitgespräch niemals einlenkte. Vor allem aber entwickelte er an der Universität seinen großen Durst auf Whiskey. Dennoch machte er 1935 seinen Abschluss, mit einer Diplomarbeit über irische Poesie. Danach trat er in den Staatsdienst ein. Am Tag, als er nach der Probezeit Beamter auf Lebenszeit wurde, starb sein Vater, und O’Nolan musste die Mutter und seine zehn Geschwister durchbringen – auch den älteren Bruder, der sich erfolglos als Schriftsteller versuchte.
O’Nolan musste bei seinem Eintritt in den Staatsdienst unterschreiben, dass er politisch neutral bleibe und keine Partei und keinen Politiker öffentlich bevorzuge oder gar schmähe. So begannen er und seine Freunde, unter falschen Namen die Leserbriefseite der „Irish Times“ zu bombardieren. Das ging so weit, dass sich O’Nolan manchmal – unter einem anderen Pseudonym – über seine eigenen Briefe lustig machte. Weil das die Auflage steigerte, gab ihm Chefredakteur R. M. Smyllie schließlich eine eigene Kolumne. Die erste erschien am 4. Oktober 1940, einen Tag vor O’Nolans 29. Geburtstag.
Die Kolumne hieß „Cruiskeen Lawn“, irisch für „der kleine volle Krug“, und der Autor nannte sich Myles na gCopaleen – „Myles von den Pferdchen“. Dieser Myles wurde schnell bekannt, denn vor seinem Spott und seiner scharfen Zunge war niemand sicher. Schon bald wussten alle, wer hinter dem Pseudonym steckte. Das ging so lange gut, bis er 1953 einen Minister durch den Kakao zog, der dummerweise Chef der Behörde war, für die er arbeitete. Der sorgte dann dafür, dass O’Nolan umgehend „aus gesundheitlichen Gründen“ frühpensioniert wurde.
Irland war damals ein rückständiges Land, das fest im Würgegriff der katholischen Kirche war. O’Nolan dachte jedoch nie daran, auszuwandern, wie es viele seiner unangepassten Kollegen wie Joyce oder Beckett getan hatten. Er hat nie längere Zeit im Ausland gelebt. Einmal, so behauptete er, sei er in einem Bierzelt in Deutschland in eine Schlägerei mit Nazis geraten.
Er brauchte immer häufiger den Alkohol, um zu funktionieren. Der Historiker Tim Pat Coogan hat mit O’Nolan 1964 nach Erscheinen des Buches „The Dalkey Archive“ ein Fernsehinterview geführt. Der Aufnahmetermin war für morgens halb neun angesetzt, weil man hoffte, dass der Autor dann noch nüchtern wäre. Das war er auch, doch dann verschwand er auf der Toilette. Eine halbe Stunde später holte ihn das Kamerateam vom Klo. O’Nolan war sturzbetrunken, er hatte eine Flasche Whiskey in der Toilettenzisterne versteckt. Das Interview fand dennoch statt, doch der Redakteur beim irischen Fernsehen hielt es für unsendbar.
Seine Trinkerei war auch einer der Gründe, warum Flann O’Brien nur eine Handvoll Romane hinterlassen hat. Ein anderer Grund ist, dass sein zweiter Roman, „The Third Policeman“, von den Verlagen abgelehnt wurde. Das Buch erschien erst nach seinem Tod. Zu seinen Lebzeiten war Myles na gCopaleen deshalb wesentlich berühmter als Flann O’Brien. Erst in den Sechzigern und Siebzigern entdeckten junge Iren seine Bücher für sich. Der Dubliner Schriftsteller Roddy Doyle etwa las O’Brien zum ersten Mal mit 17: „In dem Sommer küsste ich ein französisches Mädchen. Ich kaufte Bob Dylans, Blood On The Tracks‘. Ich trank mein erstes Guinness. Und ich verliebte mich in meine Stadt und in Flann O’Brien.“ Ein anderer Dubliner Autor, Joseph O’Connor, Bruder der Sängerin Sinéad O’Connor, sagt: „Kein irischer Schriftsteller seiner Generation war lustiger. Es bricht mir das Herz, dass er so viel seiner Zeit vergeudet hat.“
O’Nolan ist auf dem Deansgrange-Friedhof südlich von Dublin beerdigt, ganz in der Nähe des früheren Premierministers John A. Costello, über den er sich in seiner Kolumne bisweilen lustig gemacht hat. Am 5. Oktober, zu seinem 100. Geburtstag, werden wir ein Fläschchen Whiskey an seinem Grab trinken.