Pop Shopping
Die Wettermaus morgens im Fernsehen hatte vor lauter grauen Wolken gestanden, aber alles Quatsch: Frühling in Berlin. Ich pumpte mein Fahrrad auf und fuhr zu dem Plattenladen, den ich als meinen bezeichnen würde, eine Nick-Hornby-Bude mit sehr nettem Hippieverkäufer. Stimmung dort bestens, gerade hatte der Postbote einen Karton „Astral Weel^s“ von Van Morrison geliefert, Vinyl natürlich! Ein Stammkunde will sie direkt mal anfassen, betasten, schätzen, sind es auch i8o Gramm? Andacht wie an einer Fleischtheke. Ganz andere Frage, die Herren: AVie klingt denn diese Platte? „Sicher“, sagt mein Hippie, „so ganz die Stimme hat er nicht mehr. Ist aber schon groß.“ Mal die anderen Neuheiten durchfingern. Empfehlungen sind hier noch ernst gemeint, was bedeutet, dass auch mal abgeraten wird: Die neue Razorlight? Nicht so gut. James? Nicht so wirklich. U2? Wenn man deren frühe Platten mag. Also auch nicht. Was aber dann? Phantom Band vielleicht, sagt mein Hippie. Die seien „wie Mogwai mit Gesang, eher noch melodischer“. Im Hintergrund quält sich Van Morrison durchs Konzert, allerdings: auf Vinyl! Was ist denn von Whitest Boy Alive zu halten? „Auf Nummer sicher, halt genau wie die erste.“ Kurz reinhören: Nein, man wird keinen Krieg anzetteln für diese Platte, da hat er recht, mein Hippie. Der fragt sich übrigens, wie so Großhandelsketten kalkulieren, wenn sie die neuen Platten von Springsteen oder U2 für 9,99 anbieten. Da zahlen die doch drauf! Die alte Geschichte: Sie setzen drauf, dass man hingeht, um billig Springsteen zu kaufen, und rausgeht mit Springsteen und einem Toaster.
Ich brauche beides nicht. Was brauche ich denn? Dan Auerbach, sagt mein Hippie, sei die beste Neuerscheinung: der Sänger von den Black Keys. Kurzes Probehören, mit Blick auf die Wandregale: „Jazzfestival Balver Höhe 1974 6? 75“. Mein Geburtsjahr! Ich kaufe doch heute keine Musik aus meinem Geburtsjahr, und ich kaufe auch keinen Dan Auerbach – draußen scheint die Sonne, verdammt! Fachgespräch an der Kasse, geht um Kevin Ayers: „Der große Verlierer der 60er“. Supercool sei der, lebe in Südfrankreich und habe sich trotz der üblichen Rockf&Roll-Verwüstungen so gut gehalten, weil er nie geheiratet hat.
Raunende Männer: Bald kommt übrigens eine neue von Neil Young! Ein Typ veräußert seine Killing Joke-Platten, bringt nicht viel ein.
Ich höre mir derweil Mando Diao an, hängt bisschen durch, „Givc Me Fire“ist also durchaus der treffende Titel dafür. Haben Sie mal Feuer? Nein, ich bin von Mando Diao. Mein Hippie und ich, wir gehen vor die Tür, eine rauchen. Wir haben Feuer, beide. Zu Mando Diao sagt er: „Ich war nie großer Fan von denen.“ Und was ist mit Prodigy? Naja, sagt mein Hippie. Zigarette austreten, zurück zum Anhörgerät, „Invaders Must Die“ vor The Prodigy, ist jah errlich, ist ja richtig lustig! „Findeste, ja?“
Ich liebe diesen Laden, und ich könnte zwar eine Ron-Sexsmith-Platte von 1997 kaufen, höre mir sogar noch eine B-Seitensammlung der Doves an, aber plötzlich tun sie mir alle leid: die Doves, die Musikindustrie (auf einer Vinylplatte der Sticker „Includes a free CD Version – Support vinyl!“), die Jungs da mit ihrer Vorfreude auf Neil Young und ihren Geschichten über Kevin Ayers – ich muss jetzt mal ganz schnell in die Sonne. Und dann ins Kulturkaufhaus, wo einem nicht abgeraten wird von neuen Platten, wo man nur gefragt wird, ob man eine Tüte möchte. Dort, ohne Beratung, klingen Prodigy und Mando Diao gleich viel kaufenswerter aus den Kopfhörern. Prodigy ist nicht direkt eine Frühlingsplatte, aber sie brettert und knallt schön und erzählt mir heute mehr als Dan Auerbach: Dudeldudel-wums-bums-bäng-bambam. Wird sich neben „Fat Of The Land“ nicht lächerlich machen, auch wenn sie deren Erdrutschwirkung natürlich nicht haben kann.
Kurz vor der Kasse noch ein Sampler, den man da nicht liegenlassen darf: „Final Song -13 DJ’s share their last song on earth withyou“. Ricardo Villalobos, Richie Hawtin, Kevin Saunderson, DJ Hell etc.— paar der besten also-stellen ihr Wunschlied zur Beerdigung vor, prima Vorschläge, Beach Boys, Radiohead, Stranglers, Photek. Wie oft habe ich mit meinem Kumpel Moritz überlegt, welches Lied die um uns Trauernden dereinst beim Wurf der letzten Blume hören sollen! Bei Moritz ist es mittlerweile eine ganze Setlist („Words“, „Passion“, „Paradise City“, „Rock You r Baby“ usw.), er hat schon überlegt, sich mehrmals beerdigen zu lassen. Für mich war immer nur die Frage, welches Lied genau es von den Pet Shop Boys sein soll. Seit einiger Zeit favorisiere ich für diese letzte Fahrt ein PSB-Lied, das es leider noch nicht gibt: eine Coverversion von Bacharachs „I Say A Little Prayer“. Ich habe genau im Kopf, wie das klingen würde, und brauche jetzt sofort das Original, um in dieser Angelegenheit endlich mal weiterzukommen. Bei den Soultanten kenne ich mich zu wenig aus, Dionne Warwick?
Zu Hause merkte ich: zu hektisch, die Dame. Die Pet Shop Boys würden dieses Lied viel langsamer anlegen, mehr so wie Aretha Franklin, sogar noch langsamer. Tennants schwebender Gesang, dazu Lowes hinterhältiges Keyboardmarzipan, mit den Chören würden sie es nicht übertreiben—und dann wäre es doch schade drum, ich hätte es ja nie gehört. Letzter Song auf Erden: Ist das der letzte, den man selbst hört, oder der Grubenfahrtssoundtrack? Kommt drauf an, wie man über das Ewige Leben denkt. Oder wie man sich bestatten lassen will. Draußen waren jetzt wirklich die angekündigten Wolken aufgezogen, ich machte Licht und dachte zu komisch – über den Tod nach. Jetzt, ja jetzt hätte man mit mir über Van Morrison sprechen können.