Pop-Phänomen Donald Duck: Ente gut, alles gut (?)
Ein XXL-Buch setzt der Comic-Ente ein Denkmal. Aber was bedeutet uns Donald Duck heute noch?
Walt Disney hatte es natürlich sofort verstanden: Donald Duck ist im Vergleich zu seiner Micky Maus eine sehr viel komplexere Figur. Er ist nicht perfekt, aber gerade deshalb ist er so liebenswert. Donald ist oft wütend, manchmal verzweifelt, selbst im Überschwang nahe am Nervenzusammenbruch. Aber er ist, und das ist entscheidend, doch stets voller Hoffnung.
Noch bevor Charles M. Schulz der Feinmechanik des Scheiterns im Leben mit seinen „Peanuts“ unendlich viele Facetten abrang, markierte der gezeichnete Enterich als Symbol für das Ewig-Menschliche eine Zäsur im Bilderbetrieb. In Cartoons waren die Sympathien bis zu seinem ersten Auftreten in der Silly-Symphony-Episode „Die kluge kleine Henne“ (The Wise Little Hen, Juni 1934) stets eindeutig verteilt. Es gab die strahlenden Gewinner, die gewitzt und nicht selten auch mit dem Einsatz von blanker Gewalt über Schurken und sonstige Dödel triumphierten. Donald Duck entwickelte sich anders.
Es dauerte noch etwas, bis er zur Hauptfigur reifte, aber schon 1937 verliebte er sich in seine Daisy, um die er in der Folge mal mit Glück, oft aber ohne Aussicht auf Erfolg buhlen würde. Nur ein Jahr später standen ihm bereits seine Neffen Tick, Trick und Track zur Seite. Auftakt einer komplizierten Familienkonstellation, die spätestens mit dem Auftritt von Dagobert Duck zur gesellschaftlichen Metapher reifte und psychoanalytische Abhandlungen provozierte.
Carl Barks prägte Donald Duck
Entenhausen – eine Utopie oder doch eher eine gekrakelte Kopie unserer urbanen Träume? Es war bekanntlich Carl Barks, der sich Ende der 1930er Jahre mit feinem Strich und der Lust auf exotische Abenteuergeschichten der Ducks annahm. Der „Duck Man“, wie er liebevoll getauft wurde, gestaltete den Entenkosmos als Spielwiese für seine doppelbödige Hauptfigur, die er nie mit den eigenen unsteten Emotionen allein ließ. Über Donald, der niemals auch nur auf die Idee käme, einen Therapeuten aufzusuchen, nur weil er sich buchstäblich nicht im Griff hat, ließ sich das ganze Arsenal menschlicher Temperamentsregungen spiegeln.
In der „Mutprobe“ (The Terror of the Beagle Boys, 1951) besiegt Donald Duck fast im Alleingang die Panzerknacker, weil er mutiger (oder unbekümmerter?) als die anderen vorangeht. Es sollte nicht die einzige Probe bleiben: Schon in der ersten Erzählung mit seinem Onkel Dagobert („Die Goldene Weihnachtsgans“, Christmas on Bear Mountain, 1947) wird er bewusst herausgefordert, weil niemand ihm etwas zuzutrauen vermag, schon gar nicht die eigene Sippe.
In den zahlreichen Zeichentrickfilmen, in denen Donald Duck mal mehr und mal weniger im Mittelpunkt steht, erscheint die Ente noch als Archetypus des modernen, schwankenden Individuums. Die Filme – darunter auch Kriegspropaganda, etwa gegen Nazi-Deutschland („Der Fuehrer’s Face“, 1943) – illustrierten laut Kulturtheoretiker Klaus Theweleit auf zugespitzte Weise die Frustrationen und Kämpfe des Durchschnittsmenschen in einer zunehmend technisierten und entfremdenden Welt. Mit all seinen Misserfolgen biete Donald dem Publikum eine Katharsis und deute zugleich an, dass der menschlichen Autonomie und Anpassungsfähigkeit Grenzen gesetzt sind, so Theweleit.
Über diesen Zustand geht Barks hinaus. Den Slapstick des ewigen Pechvogels suspendierte der Zeichner zugunsten einer mal satirisch gefärbten, dann wieder moralisch variablen Gesellschaftskomödie, in der psychosoziale Themen wie Gier, Ungerechtigkeit und der Umgang mit Herausforderungen des Lebens die Erzählungen antreiben. Natürlich bleibt Micky Maus stets mit ihrem Schöpfer verbunden. Aber sie ist anders als Donald Duck nur noch eine Symbolfigur, ein leeres Zeichen, in dem sich die narrative und ökonomische Energie des Disney-Konzerns ausdrückt.
Entenhausen ist ein einzigartiges Paralleluniversum
Der hochsensible Erpel hingegen darf zu seinem 90. Geburtstag auch als literarische Figur Zeitlosigkeit für sich veranschlagen. Die geht auch darauf zurück, dass ihr eigentlicher Schöpfer Carl Barks verstand, wie man mit visuellem Einfallsreichtum und gekonnter Typisierung Wiedererkennungswerte schafft. Videospieler schwadronieren heute von der Open World als immersives Konzept, Entenhausen fungierte hingegen als erste virtuelle Gegenwelt, die anderen Comic-Universen wie Metropolis, Bedrock oder dem Mumintal weit überlegen war. Allenfalls die „Simpsons“ suchten mit dem Springfield-Kaleidoskop nach mehr Komplexität.
Wenn nun ein gewaltiger Bildband („Donald Duck. The Ultimate History“, herausgegeben von Daniel Kothenschulte, David Gerstein, J. B. Kaufman, 564 Seiten, 175 Euro) den Versuch unternimmt, das letzte Urteil über die fast ein Jahrhundert währende Entwicklung dieser niemals langweilig gewordenen Ente zu sprechen, dann ist es nur verständlich, wenn sie als einer der vielen Höhepunkte unveröffentlichte Arbeiten von Barks beifügt. Es sind seine Geschichten, die von gleich mehreren Generationen kultisch verehrt werden.
Die Materialsammlung in stattlicher Buchgröße (so schwer wie zehn Jahrgänge „Lustiges Taschenbuch“) will entdeckt werden. Sie umfasst nicht nur Ausschnitte aus den Kurzfilmen und Comics, sondern auch Konzeptzeichnungen, Hintergrundbilder, Fotos aus dem Autoren- und Zeichnerzimmer, Plakate, Storyboards, Magazin-Cover, Werbeanzeigen und nicht zuletzt einen Blick auf Memorabilien. Daran kann man sich kaum satt sehen. Die Bilder und Illustrationen stechen die mit Leidenschaft verfassten Begleittexte, die auch einen comichistorischen Abriss bilden, erst einmal vollständig aus.
Was sagt uns Donald Duck heute noch?
Der vorherrschende Eindruck ist aber auch eine Nostalgie, die der Verlängerung in die Zukunft gerade einmal ein Kapitel gewährt und die standardisierte, fast wie Fabrikarbeit anmutende Internationalisierung der Duck-Comics (mit großer Produktionsvielfalt vor allem in Italien) nur pflichtschuldig abhakt.
Donald Duck ist zwar noch da, weil er eben alles sein kann vom chaotischen Vaterersatz bis hin zum Superhelden Phantomias. Aber welche Bedeutung er als Comicfigur im Konkurrenzkampf mit all den anderen Medienuniversen hat, das bleibt eine Frage, die lieber nicht zu laut gestellt wird. Bis auf eine etwas schnippische Neuauflage der „Duck Tales“ und der ewigen Fortsetzung der sich an Gegenwartsschauspielen anbiedernden Comics hat Disney kaum große Pläne mit seiner Jubiläums-Ente. Es gibt ja nun auch, zumindest für den Moment, einen noch berühmteren Donald…
Und dennoch: Donald Duck behauptet sich, weil er in keinem Szenario fehl am Platze ist, weil auf ihn keine ideologische Strömung projiziert werden kann und identitätspolitische Diskurse an ihm abperlen. Mag Al Taliafero noch in seinen Zeitungsstrips den anarchischen Charakter nachgezeichnet haben, der Donald in den Zeichentrickfilmen prägte, so etablierte Barks bereits einen Raum für die natürliche und von gesellschaftlichen Debatten unabhängige Diversität seiner Figuren, die ohne Vorurteile anschlussfähig bleiben für alles, was ihnen Stoff für neue Erlebnisse bietet.
Das ist auch ein Erbe, das fortgesetzt werden will und mit Don Rosa lange Zeit einen kongenialen Nachfolger fand. Die Duck-Comics, sie sind mit ihrer souveränen Erzählhaltung und der Selbstsicherheit ihres visuellen Referenzrahmens bereits in den 40er Jahren ein Vorläufer jener Pop-Avantgarde, wie sie sich eigentlich erst in den 60er Jahren auszubreiten beginnt.
Anti-Held und Popkulturgut
Und auch wenn Donald Duck durch seine unermüdlichen Verstrickungen in alles und jedes, trotz ständiger Rückschläge und Frustrationen, eine gewisse faustische Energie verkörpert und sich dies in diesem angenehm groß gedachten Buch auch Bahn bricht, ist doch vor allem erkennbar, dass er nicht nur ein (Comic)-Literatur gewordener Anti-Held ist, sondern schlicht und einfach ein globales Popkultur-Phänomen. Bestenfalls dienten Donald Duck und seine Disney-Mitstreiter als Einstieg in die Welt der Literatur und des Kinos und Theaters. Weil sich so vieles hier in für Kinder unterhaltsame und allgemeinverständliche Weise entfaltet, das an Schulen offenbar nicht gelehrt werden kann.
Insgesamt zeigt sich nun auch, dass selbst in jenen Feldern, die bisher vor der kulturwissenschaftlichen Beweihräucherung verschont blieben, Archivierungsleistungen zur Regel geworden sind. Das ist erstaunlich: Noch vor wenigen Jahrzehnten warnte man vor der geistigen Verwahrlosung durch die Lektüre von Sprechblasenschund, und da hatte Erika Fuchs mit ihren eleganten Übersetzungen der Duck-Comics längst Platz gemacht für die späteren Intellektuellenzirkel, die noch im Rentenalter weiterhin die „Micky Maus“ kaufen und sich als Donaldisten gewiss nicht heimlich einmal im Monat treffen, um einander zu versichern, dass man an der Welt auch als ewiges Kind teilhaben kann.
Hier wäre noch zu beklagen, dass die Comic-Szenarien in dem Buch allesamt nicht in der Übersetzung vorliegen. Der sorgfältige Transfer in die deutsche Sprache hat, wie allgemein bekannt ist, durch die Anbindung an den bildungsbürgerlichen Kanon und atemberaubende rhetorische Volten einen Mehrwert für sich. Erika Fuchs ließ Daniel Düsentrieb Sätze wie „Dem Ingeniör ist nichts zu schwör“ sagen – und gestaltete so auch einen Teil BRD-Sprachkultur. Ihre Onomatopoesien wie „Ächz“ und „Seufz“ prägten die Vorstellung, wie Comics sprachlich „funktionieren“ für Jahrzehnte.
Donald Duck folgt beim Taschen-Verlag einem gewaltigen Micky-Maus-Buch und einer faszinierenden Chronologie der ersten Jahrzehnte des Disney-Films. Es sind Bilderbücher und Kunstbibeln in einem. Wenn sich die tragikomische Ente nun als „Spiegel für die Herausforderungen und Absurditäten des Alltags“ eignet, wie es Graphic-Novel-Meister Art Spiegelman vermutet, dann lässt sich in seiner Gestaltung auch eine Hommage auf die viel zu wenig besungene Leistung des Durchschnittsmenschen erkennen, der strebend sich bemüht, und dabei aus unterschiedlichsten Gründen immer wieder von vorne anfangen muss. Der Entenhausener ist ein Weltbürger.
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