Pop mit Orchester: Bobo arrangiert alte Songs als Kammermusik, Hubert Kah komponiert sich in die Welt Ludwig II.
Ja, es ist unausweichlich, der Winter kommt – und mit ihm die Zeit des „Kuschelrocks“. Da legt auch der Rockfreund, der Puccini für ein Pasta-Gericht hält, mal was Weiches auf. Weil das so ist, setzen sich Popsänger, die ein klassisches Orchester mieten, dem pauschalen Kitsch-Verdacht aus. Irgendwann hat Bobo beschlossen, ihre „white wooden houses“ noch eine Zeit lang leerstehen zu lassen. Dir Motiv, eine Solo-Platte mit Orchester zu machen, ist etwas mystisch: „Es sollte irgendwie sein. Es kamen von überall Zeichen.“ Eines war ein Angebot des Leipziger Gewandhausorchesters, mit ihr ein paar Songs aufzuführen. Das Projekt platzte, die Idee blieb da. „Ich war nie eine richtige Rocksängerin“, meint Bobo. „Bei diesen Klischee-Riffe fühle ich mich nicht mehr wohl.“
Inspiriert von ihrem Vorbild Joni Mitchell, sucht sie ständig nach subtileren Formen. Sie träumte von einer Session mit Wil Malone, einem begehrten Arrangeur, der auch Partituren für Neneh Cherry und Massive Attack geschrieben hat „Ein Freund in England“ habe Bobos Namen in dessen Terminkalender bugsiert Der engagierte das auf Filmmusik spezialisierte London Session Orchestra und arrangierte Bobo-Lieder und Coverversionen. „Mit einem deutschen Orchester hätte man das nicht machen können“, meint Bobo. „Die gucken auf die Noten und sehen: da passiert nicht soviel wie bei Bruckner. Und schruppen es eben so runter.“
Leider wirkt auch „Glow“ oft steril wie ein Vorsingen beim Musiklehrer. Soundgardens „Black Hole Sun“ sollte symphonisch klingen, wurde aber bloß breitgetreten. Die schwüle Schwere, die das Original auszeichnet, verschwand im sauber abgestimmten Klangkörper. Besser interpretiert Bobo ihre eigenen Stücke: Bei „Cosmic Ceiling“ oder „Yellow Moon“ ist sie spürbar näher bei sich und bezieht so auch das Orchester besser ein.
Eine erste Live-Aufführung ihrer neuen Arrangements wurde zum Debakel. Oder, wie Bobo es ausdrückt, zur „schrägen Erfahrung“. Mit Berliner Musikstudenten trat sie im Vorprogramm der Teutonen-Klopper Ramstein auf. Als sie auf die Bühne kam, wurde es nicht andächtig ruhig, sondern ziemlich laut: Die Rammstein-Fans forderten „ausziehn, ausziehn“. Als der Auftritt durchgestanden war, floh Bobo aus der Halle.
Auch Hubert Kah hat den Orchesterklang entdeckt Hubert Kah? Rosemarie. Sternenhimmel. Engel 07. Wer 1982 jung war, vergißt diese Lieder nicht, selbst wenn er wollte. Kah war der Plastik-Kaspar der Neuen Deutschen Welle: er schminkte sich grell und zuckte dann über den Bildschirm. Große Samstagabendshow. Als die NDW in der eigenen Banalität versickert war, wurde es ruhig um ihn. Er hatte genug auf dem Konto, um sich seiner Seele widmen zu können. „Bis dahin“, sagt er, „hatte ich nur nach außen gelebt.“
Hubert Kah, den im Gespräch eine angenehm gedämpfte Weltfremdheit umgibt, entdeckte eine versunkene Epoche, in der sich seine Seele spiegeln konnte: deutsche Romantik. Beim Besuch eines Ludwigsschlosses hatte deren Geist zum ersten Mal zu ihm gesprochen. Er sah Ludwigs Welt und wußte, daß es auch die seinige ist. Er begann, Ludwigs Lieblingskomponisten Wagner zu hören, studierte Chopin und Schumann und las die Bücher des verspäteten Romantikers Hermann Hesse. Ernsthaft! Mit über 30! Kah ist kein Poseur. MubertKah“ ist bester Kitsch-Pop: große Gefühle, großes Orchester. Und ein Spiel mit großer Tradition. Er hat Wagners Tafelklavier gesamplet, „um so dem Sound jener Zeit näher zu kommen“, und das Orchester im Jugendstilsaal einer Wiener Nervenheilanstalt spielen lassen, um auch Mahler und Hofmannsthal mit drinzuhaben. Sein Album streckt sich nicht peinlich nach der hochkulturellen Decke, sondern versammelt durchgeknallte, pathetische Prunk-Schlager. „Es ist eine Pop-Platte“, bestätigt Kah. „Es wäre toll, wenn sie die Massen erreichen könnte.“ Die Massen. Vbr mir sitzt Ludwig H. „Oder eine Kultplatte wird.“
Der Winter kann kommen.